SZ-Serie: München - eine literarische Annäherung, Folge 2:Die Diva München

Die Stadt an der Isar wurde von vielen beschrieben, bedacht und besungen. Aber wie sieht es in ihr heute wirklich aus? Die SZ-Fotografen begeben sich auf Spurensuche

Joseph von Westphalen ist ein Spötter, ein Satiriker vor dem Herrn. Und obwohl er der Sohn eines uralten Adelsgeschlechts ist und von Geburt her Opferpfälzer, verfügt er über verdammt viel Humor, und zwar sowohl über den feinen Witz, der gern über drei Banden gespielt wird und oft nur Komikgourmets verständlich ist, als auch über den Wumms-Witz, der so ist, wie er heißt. Frech ist Westphalen obendrein. Ende der Achtzigerjahre hat er mal geschrieben: "Lieber eine Plastiktüte mit Abfall am Wegrand als ein Soldat." Darüber hat sich dann die halbe Nation aufgeregt, zumindest jene, die lesen konnten. Ein besonders vergnüglicher Lesestoff sind die Romane, in denen der ehemalige Diplomat Harry von Duckwitz der Held ist, ein kultivierter geistreicher Herr, der Jazz und Frauen liebt, was ihn möglicherweise mit seinem Schöpfer verbindet. Im Jazz kennt sich Westphalen jedenfalls sagenhaft aus, sogar über das rein Musikalische hinaus, wie dem Titel eines seiner Hörbücher zu entnehmen ist: "Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt."Joseph von Westphalen lebt in München, deshalb ist er auch befugt, ein Urteil über die Stadt abzugeben, egal wie es ausfällt. Hauptsache, es ist positiv. Und siehe da: Es klingt gar nicht so vernichtend, was er da schreibt, da hat man schon ganz andere Sätze von ihm gelesen: "München ist die Diva unter den deutschen Metropolen. Keine andere Großstadt ist so selbstverliebt und setzt sich so gerne in Szene." Respekt, das kann man unterschreiben. Wäre München eine Person, säße sie den ganzen Tag über am Kleinhesseloher See und bewunderte ihr eigenes Spiegelbild im Wasser. Westphalen ist natürlich nicht der einzige Autor, der das bemerkt hat, man findet den Münchner Hang, sich aufsehenerregend in Szene zu setzen, schon bei Thomas Mann oder in den Filmen von Helmut Dietl. Nicht nur seine Bewohner, sondern die Stadt selbst scheint der Devise zu folgen: Mehr scheinen als sein.

Weiß der Himmel, wann und wie dieses Daseinsprinzip in die einst gar nicht so glamouröse Stadt gekommen ist. Vielleicht ist König Ludwig I. der Urheber, der München mit spektakulären Gebäuden geschmückt hat, die so tun, als hätten antike Baumeister oder Renaissance-Künstler sie geschaffen. Während das Königreich Bayern nur eine zweitklassige Macht war, sollte wenigstens die Hauptstadt als erstklassig erscheinen. Irgendwann, vielleicht in den Sechziger- oder Siebzigerjahren, hat München die Camouflage als ihr eigenes Wesen angenommen. Ich bin schön, zwitschert die Stadt, ich bin toll, und alle Welt muss mir zu Füßen liegen - so sprechen Diven nun mal.

Aber wie alle Diven kann München auch extrem anstrengend sein. Zum Beispiel wenn man Gästen aus Berlin, einer grundlos selbstverliebten Großstadt, erklären muss, dass der Münchner im Grunde seines Herzens ein sehr bescheidener Mensch ist.

Von Wolfgang Görl (Text) und Alessandra Schellnegger (Fotos)

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