SZ-Serie: Große Tiere:Im Namen der Entdecker

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Springbarsch Obama und Pferdebremse Beyoncé - Tierarten haben oft kuriose Bezeichnungen. Eine neue SZ-Serie stellt Vögel, Reptilien und auch Säugetiere vor, die nach Münchnern benannt sind

Von Hans Holzhaider

Wir nennen sie Maulwurf und Spitzmaus, Ringelnatter und Kreuzotter, Nashorn und Nilpferd, Gorilla und Schimpanse, Gämse, Hirsch und Steinbock. Ein jedes Tier braucht einen Namen, und wenn ein Tier entdeckt wird, das noch keinen Namen hat, dann muss man ihm schleunigst einen geben. So stellen wir uns das jedenfalls vor. Wie hätte denn Noah von jedem Tier zwei auf seine Arche bringen sollen, ein Männchen und ein Weibchen, wenn er nicht gewusst hätte, wie sie alle heißen?

Ob Gott, als er Noah den Auftrag gab, von jedem Vieh und jedem Vogel und jedem Gewürm auf Erden zwei Exemplare auf die Arche zu schaffen, wirklich wusste, was er da forderte? Wusste er, dass es mehr als 350 Arten Spitzmäuse gibt, von der Langschwanz-Moschusspitzmaus bis zur Vulkan-Zwergspitzmaus? Dass es ungefähr tausend Arten in der Ordnung der Chiroptera gibt, der Handflügler, zu denen die Fledermäuse und die Flughunde zählen? Oder gar an die 15 000 Arten in der Familie der Chironomidae, der Zuckmücken - beschriebene Arten, wohlgemerkt, und ungefähr noch einmal so viele noch nicht beschriebene? Über die Gesamtzahl der Tierarten auf der Erde gibt es weit auseinander liegende Schätzungen, die von zwei bis acht Millionen bis zu mindestens 30 Millionen reichen. Und alle, alle brauchen einen Namen.

Die Taxonomie, also das Verfahren zur Vergabe wissenschaftlicher Namen an Tier- und Pflanzenarten, ist eine Wissenschaft für sich. Sie gründet sich, natürlich, auf Carl von Linné, den großen schwedischen Naturforscher des 18. Jahrhunderts, der die binäre Nomenklatur erfunden hat - die Benennung einer Tier- oder Pflanzenart mit einem zweiteiligen Namen, der aus dem Gattungs- und dem eigentlichen Artnamen besteht - zusammen bilden sie den Artnamen. Seit Linné wurde dieses System unendlich modifiziert und verfeinert; heute ist es in einem Regelwerk zusammengefasst, dem "International Code of Zoological Nomenclature", kurz ICZN - ein Werk, das sich nicht unbedingt als Bettlektüre eignet.

Der Wissenschaftler, der eine vermeintlich neue Tierart benennen will, steht zunächst vor der schwierigen Aufgabe festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine neue Art oder nur um die Variante einer schon bekannten und beschriebenen Art handelt. Oft gehören Tiere, die völlig unterschiedlich aussehen, dennoch zur selben Art. Der Haushund ist das schönste Beispiel dafür. Ob Zwergpinscher, Mops oder Berner Sennenhund - sie alle gehören zur Unterart Canis lupus familiaris. Wohingegen bei manchen Insekten schon die unterschiedliche Äderung der Flügel oder die Form des Penisinnensacks zur Definierung einer neuen Art ausreichen. Als nächstes prüft der Taxonom, ob die Art, die er entdeckt zu haben glaubt, nicht doch schon irgendwo unter einem anderen Namen beschrieben wurde - eine komplizierte und aufwendige Recherche. Wenn auch das erledigt ist, darf er das Tier benennen. Die Gattung steht ja meistens fest, er muss also noch den eigentlichen Artnamen festlegen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Der Artname kann den Lebensraum, den Fundort, die Größe, die Form, die Farbe, die Anzahl der Beine, Fühler oder Flügel, und unzählige andere Eigenschaften des Tieres beschreiben. Oder er kann das Tier nach einer Person seiner Wahl benennen - seien es wirkliche oder fiktive Personen. Amerikanische Wissenschaftler haben fünf neu entdeckte Springbarsch-Arten nach Barack Obama, Jimmy Carter, Teddy Roosevelt und Bill Clinton benannt. Es gibt eine australische Pferdebremse, die nach der Sängerin Beyoncé benannt ist, angeblich wegen ihres goldenen Hinterteils. Es gibt Wespenarten, die nach Frodo, Bilbo und Gandalf aus dem "Herrn der Ringe" benannt sind. Bedingung ist nur, dass der Name in lateinischer Schrift geschrieben und in latinisierter Form verwendet wird - zum Beispiel mit der Endung - ensis in einer Herkunftsbezeichnung oder den Genitivformen -i oder -ae bei Personennamen. Wollte jemand also eine neu entdeckte Art der Gattung Corvus nach SZ-Chefredakteur Kurt Kister benennen, dann hieße das Tier Corvus kisteri (oder auch kurtkisteri). Verboten sind Sonderzeichen, also etwa die deutschen Umlaute ä, ö und ü. Sollte eine neue Art der Gattung Alouatta etwa nach dem bayerischen Finanzminister Söder benannt werden, dann wäre die korrekte Schreibweise Alouatta soederi.

Wenn der Taxonom sich nun noch vergewissert hat, dass der gewählte Name nicht schon vergeben ist, und wenn er seine Beschreibung dann noch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht, dann hat das Tier einen Namen. Ein- für allemal und unwiderruflich.

In der kleinen Serie, die heute startet, haben wir nach Tieren gesucht, die nach Münchnern benannt sind. Es gibt davon mehr, als man glauben möchte - wenn man den Begriff "Münchner" nicht allzu streng auslegt. Wir haben es für ausreichen erachtet, wenn der Namenspatron zumindest einen längeren, wichtigen Lebensabschnitt in München verbracht hat. Ein Tier, das nach Franck Ribery benannt ist, hätten wir ohne weiteres aufgenommen - wenn es eins gäbe. Leider haben wir auch vergeblich nach einem franzjosefstraussi oder einem beckenbaueri gefahndet.

Die meisten der Namensgeber waren auf die eine oder andere Weise mit der Zoologischen Staatssammlung München verknüpft, einer der größten naturkundlichen Forschungssammlungen der Welt. Den Mitarbeitern der Sammlung, die uns bei den Recherchen zu dieser Serie tatkräftig und geduldig unterstützt haben, danken wir herzlich.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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