Besondere Berufe:Was macht eigentlich ein Nachlasspfleger?

Besondere Berufe: "Alles, was im Leben passiert, landet bei uns auf dem Schreibtisch", sagt Bertram Rudolf. "Und das ist auch das Spannende an unserem Job." Zu dem gehört außerdem stets große Diskretion.

"Alles, was im Leben passiert, landet bei uns auf dem Schreibtisch", sagt Bertram Rudolf. "Und das ist auch das Spannende an unserem Job." Zu dem gehört außerdem stets große Diskretion.

(Foto: Robert Haas)

Bertram Rudolf tritt in Aktion, wenn die Erben eines Toten nicht zu ermitteln sind. Dann muss er in Wohnungen, in denen seit langem niemand mehr war - oder als Chef eines Unternehmens einspringen.

Von Christina Hertel

Wenn Leichen mehrere Tage in einer Wohnung liegen, setzt sich ihr Geruch überall fest. In den Möbeln, den Vorhängen, den Teppichen. Alles waschen hilft nichts. Es kann sein, dass man den Putz von den Wänden schlagen muss, weil sonst der Geruch immer wieder zurückkommt.

Bertram Rudolf muss in solche Wohnungen rein. Er ist Nachlasspfleger und wird immer vom Gericht eingesetzt, wenn sich die Erben von Verstorbenen nicht ermitteln lassen. Seine Aufgabe ist es, festzustellen, was zu einem Erbe gehört und wer überhaupt alles etwas bekommen soll. Und das ist oft gar nicht so einfach. Es dauere meist drei bis vier Monate, manchmal Jahre, sagt Rudolf.

Er ist an die zwei Meter groß und trotz seiner Größe keiner, der sich in den Mittelpunkt drängt. Wenn er spricht, klingt es immer ruhig und bedacht. Er tratscht nicht, er quatscht nicht. Zu seinem Beruf gehört die Diskretion. Und ebenso nüchtern ist seine Kanzlei in Nymphenburg. An den Wänden ein paar abstrakte Bilder, in der Ecke ein Stehpult mit einem aufgeschlagenen Notizbuch. Auf dem runden Glastisch liegen mehrere Akten mit grünem Umschlag.

Sie sind das Erste, was Rudolf vom Nachlassgericht bekommt. Darin steht alles, was bis dahin über den Toten bekannt ist. Wie schwierig sein Job werden kann, ahnt Rudolf manchmal schon nach dem ersten Durchblättern. Zum Beispiel, wenn da der Vermerk "bitte desinfizieren lassen" steht. Das kann heißen, dass er in eine Wohnung muss, wo seit Jahren nicht geputzt wurde, wo sich der Müll stapelt, wo Ungeziefer haust. In seinem Aktenkoffer hat er deshalb immer Atemschutzmaske, Gummihandschuhe und Überzieher für die Schuhe dabei.

Nach Polizei und Feuerwehr sind Rudolf und seine Kollegen oft die Ersten, die Wohnungen von Verstorbenen betreten. Ihr Ziel ist es, Wertgegenstände zu finden, die zum Nachlass gehören, und Dokumente, mit denen sich ermitteln lässt, wer das alles bekommen soll. Geburtsurkunden, Scheidungspapiere. "Alles, was im Leben passiert, landet bei uns auf dem Schreibtisch", sagt Rudolf. "Und das ist auch das Spannende an unserem Job."

In den Wohnungen arbeitet er sich immer von links unten nach rechts oben Stück für Stück vor. Rudolf weicht nie von diesem System ab. Bei jeder Kette, jeder Münze, jeder Briefmarke muss er sich fragen, ob sie wertvoll sein könnte. Wenn ja, muss er den Gegenstand zu Geld machen, oft in den großen Auktionshäusern. Aber die nehmen eben nur Dinge, die wirklich wertvoll sind. "In letzter Konsequenz verkaufen wir auch bei Ebay."

