SZ-Serie: Familienbande, letzte Folge:Im Schatten des Sohnes

Jesper Munk kann genau das Leben als Berufsmusiker führen, das seinem Vater Rainer Germann trotz großer Ambitionen verwehrt geblieben ist. Ist er neidisch? "Ich bin stolz", sagt der 52-Jährige

Von Michael Bremmer

Jesper Munk hat einen Sommermund. Immer schönes Wetter. Dabei ist gar nicht so leicht zu durchschauen, wie es ihm gerade wirklich geht. Februar 2014, der junge Münchner Bluesmusiker steht beim "Redwinetunes"-Festival im Feierwerk auf der Bühne und lächelt. Er lächelt keineswegs spöttisch, eher herzlich. Er moderiert seinen nächsten Song an. Er sagt: "Andere Musiker haben eine Setliste vor sich liegen. Ich habe meinen Vater, der mir sagt, welcher Song wann kommt."

Jesper Munk, 24, und seinen Vater Rainer Germann, 52, verbindet die Liebe zur Musik. Und natürlich erleben die beiden die üblichen Momente, wenn Vater und Sohn im gleichen Metier tätig sind - nur hier mit umgekehrten Vorzeichen. Hier ist es nicht der Sohn, der in die übergroßen Fußstapfen seines Vaters steigen will, hier ist es nicht der talentierte Jungspund, der immer wieder an die herausragenden Leistungen und Erfolge seines Vaters erinnert wird, ganz egal, ob es sich jetzt um einen Fußballspieler wie Lukas Scholl handelt oder um einen Schauspieler wie Hardy Krüger junior. Hier geht es nicht um den Sohn von ... Hier ist es Rainer Germann, Jahrgang 1964, der immer wieder Fragen zu seinem Sohn beantworten muss, der sich immer wieder erklären muss - gerade im Umfeld von Musikern.

Die Superlative häufen sich. Vergangenes Jahr war ein Porträt über Jesper Munk die Titelgeschichte im Platea Magazine - die Überschrift: "Wenn er singt, klingt es, als hätten Amy Winehouse, Jimi Hendrix und Jack White beim Feiern ein Wunderkind gezeugt." Journalisten bezeichnen ihn schon mal als "Bluesrock-Wunderknaben" oder "Blues-Sensation", selbst das Justin-Bieber-Blatt Bravo hat die "einzigartige Neuentdeckung" aus München mitbekommen. Und natürlich macht es Rainer Germann stolz, dass sein Sohn mit Sportfreunde Stiller auf Tour gegangen ist oder mit Eric Burdon & The Animals.

Es gibt da aber auch Momente, die ärgern den Bassisten, der seit seiner frühen Jugend Musik macht und der in sicherlich einem halben Dutzend Bands gespielt hat. Da sind die Momente nach Konzerten seiner eigenen Band, wenn er auf Jesper Munk angesprochen wird, zum Beispiel. "Ich finde es dann manchmal schon sehr schade, dass es jetzt nicht um die eigene Musik geht", sagt er. Da steht er eine Stunde auf der Bühne, "und dann wird man reduziert auf den Vater von ..." So etwas stinkt ihm, das sagt Germann sehr direkt, so wie er häufig vieles sehr offen und direkt sagt.

SZ-Serie: Familienbande, letzte Folge: Mehr Musiker-Kumpels als Vater-und-Sohn-Verhältnis? Jesper Munk (links) und Rainer Germann haben eine außergewöhnliche Beziehung.

Mehr Musiker-Kumpels als Vater-und-Sohn-Verhältnis? Jesper Munk (links) und Rainer Germann haben eine außergewöhnliche Beziehung.

(Foto: Robert Haas)

Das Verhalten der Fans könne er ja noch verstehen. Was ihn nervt, ist die eine Frage von Musikerkollegen, die ihm immer wieder gestellt werde: "Bist Du neidisch?" Neidisch auf den Erfolg seines Sohnes? Neidisch auf den Karriereschritt, den er selbst als Musiker nie geschafft habe? Rainer Germann gibt immer die gleiche Antwort auf diese Frage: "Nein, ich bin stolz." Auf seinen Sohn, keine Frage. Ein klein wenig aber auch darauf, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein. "Im Großen und Ganzen sehen die Leute schon den Zusammenhang", sagt er dann.

