Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: München erlesen:Vom Leben und Leiden reicher Künstlerkinder

Romane über eine Stadt: Klaus Mann erzählt in seiner ersten Autobiografie "Kind dieser Zeit" von seiner Jugend in München. Die war alles andere als vorbildhaft

Von Sabine Reithmaier

Nicht die Geschichte seiner Kindheit komme ihm erzählenswert vor, schrieb Klaus Mann. Erzählenswert dünke ihm "die Geschichte einer Kindheit, deren erste acht Jahre vor Ausbruch des Weltkriegs lagen, so daß die Revolution uns zwölfjährig, die Inflation sechzehn- und siebzehnjährig fand ... Eine Kindheit, nach außen hin behütet, aber im Inneren von den abnormen, ungeheuren Umständen der Zeit in Mitleidenschaft gezogen." Und zudem eine Kindheit, die sich, abgesehen von den Sommermonaten in Bad Tölz, in München abspielte.

Mann war gerade erst 26 Jahre alt, als 1932 seine erste Autobiografie "Kind dieser Zeit" erschien. Ein Jahr später wurde sie schon verboten. Der Sohn von Katia und Thomas Mann hatte sich bereits mit Dramen und Romanen einen Namen gemacht. Noch mehr Aufsehen erregten seine skandalumwitterten Theaterauftritte mit Schwester Erika, seiner zeitweiligen Verlobten Pamela Wedekind und dem noch unbekannten Schauspieler Gustaf Gründgens.

Geboren wurde er 1906 in der Franz-Joseph-Straße als zweites Kind des Ehepaars Mann, ziemlich genau ein Jahr nach seiner Schwester Erika, über deren Geburt der 30-jährige Vater erst eher enttäuscht war. Er habe sich einen Sohn gewünscht, schrieb er an Bruder Heinrich. "Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr Fortsetzung und Wiederbeginn meinerselbst unter neuen Bedingungen." Kein geringer Anspruch an das Neugeborene also, doch Klaus erinnert sich in der Autobiografie gern an seine Kindheit. "Wir wuchsen vergnügt auf, es ging uns ganz ausgezeichnet." Am Vater freilich arbeitet er sich lebenslang ab, war ihm doch, wie er in "Kind dieser Zeit" festhält, "am Beifall keines Menschen wie an seinem gelegen".

1910 zog die Familie nach Bogenhausen in die Mauerkircherstraße 13 um in zwei nebeneinanderliegende Vierzimmerwohnungen. Klaus erinnert sich nur an den kleinen Balkon, auf dem er nächtens mit Erika zu klären versuchte, wie denn die Welt aussah, wenn man eigentlich schlafen sollte. Anfang 1914 folgte der Umzug in die "Poschi", wie die Familie die repräsentative Villa in der Poschingerstraße 1 nannte. Das Haus blieb bis 1933 die Heimat der Familie. Kinder und Kinderfräulein wohnten im ersten Stock in der Nähe der Mutter; später zogen die Großen in eigene Zimmer im zweiten Stock. Das geheiligte Arbeitszimmer des Vaters lag im Erdgeschoß zwischen Salon und Esszimmer. Klaus Mann hatte längst zu schreiben begonnen, vorzugsweise Dramen wie "Der gute Sohn" oder "Prinz Kuno", die er mit den Geschwistern aufführte. "Das Bedürfnis zu schreiben, stellt sich ein, ehe ein Inhalt da ist", konstatiert Mann, verblüfft über die schiere Menge an "Werken", die er damals produzierte.

Im Jahr des Umzugs in die "Poschi" beginnt der Weltkrieg, den Thomas Mann begrüßt als "großen, grundanständigen, ja feierlichen Volkskrieg", wie er an Bruder Heinrich schreibt. Der sieht das völlig anders, die Brüder entzweien sich für Jahre. Die Kinder fühlten sich ebenfalls "hochgestimmt", empfanden die "großen Siege so ähnlich wie die hohen Feiertage". Aber, so räumt Klaus Mann ein, er und seine Geschwister hätten sich mehr für die Schulaufgaben interessiert oder die diversen Raufereien. Die braven Soldaten wurden in die "pflichtgemäßen Abendgebete" aufgenommen.

