SZ-Serie: München erlesen:Spatzl in der Krise

Helmut Dietl

Genauer Beobachter und Dialektkünstler: Helmut Dietl.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Die Drehbücher von Dietl und Süskind

Von Josef Grübl

Wie sehr sich die eigene Wahrnehmung im Laufe der Zeit verändern kann, sieht man spätestens in Kapitel sechs. Da klagt Annette von Soettingen: "Diese schlechten Zeiten verlangen Opfer von uns allen." Und: "Wo du hinschaust, bröckelt und bröselt und kriselt es." Da denkt man derzeit automatisch an schlechte Zeiten, die uns bevorstehen könnten, an Politiker im Virenbekämpfungsmodus, überlastete Pflegekräfte, ruinierte Geschäftsleute.

Die in den Siebziger- und Achtzigerjahren entstandenen Serien von Helmut Dietl werden ihrer Zeitlosigkeit und ihrer pointierten Dialoge wegen geliebt, gerade eben erkennt man aber im Werk des 2015 verstorbenen Regisseurs und Drehbuchautors ungeahnte aktuelle Bezüge. So etwa im sechsten "Monaco Franze"-Kapitel: Da schleicht sich eine nicht näher genannte Krise an, alles wird schlimmer, jeden Tag ein bisschen mehr. Selbst Annette von Soettingen, die privilegierte Schwabinger Geschäftsfrau, ahnt, dass sich etwas ändern muss. Nur ihr Ehemann, der titelgebende Ex-Polizist Franz Münchinger alias Monaco Franze will das nicht wahrhaben: "Wie meinst Krise, Spatzl?"

Aber gibt es solche Leute nicht in jeder Krisensituation? Die im Englischen Garten in großer Gruppe picknicken, während um sie herum das Chaos tobt? Die Serien "Münchner Geschichten", "Monaco Franze" und "Kir Royal" sind landläufig bekannt, sie stehen in vielen DVD-Regalen und werden regelmäßig im Fernsehen wiederholt. Seit Kurzem gibt es sie auch in Buchform: Die Originaldrehbücher von Helmut Dietl und Patrick Süskind sind unter dem Titel "A bissel was geht immer" erschienen. In dem Sammel-Schuber mit den drei Büchern sind nicht alle Serienfolgen enthalten, Dietl schrieb und inszenierte ja nur sechs von neun Episoden der "Münchner Geschichten". Auch bei "Monaco Franze" fehlen zwei Folgen - ebenjene natürlich, die nicht von Dietl stammen.

Drehbücher werden ja oft nur als eine Art Bedienungsanleitung betrachtet, freiwillig liest sie kaum jemand. Hier ist das etwas anders: Es sind Münchner Stadterkundungen, man reist mit den Figuren durchs Lehel, durch Schwabing oder zur Schwanthaler Höhe. Man erkennt die Akribie, mit der die dialektstarken Dialoge geschrieben wurden, rhythmisch reihen sie sich aneinander, jedes Komma sitzt, jeder Versprecher oder Wortverdreher war genau vorgegeben. "Bitte, tut's mir einen Gefallen", sagte Dietl zu seinen Schauspielern: "Macht's mir keine Vorschläge." In einem Essay beschreibt Süskind die Zusammenarbeit mit seinem Schreibpartner und Freund: Wie er Dietl zum Arbeiten hinterher reiste, nach Los Angeles etwa, weil er es zuhause nicht mehr aushielt - und wie sehr man sich dort nach München sehnte, nach Leberkäse oder dem bayerischen Wetter.

Heute würde man den Monaco Franze, den Möchtegernplayboy Tscharli ("Münchner Geschichten") und den Klatschreporter Baby Schimmerlos ("Kir Royal") als üble Chauvinisten beschimpfen - oder zumindest als "Matschos", wie Süskind sie nennt. Aber die Figuren waren schon damals überzeichnet; Dietl galt nicht umsonst als Meister der satirischen Komödie. Andere Dinge ändern sich aber nie: Bereits im Jahr 1974 mussten Tscharli und seine Oma raus aus ihrer Wohnung im Lehel, Geschäftemacherei und Gentrifizierung gab es in dieser Stadt eben auch schon immer.

Helmut Dietl, Patrick Süskind: A bissel was geht immer (Penguin Verlag 2019, 720 Seiten, 36 Euro)

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