Eine zierliche Frau öffnet die Tür. Erdgeschoss, ein helles Zimmer, Einzelbett aus Buchenholz. „Hier hause ich“, sagt sie. Eine richtige Wohnung ist das hier nicht, es ist eine Unterbringung, organisiert von der Stadt München, die Bezeichnung ist: Clearinghaus. Clearing steht im Englischen für Klärung oder Suche nach Lösungen. Hier landen Menschen, die kein Zuhause haben, akut wohnungslos sind – und die Lösung, die sie suchen, ist eine dauerhafte, eigene Bleibe. Aber hier in München, der teuersten Stadt Deutschlands, sind günstige Wohnung sehr rar.
Lisa Zamper (Name geändert) hat sich die Haare zurechtgemacht, sie sind fein und grau, über den Augenbrauen liegt ein Pony, darunter blauer Lidschatten. Wie geht das, mit 78 Jahren wohnungslos werden? Sie will alles richtig erzählen, muss ausholen. Um sicherzugehen, dass sie nichts vergisst, hat sie ihre Geschichte in einen Block geschrieben. Ihre Schrift ist schmal und klassisch etwas nach rechts geneigt.
Zamper kommt eigentlich aus guten Verhältnissen, arbeitete an einer Universität in München als Fremdsprachensekretärin. Ihre Eltern besaßen eine große Immobilie im Münchner Umland, wo die Familie auch wohnte. Für sie war immer klar: Das ist meine Altersvorsorge, ich habe ausgesorgt. Aber als der Vater stirbt, kann die Mutter die Kreditabzahlung nicht mehr alleine stemmen. Zamper und ihr Bruder übernehmen von da an die Kosten. Jedoch wird die Mutter immer älter und benötigt Unterstützung. Zamper kümmert sich, übernimmt irgendwann auch die Pflege. „Als es mir allein zu schwer wurde, wollte mir der Bruder nicht helfen“, erzählt Zamper. Man merkt, dass diese Wendung sie sehr verletzt hat.
Insgesamt hat sie sich 13 Jahre um ihre Mutter gekümmert. Die letzten sechs davon sei sie „schwerst pflegebedürftig“ gewesen, sagt Zamper. Alles habe sie alleine gemacht. Bloß einmal die Woche sei ein Pflegedienst vorbeigekommen.
Als das Elternhaus verkauft werden muss, ist die Altersvorsorge weg
Zwischen und ihr und ihrem Bruder entsteht ein immer komplizierterer Streit. Rechtsanwälte werden eingeschaltet. Letztlich muss die geerbte Immobilie verkauft werden, da ist Zamper 69 Jahre alt. „Damals habe ich die Wohnung verloren und meine Altersvorsorge.“ Übrig bleibt eine beachtliche Summe vom Verkauf – und eine Rente, knapp 1500 Euro monatlich. Da steht sie nun, muss umziehen, und die pflegebedürftige Mutter mitnehmen. Weil diese nachts umherwandert und stürzt, braucht sie ein Gitterbett. Dafür muss auch die Wohnung entsprechend groß sein. In München wird Zamper fündig, 1590 Euro warm. Eigentlich weit über ihren Einkünften, aber sie hat ja die Summe vom Verkauf des Hauses.
Wenige Zeit später stirbt ihre Mutter. Der Verlust der eigenen Wohnung, der Streit mit dem Bruder, der erzwungene Umzug, der Tod der Mutter, die Beerdigung – „es war eine schwere Zeit für mich“, sagt Zamper.
Irgendwann war ihr Vermögen aufgebraucht. Die Rente reichte nicht für die Wohnung. Sie beantragte Grundsicherung, machte sich erneut auf Wohnungssuche, aber fand nichts, was finanzierbar war. Schließlich starb auch ihre Vermieterin. Und die Erben? Haben ihr wegen Eigenbedarf gekündigt. Im Mai 2024 war die Zwangsräumung. Die Nachricht, dass das Sozialreferat im Clearingshaus für sie ein Apartment hat, war ihre Rettung. Auch hier steht Miete an, aber nur 308 Euro. Sie kommt jetzt wieder gut über die Runden, muss nicht ins Minus. Endlich kann Zamper aufatmen. „Ich habe hier allen viel zu verdanken. Sonst wäre ich auf der Straße gelandet.“
Eine große orangefarbene Kerze steht auf dem quadratischen Tisch. Kleine rote Christbaumkugeln hat sie schon besorgt. Es fehlen noch ein paar Tannenzweige, dann kann sie zu Heiligabend auch ein bisschen dekorieren. Sie wird sich etwas Leckeres kochen. Und den Fernseher anschalten. Den habe sie hier geschenkt bekommen, sagt sie, sie kann es manchmal noch nicht fassen, wie nett die Menschen sein können.
Im neuen Jahr beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ende Januar bekommt sie die Schlüssel zu ihrer eigenen Wohnung. Ein soziales Projekt, betreutes Wohnen, im Norden der Stadt. Ihre Kleidung und ihr Geschirr hat sie bei einer Spedition eingelagert, sagt Zamper. Was sie aber nicht mehr hat, sind all ihre Möbel. Und keinerlei Rücklagen mehr, um sie zu besorgen. Ihr Luxus sei, sagt sie, jeden Tag ausschlafen zu können.
So können Sie Lisa Zamper und anderen Bedürftigen in München helfen:
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