Eine Kerze ist nur ein kleines Licht. Man zündet sie meist an mit dem Wunsch, ein bisschen Gemütlichkeit ins Zimmer zu holen, ein bisschen Wärme für die Seele an dunklen Winterabenden. Nicht jedem aber tut es gut, wenn es auch drinnen kaum hell wird. Wer sich ohnehin müde und erschöpft fühlt, braucht viel mehr Beleuchtungsstärke. Die wird in der Einheit Lux gemessen, dem lateinischen Wort für Licht und Helligkeit. Davon hat ein brennendes Kerzlein, in einem Abstand von zwei Metern betrachtet, nur sehr wenig: gerade mal 0,54 Lux sind es. Etwa 500 Lux werden in einem durchschnittlich beleuchteten Büroraum gemessen. Ein strahlender Sonnentag dagegen schafft 100 000 Lux. Doch wie viele solcher Tage gibt es von November bis Februar? Nicht genug. Um die Stimmung aufzuhellen, kann es deshalb helfen, in künstlich erzeugte 10 000 Lux zu tauchen, empfehlen Wissenschaftler.
Helligkeit tut gut. Wenn einen im Sommer morgens die Sonne an der Nase kitzelt, kommen die meisten besser auf die Beine, als wenn der Wecker noch im Finsteren klingelt. Manchen drücken die wechselnden Bedingungen der Jahreszeiten besonders aufs Gemüt. "Fünf bis zehn Prozent der Menschen leiden unter Seasonal affective disorder, einer saisonal abhängigen Stimmungsstörung", sagt Oliver Pogarell, geschäftsführender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie in der Nußbaumstraße. Los geht es damit meist im Herbst, wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden. Das kann verschiedene Auswirkungen haben: Bei manchen schwindet die Kraft, den Alltag zu regeln. Nur den Müll rauszubringen, kann zur Mammutaufgabe werden, und Freunde zu treffen, eine Herausforderung.
Antriebslosigkeit ist das Stichwort. Die paart sich nicht selten mit Heißhunger auf Kohlenhydrate, die im Übermaß nicht gesund auf den Organismus wirken. Ist zusätzlich nachts das Schlafen schwierig, beginnt ein Tag nur mit Müh und Not. Ein Teufelskreis, den es in einem ersten Schritt zu erkennen und dann zu durchbrechen gilt. Wer sich bewusst ist, dass er unter einer solchen Winterdepression leidet, dem kann unter Umständen durch eine mehrwöchige Lichttherapie geholfen werden. Dafür wurde sie ursprünglich entwickelt, vor allem um den bei Depressionen gestörten Melatoninzyklus positiv zu beeinflussen. Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse im Zwischenhirn produziert wird und unter anderem auf unseren Tag-Nacht-Rhythmus wirkt. Seit Jahren schon wird Licht als ein Therapiebaustein neben Medikamenten zur Stabilisierung auch von Patienten mit nicht jahreszeitlich bedingten Depressionen eingesetzt. Pogarell hat gute Erfahrungen mit diesem Angebot gemacht.
Der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie führt in der Innenstadtklinik der Ludwig-Maximilians-Universität zu einem Raum, in dem jeden Morgen von sieben Uhr an Patienten zur Therapie kommen. Zwei flächige Lichtquellen hängen dort an der Wand, insgesamt gut vier Quadratmeter groß. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein Poster mit blauem Himmel und weißem Strand an die Wand gepinnt. Dazwischen stehen Stühle. Die Patienten, die regelmäßig für eine halbe Stunde hier herkommen, darf man nicht befragen, wie sie die Sitzungen erleben. Aber Pogarell ermöglicht die Selbsterfahrung und knipst während des Gesprächs die Lampen an.
Die Lichtshow mit 10 000 Lux beginnt. Schnell fühlt man sich vom Licht umhüllt wie von einem großen, weißen Seidentuch. Am liebsten möchte man die Augen schließen und sich mit dem Strandbild im Kopf auf die Malediven oder in die Südsee träumen. Doch Augen auf ist die Devise. Denn das Licht wird über die Netzhaut aufgenommen. Es hat keine UV-Anteile, deshalb kann man, anders als bei der Sonne, gefahrlos direkt in die Lampen schauen. Das Licht blockiere die Freisetzung von Melatonin, erklärt der Professor, dadurch trete ein antidepressiver Effekt auf. Denn das Hormon ist ein Müdmacher. Deshalb empfiehlt er seinen Patienten die Therapie am besten schon frühmorgens.
Das Licht hilft, den hochkomplexen Stoffwechsel im Gehirn, an dem unter anderem auch Serotonin und Dopamin beteiligt sind, anzuregen. Zudem, sagt Pogarell, gebe der Start mit einer etwa halbstündigen Lichtdusche dem Tag eine gute Struktur. In der Klinik werden auch kleinere Lichtquellen für die individuelle Therapie eingesetzt. Die Geräte haben etwa DIN-A-3-Format und sind auf Gesichtshöhe aufgestellt. Schon ab 35 Euro gibt es Tageslichtlampen im Handel auch für zu Hause zu kaufen. Entscheidend sei bei solchen Geräten nicht die Marke, sondern dass sie tatsächlich 10 000 Lux abgeben, erklärt eine Sprecherin des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Auch hier wird seit gut fünf Jahren Lichttherapie als ergänzende Methode verwendet.
Die beste Zeit für eine Lichtdusche muss nicht unbedingt schon vor Sonnenaufgang sein. Der optimale Moment ist nämlich individuell durchaus unterschiedlich. Welcher Chronotyp man ist, also eher ein Morgen- oder Abendmensch, lässt sich durch Tests ermitteln. Auf der Webseite des Center for Environmental Therapeutics (CET) in New York etwa findet man - auch auf Deutsch - diverse Fragen dazu. Nach der erreichten Punktezahl gibt es Anweisungen, falls die innere Uhr im Verhältnis zur äußeren verschoben ist, zu welcher Uhrzeit man sich vor einen Lux-Spender setzen soll, um den Tag-Nacht-Rhythmus zu synchronisieren. Das soll helfen, tagsüber fitter auf den Beinen zu sein und nachts besser zu schlafen.
Neben vielen Tipps zu natürlichen Therapiemethoden ist auf der Webseite auch ein Fragebogen zur Einschätzung des momentanen Gemütszustands. Zu beantworten ist etwa, wie interessiert man momentan an Dingen sei und wie sehr man sich zwingen müsse, ihnen nachzugehen. Doch Vorsicht: Solche Tests ersetzen nicht die langjährige Erfahrung eines Arztes. Der Diagnose eines Psychotherapeuten wie etwa Pogarell geht eine profunde Untersuchung voraus. Die allerbeste Lichttherapie sei übrigens, so der Oberarzt, wenn möglich, ein Spaziergang bei strahlendem Sonnenschein.