Süddeutsche Zeitung

Fensterputzer:"Das ist mehr als einfach nur Böden schrubben"

Der Gebäudereiniger Ismael Thora putzt in München Fenster. Der 37-Jährige arbeitet in einer Branche, für die es oft an Wertschätzung fehlt.

Von Franziska Stadlmayer

Es ist kurz vor acht Uhr. Erste Sonnenstrahlen fallen auf den Viktualienmarkt, als Ismael Thora aus seinem Auto steigt und im Kofferraum seine Arbeitsgeräte zusammensucht. Viel braucht er nicht. Einen Eimer, einen Lappen, Spülmittel und einen Abzieher. Thora ist Fensterputzer, sein erster Kunde an diesem Dienstag: ein kleines Café am Viktualienmarkt.

Thora packt seine Utensilien in den Eimer und zupft das schwarze T-Shirt mit Firmenlogo zurecht. Die Panoramafenster des Cafés reflektieren den Sonnenschein, auf der Scheibe werden fettige Fingerabdrücke sichtbar. Ismael Thora fährt sich durch die kurzen, schwarzen Haare und legt seine Arbeitsgeräte auf einem Tisch in Fensternähe bereit. "Das ist ein normal verdrecktes Fenster, kein großer Aufwand."

Für ein solches Fenster verwenden Fensterputzer handelsübliches Spülmittel: "Aber ohne Aloe Vera oder andere Pflegezusätze, das macht Regenbogenschlieren." Normal verdreckte Fenster müsse man drei bis viermal im Jahr putzen, empfiehlt der Profi: "Das erhält ihren Wert."

Bevor er das Fenster einschäumt, kommt immer die Rahmenreinigung. Thora drückt ein Microfaser-Tuch mit dem Daumen in der Ecke des Rahmens fest und wischt am Rand entlang. Dann taucht er den länglichen Wischer, der noch immer "Lammfell" genannt wird, obwohl er heute aus Synthetik besteht, in die vorbereitete Seifenlauge und schäumt das Fenster ein. Unten links stockt er, ein Rest Klebestreifen hängt an der Scheibe.

Thora zieht einen kleinen Metallspatel aus seiner Hosentasche. Dann kommt der wichtigste Moment: das Abziehen. "Das muss in einer einzigen Bewegung passieren, wenn ich absetze, gibt es Schlieren", sagt Thora. Er setzt den Abzieher oben in der Ecke an, das Lammfell als Tropfschutz darunter, drückt ihn fest an die Scheibe und entfernt in einer schnellen Zick-Zack-Bewegung den Seifenschaum. Dann streift er den Abzieher am Lammfell ab.

Thora hat Kaufmann gelernt und bei einer großen Supermarktkette als Filialleiter gearbeitet. Dann schulte er auf Gebäudereiniger um: "Ich hatte das Gefühl, dass sich in der Reinigungsbranche Geld verdienen lässt." Zuerst lief es gut. Thora hatte eine kleine Reinigungsfirma mit 15 Mitarbeitern und rentable Aufträge: "Aber dann bin ich genauso auf die Schnauze gefallen wie viele andere."

Er nahm einen großen Auftrag an. Eine Baustellenreinigung mit 40 Mitarbeitern, sechs Monate Arbeit. Aber: "Auf das Geld warte ich bis heute." Die Firma, die den Auftrag an sein Unternehmen weitergereicht hatte, fand immer neue Gründe, wieso sie die ausstehende Summe nicht zahlen würde.

Thora musste Insolvenz anmelden. Seit fünf Jahren liegt der Fall beim Insolvenzverwalter und Thora hat resigniert: "Ich glaube nicht, dass ich von dem Geld noch etwas sehe." Dass größere Firmen Aufträge an kleine Subunternehmer auslagern und dann vertragsbrüchig werden, komme in der Branche häufig vor: "Das dreht sich immer ums Geld. Alles muss noch billiger werden." Für ihn am Schlimmsten: "Auch die städtischen Aufträge zahlen alle unter Tarif. Wenn die kein Vorbild sind, wer dann?"

Oft fehle die Wertschätzung für Aufgaben der Gebäudereiniger. Fensterputzer ist kein eigener Ausbildungsberuf, sondern ein Teilbereich der Ausbildung zum Gebäudereiniger. "Das ist mehr als einfach nur Böden schrubben", sagt Thora. In den Häusern werden immer teurere und speziellere Materialien verbaut, Reinigungskräfte müssen sich dementsprechend mit Chemie auskennen: "Wer da eine scharfe Flüssigkeit auf dem Marmorboden verteilt, hat ein Problem."

Während des Erzählens hat Ismael Thora das nächste Fenster eingeschäumt. "Der Job ist körperlich fordernd", sagt Thora, "Fenster bis 2,50 Meter erreichst du so, aber wenn du den ganzen Tag die Trittleiter brauchst, ist das wie permanentes Treppensteigen." Es ist aber nicht nur die Trittleiter.

Beim Einschäumen und Abziehen muss er mit Kraft gegen die Scheibe drücken: Das geht auf die Arme. Das ständige Strecken und Bücken belastet zusätzlich den Rücken. "Es gibt nicht viele, die das bis zur Rente packen", sagt Thora. Er selbst arbeitet nun beim Reinigungsportal Mr. Cleaner und prüft neue Vertragspartner. "Ich teste die Firmen. Gebe ihnen Aufträge und komme dann unangekündigt vorbei", sagt er.

Sein Job ist ein Handwerk, das ist Thora wichtig. Und wie fast überall im Handwerk, gibt es auch in seiner Branche nicht viel Nachwuchs. Laut Handwerkskammer arbeiten in München 4300 Reinigungsbetriebe, die allerdings insgesamt gerade nur 13 Azubis ausbilden. Ein Grund dafür: Geld. "Reich wirst du mit dem Job nicht", sagt Thora, "ein Fensterputzer verdient die Stunde 13,50 Euro aufwärts." Die Guten, schränkt er ein, arbeiteten aber nicht unter 18 Euro die Stunde. Aber auch 18 Euro netto sind wenig in München. "Ich habe drei Kinder, da drehe ich am Monatsende jeden Cent zweimal um."

Finanziell sehe es in der Branche schlecht aus. Seitdem 2004 die Meisterpflicht weggefallen ist, versuchen sich viele Ungelernte mit Fensterreinigung: "Du brauchst nur einen Gewerbeschein, dann kannst du anfangen zu arbeiten." Auch Rumänen und Bulgaren versuchen sich nun verstärkt in der Reinigungsbranche, oft für sechs bis zehn Euro die Stunde und ohne Versicherung. "Ein seriöser Betrieb sollte für eine Glasreinigung ungefähr 35 Euro die Stunde nehmen", sagt Thora.

Thora geht weiter zu einem Haus in der Nähe des Stachus. Der Besitzer hat eine komplette Terrassenreinigung gebucht, inklusive Wintergartenfenster. Die Fenster seien eine Herausforderung, gut drei Meter hoch und keine durchgängige Scheibe, sondern viele kleine extra eingefasste Scheiben. "Solche speziellen Fenster machen das Abziehen schwierig und alles dauert länger", sagt Thora.

Thora verstaut seine Arbeitsgeräte im Eimer. Hinter ihm funkelt die geputzte Scheibe. Während er zum Auto geht, überprüft ein junger Mann in der Scheibe seine Frisur. Was er sieht, scheint ihm zu gefallen.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2017/amm
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