SZ-Serie: München - eine literarische Annäherung, Folge 3:Schönheiten

Die Stadt wurde von vielen beschrieben, bedacht und besungen. Aber wie sieht es in ihr wirklich aus? SZ-Fotografen begeben sich auf Spurensuche. Catherina Hess hat sich die Schönheitengalerie König Ludwigs I. zum Vorbild genommen und schöne Münchnerinnen von 20 bis 80 fotografiert

Zwanglos

Wer etwas über die bessere Gesellschaft Münchens zur Prinzregentenzeit erfahren will, über die gehobenen Kreise der Belle Époque, liest am besten die Romane Annette Kolbs. "Daphne Herbst" beispielsweise, ein ungeheuer witzig und elegant geschriebenes Buch, dessen schwindsüchtige, schöne Titelheldin in den vornehmen Münchner Salons verkehrt, wo man weitaus mehr eingebildet als gebildet ist. "Was der Unbildung der Münchner 'Gesellschaft' während der letzten Jahrzehnte so besonderen Vorschub leistete, war, dass ein intellektueller Tiefstand voll Behagen gewährt, geistige Strömungen dagegen mit breiter, behäbiger Ironie in Bausch und Bogen abgelehnt wurden." Mit feinster Feder beschreibt Annette Kolb geistlose Edelmänner und junge Komtessen, die nichts anderes im Kopf haben als die neueste Mode und den reichen Heiratskandidaten; und doch, trotz aller Kritik, spürt man, wie die Schriftstellerin, deren Mutter Französin war, ihre Heimatstadt München liebt. Der Vater Max Kolb war Königlicher Gartenbaudirektor, und wie leger, ja beinahe frivol es in dieser unkonventionellen Familie zuging, schildert sie in ihrem wunderbaren Roman "Die Schaukel".

Wie Annette Kolb das München dieser Ära sah, steht auch in einer Hommage an den Dirigenten Felix Mottl, der das Musikleben der Stadt von 1903 bis zu seinem Tod im Jahr 1911 prägte. Es war in den Zwanzigerjahren, als sie rückblickend schrieb: "Aber München selbst glich ja einer gefeierten Frau, lächelnd ihrem Triumphe hingegeben, eine köstliche kleine Weltstadt, heiter, feiertäglich und international wie keine zweite." Ein paar Zeilen weiter kommt es noch besser, aber auch ihr Verdruss über den völkischen Geist der Zwanzigerjahre klingt bei der Pazifistin an: "Fünfzig und mehr Jahre scheinen zwischen dem München von damals und dem von heute zu liegen. Es stand im Lichte und war die glückliche Phäakenstadt jener Zeit; vielleicht die schönste Sommerstadt der Welt: ihre Anlagen grell von Blumen, die Schaufenster voll schmucker, origineller, oder schöner Dinge."

Auch wenn das München der Belle Époque längst versunken ist - es ging im Ersten Weltkrieg unter -, gibt es noch heute Tage, an denen die Stadt so sommerlich heiter ist, wie Annette Kolb sie beschrieben hat. Bei eisigem Ostwind merkt man natürlich nichts davon, es muss schon ein warmer Tag sein, einer, an dem der Himmel sich in blaue Seide wirft, dies aber nur über München, und die Sonne die Fassaden der Kirchen, Paläste und der Glastürme der neueren Zeit zum Leuchten bringt. Dann funkelt auch die Isar, und die Leute zieht es in die Flussauen, wo in guten Momenten dieses eigentümliche München-Gefühl aufkommt: Hey, das Leben ist schön, überhaupt ist hier alles ein bisschen lockerer, und es darf auch ruhig mal was schief laufen - Hauptsache, man sieht dabei gut aus, aber das ist das geringste Problem: Der Münchner, egal, wie er aussieht, ist von Natur aus ein schöner Mensch, und wer hier lebt, bleibt immer jung.

An solchen Tagen liegt eine zwanglose Feierlichkeit über der Stadt, und wenn dann noch der Föhn herüberweht, scheint der Mittelmeerstrand ein Stück näher gerückt zu sein. Das prägt dann auch die Menschen, und manchmal, leider nur vorübergehend, ist es so, wie Annette Kolb in der "Schaukel" geschrieben hat: "München war die individualistischste Stadt der Welt; die Menschen sind dort nicht besser und nicht schlechter als anderswo. Aber der Boden war für das Ausgefallene weit aufnahmebereiter als andernorts." Wolfgang Görl

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