SZ-Serie: Familienbande, Folge 7:Die Superen

Heinz-Josef Braun, früher Haindling-Bassist und heute Schauspieler, und Johanna Bittenbinder, Darstellerin und Sprecherin, haben mit Veronika eine Tochter, die auch die Bühne als Beruf gewählt hat. Allerdings anders als die Eltern. Über drei Sprachgewaltige

Von Philipp Crone

Sie haben alle drei diesen Blick drauf. Lieblich freundlich, fast wie eine leicht demente Oma, die das Leben nur noch anlächelt. So sitzen sie einen Moment still in der Küche. Bis er dann etwas sagt, verzieht Heinz-Josef Braun nicht einen Muskel im Gesicht, dieser mächtige Mann mit dem gütigen Pfarrer-Gesicht. Dem Schauspieler und Musiker gegenüber sitzt seine Frau, die Schauspielerin Johanna Bittenbinder, die XXL-Tee-Tasse vor sich. Auch sie hat ein liebliches Lächeln aufgesetzt, mit minimaler Tendenz zum Spöttischen. Und ihr gegenüber sitzt Tochter Veronika, die Dritte am Esstisch in der Küche des Hauses in Grünwald. Die junge Musikerin schaut ihre Eltern mit großen Augen an, als sei sie noch immer sieben und bewundere Mama und Papa, wenn die ihr die Welt erklären.

Im nächsten Moment wird allerdings klar: Das sind Schauspieler, und zwar Profis, die jederzeit in jede Rolle schlüpfen können, jederzeit die Umgebung zur Bühne machen - und sich selbst zur Rampensau. Mutter Bittenbinder schiebt einen gelben Zettel über den Tisch, auf den sie etwas geschrieben hat, vorbei an dampfenden Teetassen. Stille Post? Der Journalist schaut irritiert, Braun schaltet sofort, aus dem Pfarrer-Blick wird der eines Pointen-Profis. Er sagt. "Da steht: Zusperren, den Typ kaufen wir uns." Seine Frau ergänzt todernst mit Grabesstimme und ohne Dialekt, den sie sonst spricht: "Der sieht gefährlich aus." Die Tochter hat plötzlich Mordlust im Blick - und muss als erste lachen. Dann der Papa, ein unpastorales hochansteckendes Meckerlachen. Auf dem Zettel steht, dass die Tochter einen Freund anrufen solle.

Vater, Mutter, Tochter, Bühne. Es muss kurzweilig sein, wenn man, wann immer es Essen gibt, drei Frontmänner und -frauen am Tisch hat. Publikum gibt es meistens auch, nebenan wohnt Brauns Schwester mit ihrem Mann, einem zehn- und einem 13-jährigen Kind, dazu auch noch Großvater Braun. Oft essen alle zusammen. Und dann gibt es Spontan-Schauspielerei, wie mit dem gelben Zettel. Die Eltern, beide 59, haben ihrer Tochter die Gabe vererbt, die sie in ihren Berufen so erfolgreich macht: eine Situation zu erkennen und richtig zu reagieren.

SZ-Serie: Familienbande, Folge 7: Veronika und Johanna Bittenbinder mit Heinz-Josef Braun (von links) im heimischen Tonstudio.

Veronika und Johanna Bittenbinder mit Heinz-Josef Braun (von links) im heimischen Tonstudio.

(Foto: Catherina Hess)

Die Eltern spielen von Beruf, mal Mörder, Richter oder Trottel, im richtigen Moment eins werdend mit einer Rolle aus dem Drehbuch. Die Tochter spielt immer die gleiche Rolle, die der Frontfrau ihrer Funk-Band Bittenbinder, die gerade die erste Platte veröffentlicht hat. Sie muss auf der Bühne erkennen, wie die Stimmung ist, und dann mal albern, mal ernst, mal Mädchen, mal Muse, mal was auch immer geben. Vielleicht ist ihre Rolle die schwierigste der drei am Küchentisch, weil sie so schnell variiert. Vielleicht ist sie aber auch am einfachsten, weil sie noch sehr nah an ihr selbst dran ist.

Gar nicht leicht zu erkennen, was in Grünwald am Holztisch die Person und was der Spiel-Profi ist. Da ist das einfachste noch der jeweilige Lebenslauf. Und der sah bei den Eltern mal gar nicht nach Bühne aus, eher nach Acker oder Akten.

Heinz-Josef Braun beginnt zu sprechen, genauer: Der Hausherr predigt. Sogar Hund Lilly scheint zuzuhören, wenn er erzählt. Von dem irren Werdegang. Aus einer Arbeiterfamilie kommt er, der Großvater Bauer, der Vater Maurer, die Mutter Hausfrau. Der Vater sagte zum Sohn: "Du gehst mal mit einer Krawatte in die Arbeit." Im Film hat Braun schon Krawatten getragen, aber die Eltern meinten eher einen Job bei der Sparkasse. Braun setzt den müden Arbeiterblick auf, Typ: komme erschöpft im Reihenhaus an, brauche ein Bier.