Den Zusammenhang? Klar ist, dass Rainer Germann einen großen Anteil am Erfolg seines Sohnes Jesper Munk trägt. Er hat ihn musikalisch geprägt, er hat ihn am Anfang beim Songwriting und bei den Arrangements unterstützt, er hat Munks erste Platte produziert, er hat am Anfang in seiner Band Bass gespielt, er war Manager und Berater in Personalunion. Das ist die eine Seite. Die andere: Rainer Germann kann, wie Bekannte sagen, ein sehr dominanter Mensch sein, was es für seinen Sohn schwierig macht, sich zu emanzipieren, seinen eigenen Weg zu gehen.

Familienbande

Wenn Kinder den Beruf der Eltern ergreifen, kann das schön und manchmal schwierig sein. Eine Serie über bekannte Münchner und deren Söhne und Töchter. Letzte Folge

Das kann ein Grund sein, warum Jesper Munk vor einigen Monaten von München nach Berlin gezogen ist. "Ich habe mir die Zeit genommen, die man sich normalerweise nach dem Abi nimmt." Zeit für Selbstfindung, Reflexion, solche Dinge - bei Jesper Munk hatte nach der Schule gleich ohne Pause die große Musikkarriere angefangen. Damals war keine Zeit, ein wenig über den Sinn des Lebens zu grübeln.

Sommer 2016, Jesper Munk spielt ein Konzert in seiner Heimatstadt, ist von Berlin nach München gekommen. Vater und Sohn sitzen in der Gaststätte Fraunhofer, im Hinterhof oberhalb der Theaterkneipe "Kulisse" wohnt die Familie. Der Sohn trinkt ein Helles, der Vater Rotwein. Der Sohn trägt ein sommerliches, orangefarbenes Hemd, der Vater ein luftiges blaues Oberteil. Das Gespräch: intensiv. Der eine lehnt sich entspannt zurück, hört aufmerksam zu und meldet sich dann pointiert zu Wort. Der andere: von der Körperhaltung her angespannt, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, den Gesprächspartner immer im Blick.

Jesper Munk hält sich zurück im Gespräch, kommt manchmal gar nicht zu Wort. Rainer Germann hingegen antwortet immer sehr schnell. Er sei häufig hitzköpfig, gibt er zu, das komme von seinem südlichen, ja Münchner Temperament. Sein Sohn Jesper hingegen, "ist immer eher ruhig gewesen", sagt Germann, "das ist das dänische Temperament seiner Mutter", Helle Munk. Ein Gegensatz, der auch beim gemeinsamen Musizieren am Anfang der Karriere von Jesper Munk zu spüren war. "Ich wollte immer machen, loslegen", sagt Rainer Germann heute, sein Sohn bremste ihn dann immer wieder: Jetzt warte doch mal.

SZ-Serie: Familienbande, letzte Folge: Mit seiner Band Cat Sun Flower stand Rainer Germann selbst kurz vorm Durchbruch.

Mit seiner Band Cat Sun Flower stand Rainer Germann selbst kurz vorm Durchbruch.

(Foto: oh)

Was man merkt: Die beiden haben ein ungewöhnliches Vater-Sohn-Verhältnis. Zwei gute Kumpels. Sie stehen häufig im Kontakt, telefonieren mindestens einmal die Woche, schicken sich regelmäßig Nachrichten, meist geht es um Musik, Band-Entdeckungen, Musikvideos.

Vor ein paar Monaten ist Germann zu seinem Sohn nach Berlin gereist, um bei den aktuellen Plattenaufnahmen dabei zu sein. Am ersten Abend war er bei einem Benefiz-Konzert, das Munk für einen Freund, der im Internet gelinkt wurde, gespielt hat - bis 7.30 Uhr am nächsten Morgen ging die Feier. Ein bisschen schlafen, dann ins Tonstudio - bis 4 Uhr in der Nacht. "Berlin wäre mir mittlerweile zu anstrengend", sagt Rainer Germann nach dieser Tour. "Da hat mein Dad einen falschen Eindruck bekommen", sagt Jesper Munk - seine Studio-Crew habe Familie, könne gar nicht die ganze Zeit um die Häuser ziehen. "Da hat er sich die richtigen Tage ausgesucht", sagt Munk und lacht.

