SZ-Serie: Gut ausgedacht, Folge 5:Hochfliegende Träume

Der erste bemannte Schwingenflug der Welt fand 1946 auf einer Wiese in Pasing statt. Ihr Geld aber verdienten die genialen Gebrüder Max und Rudolf Pause mit Modellfliegern, die reißenden Absatz fanden

Von Jutta Czeguhn

Genial! Heinrich Eder ist wohl niemand, der dieses Wort inflationär verwenden würde. Doch in diesem Fall geschieht es aus tiefster Überzeugung. Nicht anders als genial sei diese Erfindung einzuschätzen, der Drei-Zylinder-Motor von Rudolf Pause aus den 1920er-Jahren. Seine Expertise scheint verlässlich zu sein, der Pasinger Pensionist ist Physiker und interessiert sich seit frühester Jugend brennend für Flugtechnik und fliegende Objekte. Etwa 50 Modellflugzeuge hat er inzwischen gebaut. Zudem ist der 77-Jährige selbst Erfinder, und zwar der ersten bleifreien Röntgenschürze, wie er am Telefon etwas beiläufig berichtet. Doch nicht genug, Eder hat in seiner Werkstatt auch ein Original jenes Pressluftmotors, Baujahr 1925, den er so bewundert. Unlängst hat er ihn über einen Sammler aufgetrieben. Das Ding hat in Tschechien die Wirren der vergangenen 100 Jahre überdauert.

Unbespannte Tragfläches eines Schwingenflugzeugs von Rudolf Pause , Pasing 1935

Pause arbeitete auch an Schwingenflugzeugen (hier 1935).

(Foto: Pasinger Archiv/oh)

Die Pauses, es sind ihrer zwei, die Brüder Max und Rudolf, gehören zu den wohl beeindruckendsten in der Riege schillernder Pasinger Erfinder-Persönlichkeiten. Heinrich Eder ist im Jahresheft von 1994 des Pasinger Archivs auf sie gestoßen und war höchst erstaunt, als er da von frühen Luftfahrtpionieren, Flugplätzen und Jungfernflügen las. Und das alles in Pasing! Der damalige Archivleiter Helmut Ebert und sein Neffe Thomas Hasselwander hatten da ein spannendes, nahezu vergessenes Kapitel Luftfahrtgeschichte rekonstruiert. Wie überhaupt man in den Annalen ihres Archivs (www.pasinger-archiv.privat.t-online.de) fündig wird, wenn man sich auf die Suche nach örtlichem Erfindergeist begibt. Wo etwa wurde der Welt erste Messerputzmaschine erdacht? Von wo aus eroberten die Dr.-Martens-Treter den globalen Schuhmarkt? Wo wurde waffentauglicher Kartoffelgrieß erfolgreich zum Kriegseinsatz gebracht? Richtig, in Pasing.

Prospekt über Modellflugangebote der Pasinger Firma Pause

Verkauft wurde auch per Katalog.

(Foto: Privat)

Doch zurück zu den flugverrückten, unermüdlichen Pauses, die in den Zehner- und Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts laut Recherchen des Archivs jährlich mehr als 30 000 Flugzeuge produzierten. Okay, Modellflugzeuge hauptsächlich, aber nicht ausschließlich. Da ist zunächst Max Pause, der kommt 1909 von Heidelberg nach Pasing, mietet sich eine Halle bei der Eggenfabrik, wo er an hochpräzisen Modellen für seine - großen - Flugapparate tüftelt. 1911 präsentiert er diese Prototypen jedoch schlauerweise bei der Spielwarenmesse in Leipzig - und dann hebt sein Geschäftsmodell förmlich ab. Volle Auftragsbücher, ein regelrechter Hype um die kleinen Flieger, mit denen Max Pause die Produktion echter Flugzeuge finanzieren will. Doch der enorme Erfolg drohte dem Konstrukteur über den Kopf zu wachsen, also holt er seinen Bruder Rudolf nach Pasing, das Unternehmen wächst, selbst in den Weltkriegsjahren. Firmensitz ist nun ein Anwesen an der Paosostraße. Doch die Brüder übernehmen und überwerfen sich, Max verlässt die Firma, verlegt sich auf Holzspielwaren, den "Münchner Kindl-Baukasten", ein Welterfolg.

Pressgasmotor Rudolf Pause 1925

Zu ihren Hochzeiten verkaufte das Pasinger Flugmodellwerk Rudolf Pause an die 30 000 Exemplare jährlich.