Brauns Grundschullehrerin sagte dem Maurer und der Hausfrau, dass der Sohn, der so sensibel und viel krank war, immerzu malte, Märchenbücher las und eigene Geschichten zeichnete, dass der also aufs Gymnasium gehen solle, "sonst muss ich eine Meldung machen". Und weil Humor bei Brauns Eltern nicht annähernd so verbreitet war wie in seiner jetzigen Familie, erschraken die Eltern und schickten den Sohn brav aufs Gymnasium. Braun erzählt, ohne bei den Pointen zu zucken..

Paradies 505. Ein Niederbayernkrimi

Heinz-Josef Braun und Johanna Bittenbinder als Film-Paar in einem BR-Niederbayernkrimi.

(Foto: Christian Hartmann/BR)

Nach Abi und Zivildienst ging er auf die Akademie der Bildenden Künste. Er sei aber "einfach zu sehr Schüler gewesen", und man habe an der Akademie immer schon so tun müssen, als ob man bereits Künstler wäre. Das ist ein Thema, das er bis heute kennt: so tun als ob. Proben vs. Machen. Beim Film ist es so: Man macht es. Geprobt wird nicht, höchstens daheim beim gegenseitigen Textabfragen mit der Frau. In der Musik wiederum muss man proben, da geht es nicht, einfach zu machen.

Brauns Mutter wollte, dass er ein Instrument lernte, also lernte er Blockflöte, "dann habe ich mir mit 13 beim Hertie für nen Hunderter ne E-Gitarre gekauft". Braun erinnert sich, was es für tolle Musikclubs damals gab in München. Er erinnert sich allerdings nicht, dass das gerade ein Dreiergespräch ist. Was nichts macht, weil seine Co-Rampensäue ihn daran erinnern. Sie schauen ihn an. "Ja ja, wir sind geschwätzig", sagt Braun. Wir? Johanna Bittenbinders linke Augenbraue zuckt hoch.

Man erlebt bei der Familie Braun-Bittenbinder ein verbreitetes Phänomen: Papa gibt den Chef, Mama ist der Chef. Wobei hier ja alles möglich ist, vielleicht spielen sie auch die perfekte unperfekte Familie. Bittenbinder schaut ihren Mann mit gezückter Augenbraue an und sagt: "Früher hab' ich noch mehr geredet." Der schaut zurück. "Dann red' ich jetzt nix mehr." Beleidigt tun, leichteste Übung für einen Darsteller. Macht nichts, das Bairisch der Mutter klingt genauso wunderbar wie das ihres Mannes. Sie kommt auch schneller zum Punkt, etwa wenn sie erklärt, warum die Eltern Bairisch sprechen und die Tochter Hochdeutsch spricht.

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"Die hat so eine schöne Stimme", habe der Papa schon bei der Hausgeburt gerufen, erzählt Johanna Bittenbinder, und wahrscheinlich gibt es wenige, die so einen flüchtigen Hauch von Ironie über ihr Lächeln legen können wie sie. Tochter Veronika redete erst Dialekt, verlernte ihn auf dem Gymnasium aber sofort wieder. Sie sang schon als Kind, ging zur Musikschule, der Papa hatte im Keller da schon immer dieses Studio, in dem er seine eigenen Sachen aufnahm. Braun war Musiker, als die Tochter klein war, wurde von den Kollegen aber als Schauspieler gesehen, und bei den Schauspielern war er der Musiker. Bei Haindling, wo er seit 1983 Bass spielte, hörte er 1999 auf, weil die Schauspielerei mehr und mehr wurde.

Johanna Bittenbinder wuchs als Tochter eines Bauern auf, die Mutter führte ein Wirtshaus. Sie studierte Museumspädagogik und arbeitete auch in dem Beruf, bis sie einen Workshop am Freien Theater München machte und die Schauspielerei entdeckte. Braun sah sie zum ersten Mal dort auf der Bühne. Einige Zeit später, 1984, fragte er einen Freund: "I brauch a Frau, hosd oane?" Der Freund gab ihm Bittenbinders Nummer. Die fand den Anruf von Braun und dessen Forderung, sich zu treffen, gleich so unverschämt, immerhin hatte sie einen Freund, dass sie sich prompt mit ihm traf. Frechheit siegt, wenn sie gut inszeniert ist, wie auf der Bühne.

Als dann Jahre später die Tochter auf die Welt kam, hat der Vater "zum ersten Mal genau gewusst, wo ich hingehöre. Das war das Supere." Stille, die Frauen schauen sich an, "das sagt er öfter", sagt die Mutter. Prusten, lachen. Die Superen, das sind die drei Schauspieler und Musiker, deren Werkzeug das Wort ist.

