SZ-Kultursalon:Warten auf grünes Licht

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Beim SZ-Kultursalon vertritt Kunstminister Bernd Sibler den Regierungskurs, Theater oder Museen weiterhin geschlossen zu halten. Zugleich versucht er zu ermutigen: Gelder seien im Etat 2021 vorhanden, an Großprojekten werde festgehalten

Von Michael Zirnstein

Es seien "Fake News", dass Hans Maier vor 40 Jahren der letzte bayerische Kunstminister gewesen sei, der selbst leidenschaftlich gern in die Oper oder ins Theater gegangen ist, sagte Bernd Sibler (CSU) zu Gast im "Kultursalon" der Süddeutschen Zeitung. Im live via Internet gesendeten Gespräch unter dem Titel "Kulturstaat in der Krise" mit René Hofmann, Leiter des Ressorts München, Region und Bayern, und Susanne Hermanski, Leiterin der Kulturredaktion, bekannte der amtierende Minister für Wissenschaft und Kunst, auch er vermisse es im momentanen Lockdown, in die Oper, ins Gärtnerplatztheater oder in kleinere Bühnen zu gehen. Gerade als Niederbayer freue er sich darauf, "wieder Kabarett" im Passauer Scharfrichterhaus "zu spüren", nach einem Auftritt von Django Asül "bei einem Bierchen oder Glas Wein beieinander stehen zu dürfen und zu diskutieren, ob der Gag gesessen hat oder nicht. Es fehlt uns allen." Bernd Sibler ist also ein Mitleidender. Dieses Eigeninteresse kann nicht schaden, wenn der Minister sich bemüht, den Einschlag des Virus im "Kulturstaat" Bayern gering zu halten, lange geplante Projekte wie den neuen Konzertsaal in München auf Kurs zu halten oder Bühnen und Museen so schnell wie möglich wieder mit Publikum zu füllen. "Als Kunstminister will ich ermöglichen, nicht verhindern", sagte er, "deswegen ist es ausgesprochen schwierig, auch für einen selbst und mein ganzes Haus, wenn man weiß, dass etablierte Strukturen so nicht mehr funktionieren. Es war furchtbar."

"Als Kunstminister will ich ermöglichen, nicht verhindern", sagte Kunstminister Bernd Sibler. (Foto: Florian Peljak)

Ende der Auftrittsverbote

Monatelang durften Künstler in der ersten Jahreshälfte nicht auftreten, nach sanften Öffnungsversuchen im Sommer sind sie auch jetzt wieder ohne (zahlendes) Publikum. Der Zusatz "light" beim zweiten Lockdown gilt für den Handel, aber wieder nicht für die dem Freizeitspaß zugeschlagene Kultur. Andere Länder wie Österreich wagten mehr, mussten das öffentliche Leben längst aber noch stärker herunterfahren. Bernd Sibler sagt: "Wir haben so lala in Deutschland und Bayern einen Mittelweg gefunden." Er stehe zu diesem Kurs. Aber es sei "ein schrecklicher Spagat zwischen gesundheitlichen Anforderungen und einer freien Kunst und Kultur." Auf die Frage, ab welchen Inzidenzwerten alle wieder nicht nur arbeiten und einkaufen, sondern auch Kultur genießen dürfen, nannte Sibler eine Zahl: "43". Er spielte damit auf die alles erklärende "42" im Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" an. Die eigentliche Marke aber seien 50 Ansteckungen je 100 000 Einwohner pro Woche, erst darunter könnten die Gesundheitsämter die Infektionswege wieder verfolgen. Nach Gesprächen etwa mit dem Konzertmogul Marek Lieberberg, Staatsopernintendant Klaus Bachler oder kleineren Kulturagenten wie Roman Hofbauer wisse Sibler aber auch: "Wir müssen den Schwellenwert länger und kontinuierlich halten", ein "auf und zu und auf und zu auf zu" bringe niemandem etwas. "Dafür brauchen wir in den nächsten Wochen noch viel Disziplin."