Die Detektivarbeit ist das Spannende an dem Job

Beim Durchforsten der Wohnungen sieht Rudolf auch Dinge, die eigentlich nie für fremde Augen bestimmt waren. "Es gibt Unangenehmes", sagt er, verrät aber nicht, auf was er schon alles gestoßen ist. Es sei aber schon vorgekommen, dass er zum Beispiel Fotos weggeschmissen habe, damit Entrümpler, die nach ihm in die Wohnung kommen, sie nicht sehen. Solche Erlebnisse kann man nicht einfach nach Feierabend vergessen. Mit Freunden oder seiner Frau darüber zu sprechen, geht aber auch nicht. Rudolf ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. "Das ist mein Job - wie bei allen anderen Anwälten."

Rudolf ist Jurist wie die meisten Nachlasspfleger in München. Zwingend notwendig ist ein Jurastudium nicht, auch Menschen mit einer kaufmännischen oder einer Verwaltungsausbildung können Nachlasspfleger werden. Gemeinsam mit Sylvia Mednansky führt Rudolf seine Kanzlei. Sie ist hauptsächlich für die Ermittlung der Erben zuständig.

Ihre Arbeit ist ein bisschen wie Detektivspielen: Sie forscht in den Archiven, auf Friedhöfen, immer auf der Suche nach einem neuen Anhaltspunkt. Auch Mednansky hat einen juristischen Hintergrund. Bevor sie mit Rudolf die Kanzlei eröffnete, war sie am Nachlassgericht tätig. "Um den Job gut machen zu können, braucht man juristische Kenntnisse", sagt Rudolf. Vor allem, weil sein Beruf ja aus viel mehr besteht als darin, in vermüllten Wohnungen herumzuwühlen.

Bis die Erben feststehen, ist er allein für den Nachlass verantwortlich. Das kann zum Beispiel heißen, dass er eine Zeitlang die Chefposition in einem Unternehmen einnehmen muss. Wie in einem Fall, den Rudolf vor Kurzem abschloss: Bis zu seinem Tod mit 80 Jahren führte der Mann seine Firma allein. Das Geschäft lief gut, die Auftragsbücher waren voll. Er hatte sich auch überlegt, wer alles erben sollte - doch die Familie fand zwei Testamente. Ein Streit entbrannte.

Rudolf wurde schließlich vom Gericht eingesetzt, um alles zu verwalten, bis die Sache geklärt war. Und das hieß auch, dafür zu sorgen, dass die Geschäfte weiterlaufen. Die Schwierigkeit: Weil der Mann immer alles allein gemacht hatte, gab es niemanden, der sich auskannte, niemanden, der Rudolf helfen konnte. "Innerhalb einer halben Stunde musste ich mich darauf einstellen, eine Firma mit 50 Angestellten zu führen", sagt der Nachlasspfleger und man hört, dass er Respekt vor der Sache hatte, aber auch, dass ihn solche Aufträge besonders reizen.

Der Job: Ein Zufall

Er sei eher durch Zufall zu seinem Beruf gekommen, sagt Rudolf. Während des Studiums machte er ein Praktikum bei einem Nachlasspfleger. Und doch muss eine bewusste Entscheidung dahinter gesteckt haben. Denn damals, vor etwa 30 Jahren, gab es nur zwei, drei Kanzleien, die darauf spezialisiert waren. "Der einzige Weg, ein Nachlasspfleger zu werden, war, eine gewisse Zeit für einen zu arbeiten." Warum er sich dafür entschieden hat, kann Rudolf nicht mehr erklären. Fest steht, dass er seinen Job mag, die Detektivarbeit, dass er nie weiß, welcher Fall als nächstes kommt.

Aber er sagt auch: "Als junger Mensch kommt man leichter damit klar, jeden Tag mit dem Tod konfrontiert zu sein." Je älter er werde, desto stärker denke er daran, dass auch das eigene Leben irgendwann ende. Trotzdem kann sich Rudolf nicht vorstellen, seinen Beruf aufzugeben. "Wenn ich mein Leben lang nur mit Nachbarschaftsstreitigkeiten zu tun gehabt hätte, hätte ich wohl schon längst hingeworfen."

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