Das Supere wäre, finden die Eltern, wenn die Tochter nach dem ersten Album noch bekannter würde, deshalb sprechen sie auch viel von ihr. Wenn Veronika dann selbst spricht, sagt sie: "Musiker ist kein fester Beruf, sondern ein Weg." Sie hat Rückschläge hinter sich, wechselnde Band-Besetzungen etwa. Konstanz ist etwas, was der Berufsmusiker nicht hat, nicht so wie jemand in der Sparkasse. Und die Eltern kennen das auch, diesen nicht festen Beruf, wenn mal ein Rollenangebot kommt, mal nicht. "Ich habe von meinen Eltern gelernt, immer auch eigene Projekte anzugehen", sagt die Tochter. Und sich selbst anzutreiben. "Papa kann ganz schlecht chillen. Wenn der mal einen Tag frei hat, übt er von morgens bis abends Trompete."

SZ-Serie: Familienbande, Folge 7: Veronika, Tochter von Johanna Bittenbinder, steht auch auf der Bühne.

Veronika, Tochter von Johanna Bittenbinder, steht auch auf der Bühne.

(Foto: Petra Schönberger)

Johanna Bittenbinder ist die Ausgeglichene, Braun "eher ein Hochenergetiker", wie er sagt. Vielleicht spricht er deshalb so betont pastoral. Auch darüber, wie das so ist, als Ehepaar in einem Film zu spielen. Es kam schon mehrfach vor, dass Regisseure die beiden als Paar besetzten, ohne zu wissen, dass sie eines sind. Ein schönes Kompliment an eine Beziehung. Aber birgt der gleiche Beruf nicht auch die Gefahr, sich zu vergleichen, sogar den anderen um Rollen zu beneiden? Bittenbinder sagt: "Wir teilen eine Leidenschaft, und es bereichert unsere Beziehung, wenn wir zusammen drehen." Man erlebe sich da anders.

Neulich, beim Starkbieranstich am Nockherberg, saß Braun mit Schauspielkollegen am Tisch. Er spielte eher den ruhigen Part, wie an diesem Tag daheim seine Tochter. Aber sie können natürlich auch anders. "Wir waren als Kinder schon die Unterhaltungsminister", sagt Braun über seine Frau und sich und schaut zu ihr, bis sie einmal langsam nickt.

"Der Moment zählt." Das haben sie alle drei in ihren Berufen gemein. Ob beim ersten Ton des Auftritts oder beim ersten "Und bitte!" des Regisseurs. Dann gehe es darum, authentisch zu sein. Als Mörderin oder Sängerin, als Wirt oder als verzweifelte Mutter wie Bittenbinder in "Wer früher stirbt, ist länger tot". Und am Ende zählt, was die Beleuchter sagen. Die Beleuchter? Bittenbinder nickt. "Wir müssen im Moment unsere Rolle abrufen", sagt sie. Nicht Künstler werden, sondern Künstler sein, anders als ihr Mann an der Akademie damals. "Das ist wie fliegen, sich dem Moment überlassen." Wenn das klappt, dann komme schon auch mal ein Beleuchter und sage: "Das war geil." Und weil die sich "überhaupt nichts scheißen und immer gradraus sind", wie Bittenbinder sagt, ist das das höchste Lob beim Film.

Vater, Mutter und Kind spielen, weil sie etwas zu sagen haben. Die Texte der Tochter zum Beispiel, "das spricht ganz viele Menschen total an", sagt die Mutter, die laut Tochter allerdings immer schnell begeistert ist. Wobei die Karriere der Tochter gerade wohl wirklich Fahrt aufnimmt: die zweite CD in Planung, Auftritte in der BR-Sendung Ringlstetter, im Vorprogramm von Christina Stürmer. Ab und zu treten Mutter und Tochter auch zusammen auf. Johanna liest, Veronika singt.

"Ich als ich bin niemand, der gerne im Mittelpunkt steht", sagt die Tochter, die Frontfrau. Aber sie will trotzdem etwas sagen und mitteilen. So wie ihre Eltern. Von ihnen hat sie auch gelernt, dass man in diesem Zwiespalt aus extrovertiertem Beruf und eher introvertiertem Wesen sich dann wohlfühlt, wenn man authentisch ist. Die Mutter ist noch heute angespannt vor Drehtagen, glaubt keinem Kollegen, der "cool tut", Braun wirkt genauso zufrieden, wenn er inmitten der Kollegen still sein kann, wie wenn er aufdreht, "auf eine angenehme Art natürlich immer, alles andere ist ja neurotisch". Wer über die Familie spricht in der Filmszene, der bekommt von allen Seiten ehrliche Bewunderung und Sympathie zu spüren und zu hören.

Große Frage: Wird Veronika nicht doch auch noch Schauspielerin? Die Gesichter der Drei werden wieder omahaft lieblich. Die Mutter sagt: "Vroni hat ein großes Talent dafür." Seitenblick. "Ehrlich." Die Vroni sagt: "Man muss sich auf eine Sache konzentrieren." Seitenblick. "Außer der Papa." Und der Papa sagt: nix. Aber man kann ihm ansehen, zwischen dem schnell wieder aufgesetzten Pastorenblick, dass er die Vorstellung, seine Tochter in Filmen zu sehen, vielleicht genauso gut finden würde wie ihren jetzigen Beruf, sie wäre sicher auch eine supere Darstellerin.

Die nächste Folge der Serie erscheint am Dienstag, 11. April - über die Familie Böhmler.

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