Der Umgang ist freundschaftlich, keine Frage - häufig hat man das Gefühl, hier treffen sich zwei befreundete Musiker, Verwandtschaft spielt nur eine nebensächliche Rolle.

Um das zu verstehen, lohnt der Blick zurück. Bei beiden.

Rainer Germann spielt seit 1982 in Münchner Bands: The Broken Colours, Marionetz, The Mask, Cat Sun Flower und, relativ frisch: Fuck Yeah! Schon Germanns Eltern haben es bei ihm mit klassischer Musikerziehung probiert, haben ihn zum Bockflöten-Unterricht geschickt, doch dann entdeckte Germann den Punk - und über diesen Weg die Musik: Punk, Punkrock, Wave, Indie. Er brachte sich selbst Bass bei, seine ersten Bands waren sehr vielversprechend. Es gab Lob in der Presse. Aber richtig erfolgreich? Fehlanzeige.

SZ-Serie: Familienbande, letzte Folge: Am Anfang seiner Karriere hat Jesper Munk Straßenmusik gemacht, dabei wurde er entdeckt.

Am Anfang seiner Karriere hat Jesper Munk Straßenmusik gemacht, dabei wurde er entdeckt.

(Foto: oh)

"Er wurde immer unter Wert geschlagen", sagen Freunde. Mit Cat Sun Flower träumte er dann vom Durchbruch. Die Band spielte als Support von Oasis. Noch heute erinnert er sich an seine Stimmung damals: "Jetzt passiert was. Jetzt hat Dich jemand auf dem Schirm." Er unterschrieb Mitte der Neunzigerjahre einen Verlagsvertrag bei Warner, erhielt einen Vorschuss und konnte zum ersten Mal nur von dem Geld leben, das er als Musiker verdiente. Rainer Germann war euphorisiert zu dieser Zeit, jetzt hatte er das geschafft, wovon er so lange geträumt hat. Aber das Hochgefühl hielt nicht lange, er musste spüren, dass das Musikgeschäft doch nicht so einfach ist. So hoch ist der Vorschuss letztendlich auch nicht gewesen - und dann war er ja auch zu dieser Zeit schon für eine Familie verantwortlich. Er erinnert sich und sagt: "Wenn der große Erfolg ausbleibt, wenn aus dem Strom ein Plätschern wird", dann müsse man eine Entscheidung treffen, sagt er heute. Bei Rainer Germann ist es eine Entscheidung gegen das Leben als Berufsmusiker, er arbeitet seitdem als freier Journalist und Autor.

Seinem Sohn Jesper Munk wollte er natürlich auch früh die Musik nahebringen. "Ich wollte ihn immer für die Musik gewinnen", sagt er. Mit acht Jahren sollte er Klavierstunden bekommen. "Nein Papa, ich glaube, das ist nichts für mich." Mit zehn Jahren sollte er eine Gitarre bekommen. "Nein Papa, ich glaube, das ist nichts für mich." Mit 15 führte dann letztendlich ein Missverständnis zur bereits heute großen Musikkarriere. Seine Schulfreunde wollten eine Band gründen. Und da sie wussten, dass Jesper Munks Vater Bassist ist, haben sie den Sohn des Musikers als Bassisten eingeplant. "Ich war so schüchtern, dass ich mich nicht getraut habe zu sagen, dass ich nicht Bass spielen kann", sagt Jesper Munk heute. Er ließ sich vom Vater ein paar Sachen zeigen und wurde so Bandmitglied von Lila's Riot.

SZ-Serie: Familienbande, letzte Folge: Sein Vater Rainer Germann unterstützt Jesper Munk bei der Musik, spielte am Anfang auch in seiner Band.

Sein Vater Rainer Germann unterstützt Jesper Munk bei der Musik, spielte am Anfang auch in seiner Band.

(Foto: oh)

Mehr oder weniger heimlich brachte sich Jesper Munk das Gitarre spielen bei. Gesungen hat er damals noch nicht, zumindest nicht öffentlich. So erzählt es Jesper Munk jedenfalls immer wieder.

