SZ-Serie: München - eine literarische Annäherung, Folge 5:Die Hektik auf Münchens Straßen

München wurde von vielen beschrieben, bedacht und besungen. Aber wie sieht es heute aus? Die SZ-Fotografen begeben sich mit einem Zitat auf Spurensuche - diesmal auf Münchens Straßen

Von Robert Haas (Fotos) und Wolfgang Görl

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(Foto: imago)

"Mitten in Bayern, dort wo grundlos die Autobahn aufhört, fängt München an. So wie der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, so ist München die Fortsetzung des Autobahnverkehrs mit anderen Mitteln."

(Helmut Qualtinger)

München und der Verkehr - ein nicht enden wollendes Thema. SZ-Fotograf Robert Haas musste erst nachdenken, was der Kabarettist Helmut Qualtinger mit seiner Aussage gemeint haben könnte. Ist er ein Grantler? Ein scharfzüngiger Spötter, der über München lästerte? Positiv, so legte sich Robert Haas schließlich fest, wird der Österreicher seine Aussage nicht gemeint haben. Und so zog er los, um mit seinen Fotos die Hektik auf Münchens Straßen einzufangen. "Man sollte die Bewegung des Verkehrs spüren", sagt er. Und: "Das größte Ärgernis in München ist der Lärm, wenn er völlig sinnfrei aus vier Auspuffrohren gebrüllt kommt." Auch wenn das auf Fotos natürlich nur schwer darzustellen ist.

Geburtstagsgrüße - Kabarettist Helmut Qualtinger und sein Blick auf München

Zur 800-Jahr-Feier, die München unter anderem mit einem großen Festzug im Juni 1958 beging, schrieb auch der Wiener Kabarettist und Schauspieler Helmut Qualtinger einen halb galligen, halb freundlichen Geburtstagsgruß. Dass es sich um einen satirischen Text handelt, merkt der Leser schon bei den ersten Worten: "Mitten in Bayern, dort wo grundlos die Autobahn aufhört, fängt München an. So wie der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, so ist München die Fortsetzung des Autobahnverkehrs mit anderen Mitteln."

Vermutlich war Qualtingers Einflugschneise, sofern er überhaupt mit dem Auto fuhr, die Salzburger Autobahn, die in der Tat auf Stadtgebiet endet. Später, in den Sechzigerjahren, war sogar geplant, die A 8 komplett durch München zu führen, eine verrückte Idee, die der damals vorherrschenden Vision der autogerechten Stadt entsprungen war, einer Mobilitätsideologie, in der das Auto das Maß aller Dinge ist, dem sich Städtebau und erst recht so lästige Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radler unterzuordnen haben. Die meisten Politiker und Verkehrsplaner haben sich mittlerweile von derart fundamentalistischen Formen der Auto-Anbetung verabschiedet, eine Ausnahme bildet der Verkehrsminister Andreas Scheuer.

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(Foto: Robert Haas)

Überhaupt müssen die Münchner Einfallsstraßen auf Qualtinger, der ja nicht vom Dorf kam, einen erstaunlich großen Eindruck hinterlassen haben, denn er schreibt weiter, der "Verkehr einer Weltstadt" - damit meint er tatsächlich München - "lässt den einfahrenden Fremdling hinter jeder Ecke so etwas wie den Anblick der Skyline von Manhattan erwarten". Stattdessen, fügt er leicht enttäuscht hinzu, stehe man dann nur vor dem Hofbräuhaus.

Wer sich heute von der Nürnberger Autobahn München nähert, sieht zwar nicht unbedingt die Skyline von Manhattan, aber doch immerhin Hochhäuser, die sogar höher sind als die Frauentürme - eine Dreistigkeit, die später per Bürgerentscheid untersagt wurde. Andere Autobahneinfahrten, etwa die Stuttgarter oder die Salzburger, wirken so öde, als hätten die Straßenbauer alles darangesetzt, die Einreisenden noch vor der Ankunft in München zur Umkehr zu bewegen. Für den Münchner wiederum sind die Ausfahrten der weitaus interessantere Teil dieser Autobahnendstücke. Die Salzburger Autobahn etwa, egal, ob man sie über Giesing oder Ramersdorf ansteuert, verspricht die baldige Ankunft am Brenner und die Zufahrt ins Sehnsuchtsland Italien.

In den Fünfzigerjahren, als Qualtinger der Stadt zum 800. Geburtstag gratulierte, waren solche Pkw-Reisen noch eine reine Freude, auch wenn die Straßen holpriger und Autos langsamer waren. Heute haben die Kisten ihre Unschuld verloren, das Auto ist als Klimakiller in Verruf geraten. Gewiss, viele Münchner halten den Benzinkutschen immer noch die Stoßstange, aber sie bekommen zunehmend Gegenwind von denjenigen, die das Auto am liebsten komplett aus der Stadt verbannen wollen. Und nun, ausgerechnet in dieser Epoche des Zweifels, erhält München eine Automobilmesse. Wenn es hart kommt, wird dort die letzte Ölung zelebriert.

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