SZ-Serie: Bühne? Frei!:Botschafterin des Lichts

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Nomi Baumgartl war eine international gefragte Fotografin, als sie 1996 bei einem Autounfall ihr Langzeitgedächtnis verlor und eine Lähmung der Augenmuskeln erlitt. Sie brauchte Jahre für die Rehabilitation. Seither widmet sie ihre Fotokunstprojekte dem Zusammenhang von Mensch, Tier und Natur. Sie lebt in Murnau am Staffelsee. (Foto: Christian Pfanzelt)

Kultur-Lockdown, Tag 129: Die Fotografin ärgert sich über die Geringschätzung der Kultur

Gastbeitrag von Nomi Baumgartl

Seit je her besteht die Aufgabe der Künstler darin, etwas zu erschaffen, in dem sich alle Themen der Zeit widerspiegeln. Wir sind Geschichtenerzähler einer anderen Wirklichkeit als die der Wirtschaft und Politik. Aber was geschieht, wenn wir ausgebremst werden, der Kulturbetrieb eingestellt wird - und unsere Stimme verstummt? Es ist erschreckend, welche Geringschätzung die Kultur und Kunstszene zu Zeiten der Pandemie erfährt. Die, die für die Nahrung von Geist und Seele arbeiten, sind auf dem Abstellgleis der Gesellschaft gelandet. Viele Künstler kämpfen um ihr Überleben und fallen meist durch das Netz der Zuschüsse und Unterstützungen.

Was meinen persönlichen Lockdown betrifft, erlebe ich ihn gerade doppelt. Einmal als Kulturschaffende im Äußeren, und ein weiteres Mal im Inneren. Nachdem 2020 alle Ausstellungen und Events ausgefallen sind, kam im Frühjahr eine alarmierende Diagnose, mit der Folge einer großen OP, durch die mir mein drittes Leben geschenkt wurde.

Mir kamen Gedanken, wie heilsam es für unser Gesellschaftssystem wäre, jedes Jahr drei Monate eine "versorgte" Auszeit zu haben, die zur Besinnung führt und System und Mensch gesunden lässt. Raus aus einem Wachstum ohne Ende und Leistung ohne Limit, aus dem sich alle Zivilisationskrankheiten nähren.

Aus einem Umdenken können sich so viele neue Chancen ergeben, im mit- und füreinander Denken und Handeln. Die Kraft des Kollektivs erleben. Hoffnung und Träume greifbar werden lassen. Vielleicht bin ich ein hoffnungsloser Optimist.

Mein Herz schlägt in meinen großen Projekten für die fragile Natur. Wenn wir uns nicht von der Vorstellung trennen, die Umwelt sei dort und wir sind hier, haben wir weiter schlechte Karten. Vieles, was sich durch den Lockdown offenbart hat, können wir uns jetzt anschauen und darüber reflektieren, was unseren persönlichen Fußabdruck auf unserem Planeten betrifft und was den nächsten Generationen bleiben soll. Überhaupt bin ich voller Träume, gerade in Licht-Träumen, für eine Neuorientierung.

Hoffnung steht auch für Licht. In meinem doppelten Lockdown hat Licht eine große Rolle gespielt, nicht nur das berühmte "Licht am Ende des Tunnels". Voller Dankbarkeit habe ich mich an mein bis dahin unvollendetes "Licht.Kunst.Objekt" erinnert. Alles begann mit einer Himmelsbotschaft, ein abgestürzter Flügel landete vor meinen Füßen im Schnee, freigestellt, vollendet. Ich belichtete diesen Flügel in einem magischen winterlichen Moment. Aufgeregt hatte ich meinem Freund Ingo Maurer die Fotografie gezeigt, und ihm das berühmte Streiflicht dieses Augenblicks beschrieben. Gemeinsam machten wir uns daran, dieses Licht in dem Licht.Kunst. Objekt "Everybody is someone's Angel" für den Betrachter erlebbar zu machen. Ein Licht wie es die Romantiker gemalt haben, William Turner oder Kaspar David Friedrich.

Jetzt leuchten gleich zwei Lichtkunst-Objekte: der im Winterstreiflicht entstandene "Mystic Flight" sowie der in der Anmutung realistischere "Eagles Rise", der die Flügel eines Kaiseradlers abbildet. In der Zeit des Rückzugs sind die beiden Lichtbotschafter flügge geworden und starten jetzt ihre Reise in die Welt. Um Menschen zu beflügeln in unserer aktuellen Zeit, als Zeichen für Hoffnung und LICHT und mehr denn je für Gemeinschaft, Kooperation, Mitgefühl - und das kreative Potenzial in uns. Ganz im Sinne von Luciano de Crescenzo: "Wir sind alle Engel mit nur einem Flügel. Um fliegen zu können, müssen wir einander umarmen."

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© SZ vom 10.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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