Pilotprojekte

Haben die von Wissenschaftlern der LMU begleiteten Tests mit 500 Besuchern in der Staatsoper und der Philharmonie in München und im Nürnberger Konzertsaal also nichts gebracht außer der falschen Hoffnung, der nachweislich sichere Kulturbetrieb könne langsam unabhängig wieder hochfahren? "Im Sommer hatte man den Eindruck, das Thema Corona ist kein Problem mehr", erklärte Sibler, "deswegen haben wir die Strategie gewählt, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischen Tuns Szenarien zu entwickeln und stufenweise Öffnungen zu erwirken." Die zweite Corona-Welle sei dann aber heftiger als erwartet hereingebrochen: "Zu schnell, zu früh, zu hohe Zahlen." Immerhin, wenn diese "deutlich zurückgehen", würden die wissenschaftlichen Erkenntnisse - etwa zur "Querflöte als besonders schwieriges Instrument mit einem gerichteten Luftstrahl" - helfen.

Kunstminister Bernd Sibler (Mitte) diskutierte mit den SZ-Redakteuren Susanne Hermanski und René Hofmann im Literaturhaus, live im Stream übertragen. (Foto: Florian Peljak)

Benachteiligung der Kultur

Alle Vorhänge zu, aber die Ladentüren offen. Hat Bernd Sibler die Belange der Museen und Theater, die extra in teure Hygienestandards investieren mussten, in der Staatskanzlei und im Bund nicht vehement genug vertreten? "Die prioritäre Entscheidung" beim zweiten Lockdown war, das wirtschaftliche Leben aufrechtzuerhalten" und die Schulen offen, räumte Sibler ein. "Das sind Akzentsetzungen." Im Ministerrat habe er aber "die Position der Kunst und Kultur vertreten", diesmal "offensiver als vielleicht am Anfang der ganzen Entwicklung". Wer etwas haben wolle, müsse dafür kämpfen, "und jeder weiß, dass jetzt erst mal eine schwierige Zeit kommen wird, wo man auch Prügel beziehen wird in der Auseinandersetzung". Die gute Nachricht: Im Haushalt für 2021 sei auch dank der Corona-Kredite Geld vorhanden, es werde keine Kürzungen geben.

Freie Szene

Gerade am Anfang der Corona-Krise warfen nicht wenige auf einmal einkommenslose Künstler dem Kunstminister vor, sich nicht mit Feuereifer für sie stark zu machen. Die Nothilfe sei zu bürokratisch oder käme nicht an, beklagte die freie Szene. Selbst Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigte sich enttäuscht, dass nur 8000 Förderungsempfänger erreicht wurden. Sibler versprach: "Wir wollen das Verfahren nun deutlich einfacher machen", die Hilfsgelder sollen zudem kompatibel sein mit Programmen des Bundes. Sobald diese geklärt seien, könne er auch den Rahmen für Bayern nennen. Der Minister betonte, dass die aktuelle Spielstättenförderung, das Stipendienprogramm und die Künstler-Soloselbständigenhilfe zusammen mit der Szene entwickelt wurden und von dieser goutiert würden. Zudem habe sein Ministerium selbst Auftrittsmöglichkeiten für Künstler geschaffen, etwa mit eigenen Brunnenhofkonzerten im Sommer, gerade sei man dabei, "mit TV-Anbietern eigene Reihen auf den Weg zu bringen, damit wir Gelegenheiten bieten können, über den Winter zu kommen". Er versprach: "Ich will den Dialog mit der freien Szene intensivieren." Sibler verwies auf eine neue Stelle im Ministerium, die sich erstmals genau darum kümmere. Er wolle andere Kommunikationswege als Pressemitteilungen finden. Daher habe er sich bei "Aufstehen für Kultur" den Demonstranten auf dem Königsplatz gestellt, "auch wenn die ganze Veranstaltung für den amtierenden Kunstminister nicht die schönste ist, ganz klar".

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(Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten/dpa)

Zukunft, Gegenwart, Altlast des Kulturstaats: Am Konzerthaus will die Staatsregierung laut Bernd Sibler festhalten.

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(Foto: Florian Peljak)

Bei der Demo "Aufstehen für Kultur" stand der Minister zwischen seinem Amtsvorgänger Wolfgang Heubisch (re.) und Robert Brannekämper, dem Vorsitzenden des Kulturausschusses im Landtag.

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(Foto: Catherina Hess)

Die Neue Pinakothek kurz vor ihrer Schließung.