(Foto: Privat)

Rudolf Pause bleibt dem Flugzeugbau treu. Das Pasinger Archiv kommt nicht umhin, ihn einen "Fantasten" zu nennen, angesichts schwindelerregender Höhenflüge und finanzieller Loopings. In Pauses besten Zeiten beschäftigt das Flugmodellwerk Pause 75 Mitarbeiter und bringt es auf einen riesigen Jahresumsatz von knapp einer Million Mark. Die kleinen Flieger mit Modellnamen wie "Spatz", "Storch" oder "Ente", angetrieben unter anderem mit Gummizug-Propellern, sind ein Verkaufsschlager und sogar Anschauungsobjekte im Schulunterricht.

Heinrich  Eder Pasing, Physiker und Erfinder der bleifreien Röntgenschürze

Der Pasinger Physiker und Storchenforscher Heinrich Eder hat sich auf Pauses Spuren begeben und einen Original-Pressgasmotor erworben.

(Foto: Privat)

Die wahre Leidenschaft des Tüftlers Rudolf Pause, und wohl auch seines Bruders Max, aber sind zeitlebens die richtigen Flugzeuge. Schon 1910 wird mit den Namen Pause jener Pressgasmotor in Verbindung gebracht, der Heinrich Eder heute noch fasziniert: "So etwas habe ich noch nie gesehen, ein Motor, der sich selbst über die Zylinder steuert, ohne dass man zusätzliche Ventile oder Verteiler braucht." Angetrieben wurde das Ganze durch Druckluft aus einer Gasflasche. "Luft kostet nichts", sagt Eder, und erinnert daran, dass die Autoindustrie, vor allem die französische, den Traum vom Motor, der Luft ansaugt und frische Luft wieder ausbläst, längst nicht aufgegeben habe. Erster Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg. Flugzeug-Visionär Rudolf Pause versucht stets, die Nase oben zu halten, was einem wie ihm, der - laut Pasinger Archiv- Gewinne sofort wieder in neue Fantastereien steckt, eher schlecht als recht gelingt. 1929 erregt er Aufsehen mit einem in seinem Betrieb entwickelten muskelbetriebenen Schwingenflugzeug. Von einem Hügel an der heutigen Bodenseestraße aus unternimmt Pause damit, so schreiben die Archiv-Autoren, "sagenhafte" Luftsprünge, Reichweite zwölf Meter. Doch der Pasinger Leonardo da Vinci lässt nicht locker. Jahre vergehen, nach Plänen des bei ihm beschäftigten, nicht weniger genialen Konstrukteurs Adalbert Schmid baut Pause ein Schwingen-Segelflugzeug. Am 26. Juni 1942 wird der Muskelkraft-Flieger auf einer Wiese an der Agnes-Bernauer-Straße, dort, wo heute das Westbad steht, zu einem 900-Meter-Flug aufbrechen. Schenkt man den Pause-Experten vom Pasinger Archiv Glauben, dann war das der erste bemannte Schwingenflug der Welt.

In der Folge werden Schmid und Pause den Schwingenflügler freilich mit Motoren versehen, doch das Projekt endet jäh. Nicht kriegswichtig, befinden die NS-Machthaber. Auch die "Pause-Mücke", ein bereits 1939 entwickeltes zweisitziges Sport- und Reiseflugzeug, kommt kriegsbedingt über einen Prototyp nicht hinaus. Rudolf Pause ist allerdings nicht nur Opfer des Zeitgeschehens, sondern auch Nutznießer. So werden in seinem Werk nach den Recherchen des Pasinger Archivs nicht nur Munitionskisten gefertigt, Pause entwickelte auch Flugmodelle für den Flugzeugerkennungsdienst der Wehrmacht, sie kommen auch bei der Ausbildung von Piloten und Flak-Helfern zum Einsatz. Die Ironie der Geschichte: In den letzten Kriegstagen wird Pauses Anwesen an der Bodenseestraße bei einem Bombenangriff zerstört.

Nach dem Krieg versuchte Rudolf Pause - letztlich erfolglos - wieder auf die Beine zu kommen, etwa durch die Produktion von Wohnwagen. Nahezu verarmt, blieb er ein Mensch der Lüfte und der hochfliegenden Träume. Noch bis zu seinem Tod, er starb 80-jährig in den Sechzigerjahren, stellte der geniale Pasinger Flugzeugvisionär Berechnungen an und zeichnete Pläne. Denn er glaubte fest daran: Eines Tages würden Menschen in einem Schwingenflugzeug von Europa nach Amerika fliegen, in acht bis zehn Stunden.

Die Serie wird in loser Folge fortgesetzt.

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