Jüdisches Erntedankfest:Alles Gute kommt von oben

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Sukkot dauert vom 15. bis 21. Tag des Monats Tischri im jüdischen Kalender und beginnt fünf Tage nach dem Versöhnungstag Jom Kippur. (Foto: AFP)

Zu Sukkot erinnern sich die Juden mit dem Laubhüttenfest an den Auszug aus Ägypten und danken für eine reiche Ernte. An manchen Orten werden die kleinen Häuschen noch heute extra zu diesem Anlass errichtet.

Von Linus Freymark

Alles Gute kommt von oben. Nicht nur im christlich geprägten Deutschland ist der Satz ein Sprichwort, auch im Judentum ist die Annahme verbreitet. Nahrung, die dafür notwendige Ernte und die für den Fortschritt der Menschheit unverzichtbaren schöpferischen Talente - all das ist nach Auffassung der Gläubigen gottgegeben. Da liegt es nahe, gelegentlich seinen Dank für die Gaben Gottes auszudrücken. Neben den vielen kleinen Gesten, mit denen die Gläubigen das Jahr über ihrem Schöpfer danken, gibt es im Judentum ein Fest, das voll und ganz im Zeichen der Dankbarkeit gegenüber Gott steht: Sukkot.

Sukkot ist eine Art jüdisches Erntedankfest, das vom 15. bis 21. Tag des Monats Tischri im jüdischen Kalender dauert und fünf Tage nach dem Versöhnungstag Jom Kippur beginnt. Direkt daran anschließend bilden die beiden Feiertage Schmini Azeret und Simchat Tora den Abschluss der Feierlichkeiten - zumindest in der Diaspora. In Israel werden diese beiden Tage gemeinsam begangen, sodass sich die Feierlichkeiten um einen Tag verkürzen.

Eric Lehmann, ehemaliger Kultusbeamter der israelitischen Gemeinde in München, 2010 vor seiner "Sukka" (Laubhütte). Während des achttägigen Laubhüttenfests darf der orthodoxe Jude nur in der Hütte unter freiem Himmel essen. (Foto: lok)

Im Deutschen firmiert Sukkot auch unter dem Begriff Laubhüttenfest. Der Grund? "An Sukkot nehmen wir unsere Mahlzeiten in einer Laubhütte ein", erklärt Rabbiner Steven Langnas von der Israelitischen Kultusgemeinde München. An manchen Orten der Welt werden die kleinen Häuschen noch heute extra zu diesem Anlass errichtet.

Rabbiner Langnas wird seine Mahlzeiten in einem jüdischen Seniorenheim in München zu sich nehmen - auch dort gibt es eine "Sukka", wie die Hütten auf Hebräisch heißen. Traditionell bestehen die Wände aus Holz, das Dach aber wird meist aus Laub und Tannenzweigen gefertigt. So bleibt immer eine Lücke, durch die man nach oben schauen und an Gott denken kann.

Mit den Laubhütten erinnern die Gläubigen an die ersten Behausungen ihrer Vorfahren in der Wüste - denn auch diese waren nach ihrem Glauben von Gott gegeben und boten den Ahnen Unterschlupf in der unwirtlichen Umgebung. Überhaupt steht bei den Mahlzeiten und den Gottesdiensten in der Synagoge nicht nur die Gegenwart im Mittelpunkt. "Wir zeigen auch unsere Dankbarkeit bezüglich der Vergangenheit", erläutert Langnas. Denn zu Sukkot besinnen sich die Juden auf ihre Wurzeln und ihre Vorfahren. Und so danken sie Gott nicht nur für die eigene Versorgung, sondern auch für jene ihrer Ahnen, ohne die sie heute nicht auf der Welt wären.

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Diese Dankbarkeit gegenüber ihrem Schöpfer bringen die Gläubigen durch verschiedene Symbole zum Ausdruck. So bedanken sie sich etwa für die ausreichende Ernte, indem sie bei den Gottesdiensten die sogenannte Arba Minim in alle vier Himmelsrichtungen schwenken: ein Gesteck aus Bachweide (hebräisch: Arawot) und einem zitronenähnlichen Gewächs namens Etrog, das wie die restlichen Bestandteile, dem Myrtenzweig (Hadassim) und dem Palmenzweig (Lulav), eigens importiert wird. Neben dem Dank für die Ernte symbolisiert der Feststrauß auch die Einigkeit des Volkes Israels und die Verantwortung aller Menschen füreinander.

Und auch die traditionellen Speisen zu Sukkot haben Symbolkraft: So werden etwa Krautwickel und Maultaschen serviert. Die Füllung stehe dabei für strenge Gerechtigkeit, erklärt Langnas; das Innere symbolisiere Barmherzigkeit.

Die Festtage rund um Sukkot tragen verschiedene Namen. Die ersten beiden (Sukkos) bilden den Auftakt mit Gottesdiensten und den ersten Mahlzeiten in den Laubhütten. Die darauffolgenden fünf Tage heißen Chol HaMoed und gelten als Halbfeiertage, an deren Abschluss mit Hoschana Rabba wieder ein hoher Feiertag steht. Daran schließen sich mit Schmini Azeret und Simchat Tora die abschließenden Tage an, die in Israel zusammenfallen. Das Ende von Sukkot hat für Steven Langnas noch einmal eine besondere Bedeutung: "An diesem Tag hat man ein noch mal engeres Verhältnis zu Gott", erklärt der Münchner Rabbiner.

An Simchat Tora findet zudem ein weiteres Ereignis statt, das für die Gläubigen von großer Bedeutung ist: Denn an diesem Tag endet der jährliche Zyklus der fünf Bücher Mose, die in 52 Abschnitte unterteilt sind, von denen jede Woche ein Abschnitt gelesen wird. An Simchat Tora wird nun also das letzte dieser Kapitel gelesen - und dann sofort wieder mit dem ersten ein neuer Kreislauf eingeläutet. "Das soll klarstellen: unser Bezug zur Lehre hat kein Ende", erklärt Langnas.

Anders als etwa das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana, das einen eher ernsten Charakter hat, geht es zu Sukkot laut Langnas etwas lockerer zu - auch wenn die Dankbarkeit, die Erinnerung an die Vergangenheit sowie die Symbole, durch die die Dankbarkeit der Gläubigen zum Ausdruck gebracht wird, im Mittelpunkt stehen. "Es wird auch viel gefeiert", meint Langnas. "Aber selbstverständlich im religiösen Rahmen." Vergleichbar mit Silvester, wie es in Deutschland begangen wird, sei Sukkot also nicht. Aber zum Jahreswechsel hierzulande kommt ja auch nichts Gutes von oben - sondern nur abgebrannte Raketenstummel.

© SZ vom 22.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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