SZ-Serie: Lieder der Stadt:Museumsreif

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Thomas Meinecke, geboren 1955 in Hamburg, lebt in Bayern. Er ist Mitbegründer der Band "F. S. K." und Autor theoriefester, der literarischen Sampling-Technik verpflichteter Romane. Zuletzt erschien "Selbst" (Suhrkamp, 2016). (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wer mit Thomas Meinecke das Haus der Kunst besucht, staunt über die vielen Geschichten, die seine Band "F.S.K." mit der Institution teilt

Von Michael Zirnstein

Dass "Haus der Kunst", das Stück, wenig mit Haus der Kunst, dem Museum, zu tun hat, ist klar. Da braucht Thomas Meinecke gar nicht zu warnen, es gehe eher um den Hedonismus der Stadt und die Tanzrituale der Disco, also so "House der Kunst"-mäßig. Was ist bei seiner Band F.S.K. schon eins zu eins? Aber das Museum ist eben eine gute Anlaufstelle, um über alles mal zu sprechen.

Zuerst aber müssen Fotos für den Zeitungsartikel gemacht werden. Da zeigt es sich, dass der wortgewaltige Schriftsteller und musikkundige Radio-DJ sehr wohl Wert aufs Bildnerische legt. Auf keinen Fall will er sich wie ein Denkmal auf einen Betonsockel am Parkplatz stellen. "Das Monumentale ist mir nicht so angenehm", sagt der Hüne. Meinecke grätscht die Beine, um sich unter das Kameraobjektiv zu ducken. So sieht man viel vom neoklassizistischen Nazibau und wenig von Meinecke. Standortwechsel. Meinecke marschiert zum Westflügel. Er weiß ein gutes Motiv. Die Tür, durch die er zum ersten Mal ins Haus der Kunst gelangte. Sieht jetzt anders aus. Kein Wunder, ist 40 Jahre her. Meinecke war aus Hamburg nach München gezogen.

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Was ihn anlockte, kann niemand so einschüchternd formulieren, wie der 62 Jahre alte Pop-Literat: "Es war das politische Moment, das Hedonismus mit Queerness koppelte, Fassbinder Schrägstrich Disco, das war highcamp erst mal, bevor es problematisch wurde." Als Punk zog es ihn in die Disco-Stadt. Er wollte ins P1, als ehemaliger GI-Club für ihn ein Ort der Gegenkultur. Er fuhr mit dem Fahrrad vor, nahm die Luftpumpe mit und hielt sein gelbes Ölzeug im Arm. Der Türsteher schickte ihn weg. Beim nächsten Mal ließ er alles am Rad, marschierte an der Schlange vorbei, grüßte und ging hinein. "Wir fühlten uns erfolgreich, weil wir das Spiel beherrschten, aber es nicht brauchten." Nach 20 Minuten sei er wieder raus, so spannend war es drinnen gar nicht, in diesem engen Seitentreppenhaus im Haus der Kunst.

Er fand bald wichtigere Läden, etwa die Klappe in Schwabing, wo Giorgio Moroder und Klaus Lemke herumhingen. Als "Individual-Anarchist" trug er kurze Haare, Anzüge vom Trödel und Nyltest-Hemden, Ladenhüter von Jeans Kaltenbach. Und er trug die legendäre Zeitschrift zum Verkauf unterm Arm, die er mit Kommilitonen von der Akademie herausgab: Mode und Verzweiflung. Da sie darin auch den Konsum behandelten, wollten sie ein Produkt beilegen - eine LP. Dafür gründeten sie 1980 Freiwillige Selbstkontrolle, eine Art-School-Band wie die Kinks oder Velvet Underground. Sie wurde Münchens renommierteste Combo in der Welt, der britische Radio-DJ John Peel lud sie sechs Mal ein.

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Es geht zurück, vorbei an vergitterten Fenstern: "Da wohnte der Vitali drin!", weiß Meinecke, der auch mit den anderen Direktoren gut Freund ist: Chris Dercon traf er jüngst bei der Geburtstagsfeier des Künstlers Wolfgang Tillmans; auch "den Okwui" (Enwezor) kenne er vor allem über seine Frau, die Künstlerin Michaela Melián, auch F.S.K.-Gründerin. Die Band ist Kunst. Und gut verbandelt. Wilfried Petzi fotografiert hier Ausstellungen. Justin Hoffmann leitet den Kunstverein Wolfsburg. Das jüngste Album haben sie "Akt, eine Treppe hinabsteigend" genannt, fast so wie Duchamp sein Bild, das er 1912 in der Kunststadt München malte.

Meinecke steuert die Terrasse der Goldenen Bar an, ihn fasziniert der Blick hinauf zur Decke der Säulenhalle mit dem Dekor aus "Hakenkreuzen, die so tun, als seien sie keine". Dass Vitali das Nazi-Erbe im Haus unter Stoffbahnen versteckte, ist ihm ebenso ungeheuer wie der "kritische Rückbau" durch Dercon oder die Umbaupläne des Architekten Chipperfield, der mit der "faschistischen Jungfräulichkeit des Gebäudes" mahnen wolle.

"Leider keine Fotos ohne Genehmigung", warnt ein Kellner. Also erst mal ein Melonen-Gazpacho mit Blick auf den Englischen Garten: "Es gibt hier einen Schönheitskult, aber ich finde auch das Bemooste, Wegbröckelnde ganz angenehm."

F.S.K. wurden im Haus der Kunst selbst zum Museumsstück: Die Ausstellung "Geniale Dilletanten" über den deutschen Underground der Achtziger widmete ihnen eine Abteilung. Meinecke gefiel's, nur der Titel nicht: "Wir waren ja nie Genies. Eher Minimalisten wie Brian Eno." Dercon ließ die "Nicht-Musiker" einmal im Westflügel auftreten. Sie spielten auch "Haus der Kunst" von der Platte "X".

Auf dem Album von 2000 wollten sie den Hörern ihrer damaligen Vorliebe für elektronische Musik folgend "trance-artige Erfahrungen mit intelligenter Technomusik mit minimalen Verschiebungen" vermitteln. Auf Track neun repetierten sie nach fünfminütigem Sog aus Steeldrum-Loop und Hi-Hat-Beat die Worte "Haus der Kunst". So mutet es wie eine Hymne auf den Bau an, die wohl einmal in einem Film eingesetzt wurde, Meinecke weiß das nicht mehr so genau. Da kommt der Chef der Goldenen Bar, freut sich über den prominenten Gast, der habe ja hier auch mal als DJ aufgelegt. Und das Fotografieren sei jetzt freilich auch erlaubt.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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