SZ-Serie: Die Isartürkin, Folge 4:Blutige Hochzeit, gute Hochzeit

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas gewaltig schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut

Von Deniz Aykanat

Bei meiner ersten türkischen Hochzeit war ich fünf Jahre alt. Nein, ich war nicht die Braut. Braut und Bräutigam waren zwei völlig gewöhnliche Liebestrunkene, die erfolgreich alle Scheidungsstatistiken ausgeblendet hatten - so wie das im seit Neuesten wieder heiratswütigen Deutschland üblich ist.

Der Mensch handelt - vor allem was die Ehe angeht - gerne so, als hätte es die Aufklärung nie gegeben. Ob dieses Verhalten nun in eine türkische oder eine deutsche Hochzeit mündet: Die Armada an sogenannten Traditionen und Bräuchen, mit denen dieser Freudentag garniert wird, ist gleich schlimm.

Was auf deutschen Hochzeiten mittlerweile üblich ist: idiotische Gedichte auf den Einladungen, mit denen total originell und subtil darauf hingewiesen werden soll, dass man gefälligst verdammt noch mal nur Kohle geschenkt bekommen will! Das klingt dann so: "Wir müssen Euch noch schnell was sagen, nicht des Schenkens wegen seid Ihr eingeladen. Kommt mit guter Laune und viel Zeit, dann macht Ihr uns die größte Freud. Wollt Ihr uns trotzdem etwas schenken, könnt Ihr an unser Sparschwein denken!"

Die Türken sind da nicht so affig, aber genauso geldgeil wie die Deutschen. Irgendwie muss das ja bezahlt werden, wenn auch noch die letzte angeheiratete Tante mit allen ihren acht Kindern aus Anatolien eingeflogen werden soll. Deshalb gibt es auf türkischen Hochzeiten Geld in rauen Mengen. Mit dem Vorschlaghammer, nix da subtil. Die Gäste stellen sich brav in einer langen Reihe auf, wenn sie dran sind, werden ihre Namen laut verkündet - und wie viele Geldscheine und Goldmünzen sie springen lassen. Die werden dann nicht züchtig im Briefumschlag übergeben, sondern stattdessen mit Nadeln an der Kleidung des Brautpaars festgesteckt, bis es unter den Unzen zusammenbricht.

Und auch sonst gibt es Parallelen, wenn auch in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Nehmen wir die in Bayern übliche Brautentführung. Dabei kidnappen die Freunde des Bräutigams die Braut (immer wenn das Fest am schönsten ist und es so richtig abgeht), verfrachten sie in eine Dorfkneipe und betrinken sich dann dort - bis der genervte Ehemann sie findet. Die Stimmung ist weg. Mal sehen, ob sie wiederkommt.

Die Türken machen auch nichts anderes - nur, dass die ganze Heirat eine einzige Brautentführung ist. Und der Entführer ist der Bräutigam. Der Hochzeitstag beginnt schon damit, dass die Braut am Morgen das Elternhaus für immer verlässt und ihre Verwandtschaft am Gartenzaun Rotz und Wasser heult - obwohl man sich in 15 Minuten im Standesamt wiedersieht.

Gemeinsam haben deutsche und türkische Hochzeiten außerdem: den Kitsch. Auf deutschen Hochzeiten lässt man gerne weiße Tauben fliegen oder sogenannte Himmelslaternen, die aussehen wie leuchtende Kondome. Deutsche heiraten auch gern in Sackleinen (Landhausstil genannt) am Tegernsee. Auch wenn sie gar nicht vom Tegernsee kommen und Sackleinen grauenhaft aussieht.

Türkische Bräute schminken sich dafür wie Olivia Jones und machen gestellte Fotos, auf denen sich die Brautleute weinend anschmachten.

Türkische Hochzeiten unterscheiden sich von deutschen aber in einem wichtigen Punkt, der sich mir als Fünfjährige einigermaßen wuchtig präsentierte: Blut. "Wenn es nicht mindestens einmal richtig kracht, war es keine türkische Hochzeit", erklärte mir damals die Brautmutter fachkundig. Der Cousin der Braut hatte die Schwägerin des Bräutigams schief angeschaut, woraufhin der Cousin des Bräutigams den Cousin der Braut vermöbelte. Während drinnen so ausdauernd Halay getanzt wurde, als hinge davon der Fortbestand der Menschheit ab, versickerte draußen vor der Tür eine kleine Blutlache zwischen den Steinen des Katzenkopfpflasters. Dramatischer sind Türken nur beim Fußball - oder in der Politik.

Wenn ich länger darüber nachdenke, geht es auf deutschen Hochzeiten aber auch nicht sanfter zu. Wenn der Brautvater kurz vorm Essen eine Stunde lang den Lebensweg seiner "kleinen Maus" vom ersten Fasching als Marienkäfer bis zum zweiten Staatsexamen in Jura nachzeichnet, dann ist das schließlich auch Körperverletzung. Und man wünscht sich dann in solchen Momenten, dass die deutsche Hochzeit etwas türkischer wäre. Dann käme vielleicht irgendein Cousin dritten Grades auf den Brautvater zu und würde ihn mal so richtig ...

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas gewaltig schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge 4 unserer SZ-Serie.

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