1916, als Klaus schon das Wilhelmsgymnasium besucht, spürten sie den Krieg schon deutlicher. "Schuhe waren fast so kostbar wie Wurstbrote." Vom Frühjahr 1917 lief er fast ausschließlich barfuß, war stolz, der erste Bloßfüßige am Gymnasium zu sein. So marschierte er auch zu den Großeltern Pringsheim. Jeden Sonntagmittag pilgerte Familie Mann in die Villa an der Arcisstraße 12 (heute Katharina-von-Bora­Straße 10) - "ein wichtiger glänzender Lebensbestandteil". Auch wenn es dort statt der früheren "fürstlichen Mittagessen" nur noch "magere Tees" und ab und an ein "braunes, hartes, kleines Gewürzplätzchen" gab.

Der Mangel an Essen bleibt ein zentrales Thema. Klaus und Erika entwickeln eine Art Sport daraus, stundenlang für Butter, Eier oder Schinken anzustehen. Einmal warten sie zwei dunkle Winterstunden vor einer Bude am Ostbahnhof. Die ergatterten Eier entgleiten ihnen auf dem Heimweg, weil die Hände so zittern. "Die gute Dotter flossen zwischen den Pflastersteinen; unsere Tränen ihnen nach." Passend dazu das Lustspiel, das Klaus Weihnachten 1916 schrieb: "Hamsters Ende".

Dann Kriegsende und Revolution, wobei, wie Mann selbstkritisch anmerkt, die Ermordung Kurt Eisners vor allem eines bedeutete: "schulfrei". An der Schule litt er nach eigenem Bekunden nicht ernsthaft, obwohl er sie verachtete und oft hasste. Entsprechend schlecht waren seine Noten. Lieber trieb er sich mit der Herzogpark-Bande herum, zu der neben Erika auch Gretel und Lotte Walter sowie Ricki Hallgarten, Sohn einer jüdischen Nachbarsfamilie, gehörten. Die Clique machte sich einen Spaß daraus, Passanten böse zu erschrecken, ab und an etwas zu stehlen oder Telefonscherze zu treiben. Das Theaterspielen im eigens gegründeten "Laienbund Deutscher Mimiker"war wohl das Harmloseste. Gern gingen die Jugendlichen auch ins Nationaltheater, standen acht Stunden an, um Mozarts "Zauberflöte" auf Stehplätzen zu hören. In die Kammerspiele, in denen Wedekind und Strindberg gespielt wurden, durften sie noch nicht.

Irgendwann verpetzte ein Kindermädchen die üblen Scherze der Bande bei den Eltern. "Wir fielen in tiefste Ungnade", erinnert sich Mann. Erika und Klaus durften nicht mehr in München bleiben, sondern wurden im März 1922 in die Bergschule Hochwaldhausen gesteckt. Klaus blieb nur bis Juli in der "radikalen Reformschule", wechselte dann auf die Odenwaldschule, war zum ersten Mal ohne Erika. Nach einem knappen Jahr kehrt er 1923 nach München zurück. Eigentlich soll er sich in privatem Unterricht auf das Abitur vorbereiten, Doch er entdeckt das Großstadtleben, lernt "Inflationsabenteurer" kennen wie den wenig älteren Börsenspekulanten Theo Lücke. Erika und Klaus genießen mit ihm "Champagner-Soupers" in der Reginabar für 3,5 Millionen Mark pro Person. "Während wir uns auf eigene Faust toll zu gebärden dachten, tanzten wir nur nach dem Takt, den die Zeit uns angab", schreibt er. Den Unterricht bricht er Anfang 1924 ab.

Die Eltern sind ratlos, was mit dem Sohn geschehen sollte, stecken ihn probeweise in ein Landeserziehungsheim nach Schondorf. Ein aussichtsloses Unterfangen. Im Frühherbst 1924 zieht Klaus nach Berlin, er ist entschlossen sich seinen Weg als Schriftsteller und Journalist zu bahnen. "Es ist nicht zu leugnen, dass mein Name und der Ruhm meines Vaters ... mir den ersten Start erleichtert haben. Aber schon nach einem halben Jahr verwandelten sich diese scheinbaren Vorteile in Nachteile, die nur mit dem äußersten Lebensoptimismus überwindbar werden."

Optimismus war nicht Klaus Manns Stärke, schon in "Kind dieser Zeit" beschwört er die "schreckliche und süße Idee des Selbstmordes". Der lang gehegte Todeswunsch, finanzielle Probleme, mangelnde Resonanz - all des vermengt sich 1949, als Klaus Mann in Cannes mit einer Überdosis Schlaftabletten den Freitod wählt.

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SZ vom 30.03.2021/van
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