Erst bei einer Session mit Schulfreunden hatte er sich zum ersten Mal getraut zu singen. Und gemerkt, dass er und seine Stimme gut zusammenpassen. Und beim Publikum für Erstaunen sorgen. Er schrieb erste eigene Songs und spielte den Eltern in der Küche "Down To 54" vor. Rainer Germann erinnert sich: "Das Arrangement war ungewöhnlich, die Stimme war ungewöhnlich. Mir war sofort klar, das wird funktionieren. Man hört das einfach." Am meisten ist Germann über die Stimme seines Sohnes erstaunt. "Nur ganz wenige haben das gewisse Etwas in der Stimme", sagt er. Und bei seinem Sohn habe er das nicht erwartet, vor diesem Song noch nie gehört. "Er redet ja ganz anders."

Noch heute gibt es bei den Eltern in der Küche Sessions, wenn Jesper Munk zu Besuch ist, erst vor wenigen Wochen hat er seinen Eltern und Freunden Songs seines neuen Albums vorgespielt, das vermutlich im Januar 2018 erscheinen wird. Regelmäßig Hausmusik - es hat schon Vorteile, wenn der Vater Musiker ist. Aber der coole Musiker-Vater, geht das gut im Leben eines Heranwachsenden, in der Pubertät? Natürlich habe er vieles lockerer gesehen, gibt Rainer Germann zu. Aber natürlich musste er auch mal streng sein - bei Jesper Munks Problemen in der Schule etwa. Munk hatte mit der Zeit das Interesse am Unterricht verloren, gerade die zwei Jahre bis zum Abitur, "er ist zum Teil einfach nicht hingegangen", sagt sein Vater heute. Zweimal stand Munk wegen der vielen Fehltage vor dem Disziplinarausschuss, er sollte von der Schule fliegen, wurde dann aber doch zum Abitur zugelassen, was Germann dem Luisengymnasium noch heute hoch anrechnet. Solche Schüler liebt das Lehrerkollegium. Heute wird Jesper Munk auf der Wikipedia-Seite des Gymnasiums neben Erika Mann und Hanna Schygulla unter "bekannte Ehemalige" aufgeführt.

Nach dem Abitur kommt dann Jesper Munks Musikkarriere in Fahrt. Statt einer Reise bekommt er von seinem Vater eine Plattenproduktion geschenkt, aufgenommen werden die Songs in der heimischen Wohnung. Im Kinderzimmer. Von dort geht es dann in die große Welt der Rock- und Popmusik. Zu der Plattenfirma Warner Music, in die USA, wo er mit Produzenten wie Mocky (Feist) und Jon Spencer (Jon Spencer Blues Explosion) sein zweites Album einspielt.

Und zuletzt vor die Kamera. Am 11. November 2015 hat der junge Filmemacher Lukas von Stein zum ersten Mal für seine Jesper-Munk-Dokumentation gedreht, mehr als 50 Stunden Videomaterial sind zusammengekommen. 50 Stunden, weil permanent die Kamera läuft, weil der Filmstudent immer mit dabei ist. Möglichst unauffällig will er beobachten, damit der Film "möglichst authentisch" wird, sagt Lukas von Stein. Es gab Situationen, da musste er die Kamera ausmachen, zu intim waren die Momente. Aber es gibt noch genügend Platz für das Private, für das "ungewöhnliche Vater-Sohn-Verhältnis", das auch der Filmemacher bemerkt hat. "Es ist wirklich so, dass sie sich sehr freundschaftlich begegnen. Hier gibt es keine klassische Hierarchie, wie es sonst oft der Fall ist."

Jesper Munk wird von Menschen, die ihn kennen, als zurückhaltend beschrieben. Manchmal ist er aber sehr offen. Wenn man ihn durchschaut. Herbst 2016, der Bluesmusiker steht auf der Bühne in der Milla. Er sitzt am Piano und singt seinen letzten Song des Abends: "Europe By Train". Ein Lied von Cat Sun Flower. Ein Lied, das sein Vater geschrieben hat. Jesper Munk lächelt. Rainer Germann ist sichtlich gerührt.

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