SZ-Serie: Aus den Augen, noch im Sinn, Folge 13:Grabschatz in Euronormkisten

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2016 haben Archäologen in Pasing eine riesige Nekropole aus dem frühen Mittelalter entdeckt, in der auch ein Bajuwaren-Ritter samt Ross bestattet lag. Gut konserviert warten die wertvollen Beigaben bis heute darauf, wissenschaftlich ausgewertet und präsentiert zu werden

Von Jutta Czeguhn

Zweischneidige Schwertklinge: Der Pasinger Krieger, der zusammen mit seinem Ross bestattet wurde, muss ein bedeutender Mann gewesen sein. Das legen die wertvollen Grabbeigaben nahe. (Foto: Robert Haas)

Kaum war die Bodenplatte abgeräumt, da lag er auch schon da, der Herr mit dem Schwert", sagt Eva Jahn. Man steht mit ihr vor einem Neubau, 20 Parteien, an der Josef-Retzer-Straße in Pasings Süden - und lässt das Gebäude im Geiste noch einmal verschwinden. Im Frühjahr 2016 standen hier die Bagger still. Arbeiten durften in der Baugrube nur noch die Archäologen von X-Cavate, einer privaten Münchner Grabungsfirma. In gewisser Weise waren sie ja vorgewarnt gewesen, Eva Jahn und die anderen im Vorstand der Heimstättenbaugenossenschaft Pasing. Spätestens seit Erhalt der Baugenehmigung wussten sie, dass sie sich mit ihrem Projekt in einem "denkmalrechtlich beauflagten Gebiet" bewegten. Aus der Fachsprache übersetzt heißt das: Vorsicht, Bodendenkmäler zu erwarten!

Der Knochenmann mit der Waffe gebot also den Baustopp, der sich von März bis Juni hinziehen sollte, denn es galt, einen "archäologischen Sensationsfund" zu bergen. Über 130 Gräber aus dem frühen Mittelalter, jener Epoche etwa 550 nach Christus, als die Menschen im heutigen Münchner Raum sesshaft wurden. In einem der übereinander geschichteten Gräber, 2,30 Meter unter Geländeniveau, lag also jener geheimnisvolle Reiter, den sie, was extrem selten ist, samt seinem Ross bestattet hatten. "Ur-Bayer in Pasing entdeckt!", womöglich sogar Pasings legendärer Gründervater Paoso, jubelte die Presse, ganz außer sich. Begeisterung, allerdings wissenschaftlicher Art, im Landesamt für Denkmalpflege, denn man hatte wohl einen der ersten Schwertträger überhaupt im südbayerischen Raum gefunden, Vertreter einer gesellschaftlichen Elite. Das legten zumindest die wertvollen Grabbeigaben nahe. Und für die Archäologen mehrten sich die Anzeichen, dass dort, unweit der Pasinger Festwiese, noch eine ganze Nekropole unter den Straßen und Häusern verborgen liegen muss. Mit 1000 weiteren Gräbern.

Archäologen hatten den Fund von März bis Juni 2016 im Pasinger Süden freigelegt. (Foto: Robert Haas)

Bei der Pasinger Baugenossenschaft war die Freude über solche Nachrichten etwas verhaltener. Denn der spektakuläre Fund, das war nun jedem klar, würde die Baukosten in die Höhe treiben und auch ein dickes Fragezeichen hinter künftige Projekte setzen. 470 000 Euro, weiß Eva Jahn heute, sollten am Ende zusammenkommen. Die Archäologen mussten bezahlt werden, und jeder Tag Baustopp kostete Geld. Die Heimstättenbaugenossenschaft, 100. Geburtstag hat sie 2018 gefeiert, ist ein überschaubares, in Pasing verwurzeltes Unternehmen, mit etwas mehr als 300 Wohnungen, einigen gewerblichen Einheiten und einem Nachbarschaftstreff im Bestand. Und seit dem Frühjahr 2016 qua Gesetz nun eben auch Besitzer von Knochen, Waffen, Kämmen, Fibeln, Bernsteinperlen und Amuletten aus Urpasinger Zeit.

Im Büro der Genossenschaft, unweit der einstigen Grabungsstätte, hat Eva Jahn ein dickes Ringbuch hervorgeholt, die komplette Funddokumentation der Archäologen von X-Cavate. Zu sehen sind akkurate Zeichnungen auf alterungsbeständigem Millimeterkarton von den menschlichen Gebeinen und dem Pferdeskelett sowie Fotografien der Grabbeigaben. "Jeden Tag sind wir drunten gestanden und haben geschaut, was wieder Neues gefunden wird", erzählt Eva Jahn. Auch die Genossenschaftler hatte trotz der finanziellen Bedenken irgendwann so etwas wie Archäologie-Fieber gepackt. Doch in Eva Jahn nagte noch ein anderes, sie nennt es "unheimliches" Gefühl, das mit jedem Grabfund stärker wurde. Als schließlich die Überreste eines etwa vierjährigen Bajuwaren-Kindes zum Vorschein kommen, konnte sie das Gefühl dann benennen: "Haben wir überhaupt das Recht, diese Gräber zu öffnen?"

