SZ-Serie: "Am Wasser gebaut", letzte Folge:Plätschernde Debatte

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Die Vision, die alten Stadtbäche freizulegen, ist alt. Nur sehr langsam wird sie auch Wirklichkeit

Von Thomas Anlauf

Bäche sind für ihn pure Lyrik. "Das Plätschern, Sprudeln, Gluckern eines Baches verbunden mit dem Rauschen von Bäumen und Sträuchern, die regenbogenfarbenen Lichtbrechungen sich kräuselnder Wellen, der Geruch frischen Wassers - diese ununterbrochenen Impulse unserer Phantasie, nach denen wir alle unbewusst dürsten", zitiert Karl Klühspies aus einem seiner unzähligen Aufsätze. Der 89-Jährige sitzt auf dem Sofa seines Wohnzimmers, draußen im Garten zwitschern Vögel. Klühspies hat ein paar alte Akten zusammengetragen aus seiner Hochzeit als Kämpfer gegen die autogerechte Stadt und für die Öffnung der verschütteten und verrohrten Bäche in München. Ein halbes Jahrhundert ist es nun her, dass der Architekt und Städteplaner begann, sich gegen das Zupflastern Münchens mit Stadtautobahnen nach amerikanischem Vorbild aufzulehnen. "Es hieß damals: Wenn wir die Straßen nicht ausbauen, stirbt die Stadt", sagt er heute. "Aber wie kann ich eine Stadt retten, indem ich sie zerstöre?"

Dank des hartnäckigen Einsatzes von Klühspies und seinen Mitstreitern vor allem aus dem "Münchner Bauforum" wurden zumindest weite Teile der geplanten Altstadt-Autobahn verhindert, der Tunnel unter dem Prinz-Carl-Palais konnte jedoch nicht mehr gestoppt werden. Der Protest dagegen war für Klühspies "ein Aha-Erlebnis", wie er sagt. "Das Leben in der Stadt darf nicht nur rational gestaltet werden", es müssten auch Emotionen möglich sein - dazu zählen für Klühspies eben die plätschernden Stadtbäche, die er seit den Siebzigerjahren wieder an die Oberfläche holen wollte. Sein prominentester Vorschlag, die Öffnung des Westlichen Stadtgrabenbachs auf Höhe der Herzog-Wilhelm-Straße taucht seither immer wieder in verschiedensten Varianten in der Diskussion über die Münchner Bäche auf.

Ein bisschen Natur in der Altstadt: Der Köglmühlbach wurde beim Bau der Staatskanzlei 1992 wiederbelebt, wenn auch in einem Betonbett. (Foto: Florian Peljak)

Ziemlich konkret wurde die Vision, als zwei Architekturstudenten der Technischen Universität in ihrer Diplomarbeit ein Modell des Stadtgrabenbachs anfertigten: Nach historischem Vorbild würde er in vier Metern Tiefe freigelegt werden, an den Ufern könnten Straßencafés entstehen. Die Diplomanden Petra Liedl und Paul Schnur erhielten Bestnoten für ihre Arbeit, die damalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott lobte sie als "ganz hervorragend" und überlegte, dass die Stadt die Diplomarbeit kaufen könnte. Soweit kam es nicht, aber zumindest wurden Liedl und Schnur in den Stadtrat eingeladen, ihre Entwürfe zu präsentieren. "Da freut man sich natürlich als frischer Diplomand", sagt Schnur heute - 16 Jahre später.

Wie man weiß, wurde aus der Öffnung des Bachs, der bis heute im Untergrund am Sendlinger Tor vorbeirauscht, bis heute nichts. Auch wenn nun Bewegung in die Sache zu kommen scheint. Nach Stadtratsanträgen der Grünen (vor zwei Jahren) und Folgeanträgen von CSU und SPD vor einigen Wochen erarbeitet derzeit das Baureferat eine Beschlussvorlage für einen Planungsauftrag. Sie soll dem Stadtrat nach der Sommerpause vorgelegt werden. "Dabei kann unter anderem auch auf Vorarbeiten zur Machbarkeit des Projekts von Green City zurückgegriffen werden", teilt Dagmar Rümenapf, Sprecherin des für die Bäche zuständigen Baureferats, mit. Die Münchner Umweltorganisation Green City hat im Mai eine Machbarkeitsstudie präsentiert, wie Teile des Westlichen Stadtgrabenbachs mithilfe von Turbinen im Bach und einer Pumpe vier Meter ganz einfach hochgepumpt werden könnte.

