SZ-Serie: München erlesen:Meister des Grautons

Jörg Fauser

Jörg Fauser (1944-1987) war stark beeinflusst von der amerikanischen Beat-Literatur. 1981 gelang ihm mit dem Krimi „Der Schneemann“ der literarische Durchbruch.

(Foto: Fauser Archiv)

Jörg Fausers "Der Schneemann" ist ein Krimi um Schein und Sein

Von Isabell Nina Schirra

Das Zwielicht war so etwas wie Jörg Fausers Spezialgebiet. Sein Zuhause, wenn man so will. Im Leben wie im Schreiben. Der gefeierte Beatliterat (1944-1987) war zeitweise Fixer, bis zuletzt Alkoholiker. Wie ließe sich eine Stadt also besser erkunden als auf den Spuren eines zwielichtigen Kleinkriminellen aus seiner Feder? Kennen sie doch die Schleichwege, die Schlupflöcher, das Halbdunkel der Städte.

Die Geschichte von Blum, dem Antihelden in Fausers 1981 erschienenem Roman "Der Schneemann", beginnt auf Malta. Dort versucht der wegen Antiquitätenfälschung und Kunstraub vorbestrafte Lebemann Blum, mit dem Verkauf von Porno-Heftchen sein Auskommen zu verdienen. Ein unrentables Geschäft. Darum zögert er auch nicht lange, als ihm durch Zufall ein mysteriöser "Hinterlegungsschein der Gepäckaufbewahrung München Hbf." in die Hände fällt. Doch Zufälle gibt es nicht. Das werden sowohl Blum als auch die Leser im Fortgang dieser Geschichte noch lernen.

Was Blum im Innern des Gepäckfachs entdeckt, erscheint ihm zunächst wie ein Versprechen auf das erträumte Leben auf den Bahamas: zweieinhalb Kilo Kokain. Der verzweifelte Versuch, seinen Hauptgewinn zu Geld zu machen, entwickelt sich allerdings zu einem paranoiden Höllenritt durch München, Frankfurt und Köln, ja sogar bis Amsterdam und Ostende. Denn Blum wird seiner Rolle als "Schneemann" nicht gerecht, erweist sich als äußert unbegabter Koks-Dealer. Und dann ist da noch dieses Gefühl, dass jede seiner dubiosen Bekanntschaften Teil eines Schauspiels, einer einzigen Farce ist, auf ihn angesetzt - bloß von wem, das ist die Frage.

Die Geschichte wird zum Katz-und-Maus-Spiel, zu Räuber und Gendarm. Nur wer die Bösen und wer die Guten sind, ist nicht immer ganz klar. Fauser, der Meister des Grautons, biedert sich nicht mit Schwarz-Weiß-Malerei an. Bei ihm balanciert nicht nur der Kakerlak auf den Platten der Musikbox in der schäbigen Kneipe - es balancieren auch seine Figuren auf dem schmalen Grat der Ambivalenz. Zweifelsohne, der "Schneemann" ist eine Krimi-Geschichte. Eine ziemlich spannende sogar. Und doch so viel mehr als stupide Unterhaltungsliteratur - man könnte sie sogar als Sozialstudie bezeichnen.

Denn Fauser führt diskret die Unzulänglichkeiten in jedweder Bevölkerungsschicht vor. Seien es die "Mädchen mit grüngefärbten Haaren", denen Blum "den Koks an der Spitze ihrer sommer-sprossigen Nase ansah", in den Cafés der Leopoldstraße. Die Trinker in den Bahnhofskneipen, wo "München noch die Hauptstadt der Tandler und Viehhändler, der Maghrebiner und Hopfenperlen" war. Oder die koksende Schickeria in den Villen am Stadtrand, "die Macher in Halbseide: die Filmemacher, Büchermacher, Kunstmacher, [...]Weichmacher, Anmacher".

Jörg Fauser hat es sich nie leicht gemacht. Auch in seinen Geschichten nicht. So ist auch das Ende dieses Romans alles andere als die vorhersehbare Auflösung eines Krimis. Es ist das irrwitzige, tollkühne Finale einer unglaublichen Story, in der nichts und niemand so ist, wie es scheint. Aber um es mit Blums Worten zu sagen: "Manchmal, wenn du den großen Horror hast, ist eine gute Geschichte das Einzige, was noch hilft."

Jörg Fauser: Der Schneemann, 1981, Diogenes, 272 Seiten, Taschenbuch 11 Euro.

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