Neuer Konzertsaal

Bernd Sibler bekräftigte das Festhalten seines Chefs Markus Söder an einem neuen Konzertsaal für die Symphoniker des Bayerischen Rundfunks im Münchner Werksviertel - auch wenn es sein könne, dass sich nun "alles auf der Zeitschiene noch ein Stück zieht". Aber er sehe dies als Verpflichtung, gerade jetzt kurz vor dem ersten Todestag Mariss Jansons'. Sibler möchte den Willen des einstigen Orchesterleiters erfüllen, keinen repräsentativen Elite-Tempel zu errichten, sondern ihn für "tolle Arbeit mit jungen Künstlern", die freie Szene und mediale und digitale Arbeit zu öffnen. Die Frage, ob er sich zu vereinzelten Sirenengesängen aus dem Münchner Rathaus hingezogen fühle, doch lieber im Gasteig oder der Interims-Philharmonie einzusteigen, konterte er mit der Feststellung: Im randständigen Werksviertel andererseits helfe der Freistaat der Kommune mit einem kräftigen Impuls städtebaulicher Art. Zudem sei der Ostbahnhof von ganz Bayern aus mit öffentlichen Verkehrmitteln zu erreichen, und er sei nicht Kunstminister für München, sondern für ganz Bayern.

Weitere staatliche Bauprojekte

"Schritt für Schritt" will Sibler den Sanierungsstau lösen wie im Haus der Kunst oder in der Musikhochschule. Bei der seit zwei Jahren geschlossenen Neuen Pinakothek seien nun alle Gemälde verfrachtet und nach schwierigen Gesprächen "alle notwendigen Beschlüsse in den Gremien eingeholt", so dass 2021 mit der Sanierung begonnen werde. "Mein Ziel ist: Jedes Jahr ein großes Kulturprojekt angehen." So habe er bereits auch das Proben- und Werkstattzentrum für das Residenztheater auf den Weg gebracht. "Aber alles gleichzeitig können wir nicht tun, die Bauverwaltung muss auch die Kapazitäten haben."

Digitalisierung

Bei der Suche nach positiven Effekten des Social Distancing kommt man schnell zum Anschub der Digitalisierung. Sibler hatte am Wochenende einen SMS-Wechsel mit einem stolzen Gärtnerplatz-Intendant Josef Köpplinger. Dank der "deutlich verbesserten" Digitalausstattung am Staatstheater sahen dort bei der "Hänsel und Gretel"-Premiere 10 000 Theaterfreunde im Stream zu. Das helfe ein Stück über diese Zeiten hinweg, und das "Bavariathek"-Programm könne auch den Großstadt-fernen Bayern helfen, die nicht täglich in die Oper nach München oder ins Nationalmuseum in Nürnberg fahren können. Da habe man gelernt. "Als Ergänzung!", betonte Sibler. Aber im Joggingsanzug mit einem Bier vor dem Flatscreen Streams glotzen, könne kein Ersatz sein für die authentische Begegnungen mit Theater oder Musik. "Nummer eins muss die Präsenz sein, daran arbeiten wir, dass wir das nach der Pandemie wieder vernünftig hinkommen."

Wiederaufbau

Schwarzmaler sagen: Wenn der Krieg gegen das Virus zu Ende ist, wird die Kultur so in Trümmern liegen, dass sie ein eigenes Aufbauprogramm braucht. Doch an so einem New Deal mit Kraft des Staates, der Wirtschaft und des Mäzenatentums strickt der Kunstminister noch nicht. "Wir tun zunächst alles, um so ein Trümmerfeld zu vermeiden. Je mehr wir erhalten, umso besser. Wir werden uns die Situation ansehen." Und dabei braucht es voraussichtlich einen langen Atem. Ministerpräsident Söder habe auch klargemacht, dass man nicht bis 31. Dezember schaue und dann sei "Friede, Freude, Eierkuchen". "Wir unterstützen mindestens bis in den Sommer hinein, vielleicht ein Stück länger." Sibler verspürt da bei sich ein "ehrliches Ringen", und auch das kann nur helfen: "Wir müssen Optimismus ausstrahlen."

© SZ vom 25.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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