Das wäre eine Minimallösung, die TU-Studenten hatten 2001 viel weitreichendere und radikale Pläne. Aber so weit will man im Stadtrat offenbar nicht gehen, dass die Herzog-Wilhelm-Straße als Autostraße verschwindet zugunsten eines Parks mit Cafés und einem richtigen Bach. Doch seit einem Grundsatz-Beschluss des Stadtrats im Jahr 1989, verbaute oder unterirdische Stadtbäche wo möglich zu renaturieren, sind zumindest einige kleine Gewässer wieder sichtbar gemacht worden. Wie Christine Rädlinger in ihrem Standardwerk "Geschichte der Münchner Stadtbäche" berichtet, wurden zu den Untersuchungen "die Vorschläge des Münchner Forums beziehungsweise Karl Klühspies' zugrunde gelegt und die Stadtrandbäche miteinbezogen".

Das betrifft vor allem den Hachinger Bach, der seit Jahren Stück für Stück freigelegt und renaturiert werden soll. So wurden 2014 vom Baureferat 13,5 Millionen Euro für die Freilegung des Bachs zwischen Kampenwandstraße und Hüllgraben veranschlagt. Mit dem Bau der Staatskanzlei wurde 1992 auch der Köglmühlbach wiederbelebt, allerdings nur in Beton gefasst und verschmälerter Form. Geöffnet wurde auch der Auer Mühlbach auf Höhe des Neudecks. Der Bach war im Jahr 1905 für 82 104,50 Reichsmark überdeckelt worden; die Freilegung 95 Jahre später kostete etwa zwölf Millionen D-Mark.

Die teure Renaturierung der Bäche hätte man sich sparen können, wenn man vor einem Jahrhundert auf Karl Klühspies und seine Mitstreiter gehört hätte. "Was da an Stadtqualität verloren gegangen ist, kann man auch mit Millionen nicht wieder gutmachen", sagt er heute.

Leben am Bach

Gänsesäger

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(Foto: imago/blickwinkel)

Laien sprechen oft von "seltsamen Enten", wenn sie Gänsesäger beobachten. Und sie haben zum Teil recht. Denn die Tiere gehören tatsächlich zur Familie der Entenvögel. Wie eine Ente sieht der Gänsesäger trotzdem nicht aus, denn er ist deutlich größer, außerdem ist sein Schnabel nicht wie bei anderen Enten breit und flach, sondern schmal und fast pinzettenartig. An der Spitze endet er in einem Haken, die Seiten sind gesägt - daher der Name. Weil sich dieser Schnabel gut zum Fischfang eignet, ist der Vogel bei Fischern gar nicht gern gesehen. Dabei ist das Männchen in seinem Prachtkleid mit schwarz-weißem Körper und grün-metallisch glänzendem Kopf eine echte Schönheit, das Weibchen (Foto: Imago) ist schlichter gefärbt in Braun- und Grautönen, auffallend ist der rotbraune Schopf. Normalerweise brütet der Vogel in Baumhöhlen, weil die aber in der Stadt selten sind, weicht er auf Mauernischen und Hauskamine aus. Wenn die Jungen geschlüpft sind,wartet vor dem ersten Gang ins Wasser auf sie ein Sprung aus relativ großer Höhe. Der Gänsesäger war früher in München heimisch, in den 1990er-Jahren aber verschwand er. Jetzt findet man ihn wieder in vielen Gewässern der Stadt dank künstlicher Nisthilfen und klaren Wassers.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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