"Die zweischneidige Klinge war aufwendig gearbeitet", sagt Restaurator Thomas Stöckl. (Foto: Robert Haas)

Grabräuber, sagt Bayerns Generalkonservator Mathias Pfeil, seien schon lange vor den Archäologen von X-Cavate in der Pasinger Nekropole zugange gewesen: 85 Prozent der Gräber dort waren geplündert. Wohl im siebten Jahrhundert waren Diebe über einen Schacht in das Grab des Schwertträgers eingedrungen und hatten sich über den oberen Bereich des Grabes hergemacht, weshalb der Reiter dann nur bis zur Höhe des Beckens in Unordnung war. Pfeil hat in das Nebenhaus der Alten Münze, dem Hauptsitz des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, gebeten. Dort in den Kellern befinden sich die Restaurierungswerkstätten und Labore. Beigegekachelte Wände, Terrakottafußboden, große, schwere Arbeitstische, Mikroskope.

Thomas Stöckl, einer von fünf Restauratoren, hat für den Besuch einige der Grabbeigaben, die sogenannten beweglichen Bodendenkmäler, aus dem Pasinger Grabfund hervorgeholt und zur Ansicht drapiert. Fast möchte man sich mit dem Betrachten der uralten Ausstattungsgegenstände sputen, denn die labilen Schätze ruhen seit mehr als zwei Jahren in 25 Spezialbehältern, gut geschützt vor weiteren Korrosionsprozessen. Die Gebeine der frühmittelalterlichen Pasinger Siedler werden hingegen in der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie am Karolinenplatz verwahrt. Fern von ihren Gräbern.

Der Pasinger Sippenfürst, der wie die anderen Skelette nach christlichem Bestattungsritus mit dem Kopf nach Osten blickte, gibt den Experten noch viele Rätsel auf. Denn in den vergangenen zweieinhalb Jahren, sagt Mathias Pfeil, habe in seinem Amt bislang nur die sogenannte Erstsicherung des Fundes stattgefunden. Restaurator Thomas Stöckl erklärt das anhand des Schwertes, das auf dem Labortisch wie aufgebahrt liegt und für den Laien aussieht wie ein langgestreckter, flacher Haufen Rost. "Nach dem Ausgraben sind Funde aus Eisen einer sehr aggressiven Korrosion ausgesetzt, das geht zum Teil so weit, dass sie regelrecht zerfallen." Er und seine Kollegen haben das Langschwert des Pasinger Reiters so präpariert, dass dieser Prozess nun gestoppt ist. Und dabei erstaunliche Entdeckungen gemacht. "Die zweischneidige Klinge war aufwendig gearbeitet", erklärt Stöckl, und man hört Hochachtung durch. Ein frühmittelalterlicher Meister hatte für die Waffe unterschiedliche, harte und spröde, aber auch weiche und elastische Stahlstäbe zu einem kunstvollen Muster geschmiedet. Insgesamt 75 Lagen. Stöckl, als "Experimental-Archäologe" selbst ein talentierter Hobbyschmied, hat ein stattliches Faksimile jener wertvollen Waffe gefertigt. Anhaltende Begeisterung ist auch zu spüren, wenn der Restaurator zum Blick durch das Mikroskop auffordert. Da sind auf einer Art Erdhaufen die Überbleibsel eines Tuches zu erkennen, durchwebt mit hauchdünnen Streifen aus Goldfolie. Der stolze Reiter hatte wohl sein Pferd damit geschmückt.

Das wertvolle Schwert, das Pferd, das Goldtuch. "Wenn es den Paoso gab, dann spricht vieles dafür, dass es dieser Reiter war", glaubt Generalkonservator Pfeil. Doch sei man mit der Forschung ganz am Anfang. "Eine wissenschaftliche Aufarbeitung haben wir noch nicht", sagt er. Die könne erst beginnen, wenn die Eigentumsverhältnisse geklärt seien, also die Pasinger Heimstättenbaugenossenschaft alles in Staatseigentum überantwortet. Bis dahin dürfe man den Funden "keinen Wertzuwachs angedeihen lassen", formuliert es Stöckl. Der Pasinger Fund sei im Landesdenkmalamt also quasi "konservatorisch zwischengelagert".

Erstsicherung: Restaurator Thomas Stöckl und Bayerns Generalkonservator Mathias Pfeil (im Bild) hoffen, dass der Fund öffentlich gezeigt wird. (Foto: Robert Haas)

Nächste Station für die 25 Behälter mit dem Grabschatz wäre die Archäologische Staatssammlung, wo dann die weitere Erforschung erfolgen könnte - und die museale Aufbereitung. Das wünschen sich Mathias Pfeil und Thomas Stöckl. "Es kann nicht sein, dass diese Dinge in Euronormkisten lagern", sagt Pfeil. Der Pasinger Fund - und nicht nur dieser - müsse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, "denn genau genommen geht es ja um die Vergangenheit von uns allen".

Dieser Meinung sind sie auch im Vorstand der Pasinger Genossenschaft, die sich zur Schenkung des Fundes an den Freistaat entschlossen hat. Eva Jahn hat mittlerweile auch so etwas wie eine Antwort auf ihre Frage gefunden: Einige der Menschenknochen ließ sie sich von den Archäologen aushändigen. Auf dem Grün vor einer der Wohnanlagen der Genossenschaft wurden sie wieder begraben, sehr tief im Boden. Eine kleine Linde darf nun darüber wachsen. Und eines Tages, wenn der Baum größer ist, will Eva Jahn die Grabstätte einsegnen lassen - und so den frühen Pasingern ihre Totenruhe zurückgeben.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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