Eigentlich hat Josef Müller sich seine Rente anders vorgestellt. Er dachte, mit 69 Jahren wäre er in einem Wohnmobil unterwegs in Richtung Süden, das Ziel völlig egal, vielleicht Spanien, Italien oder die Türkei. Einfach losziehen und sich die Welt ansehen.
Es kam anders. Josef Müller hat im Monat nur 400 Euro zur Verfügung. Viel zu wenig, um ein Wohnmobil zu mieten. Er lebt mit seinem Kater namens Tiger in einer kleinen Wohnung in der Messestadt Riem. Er hat kaputte Knie, eine Durchblutungsstörung in den Beinen, Schmerzen in den Füßen. Wenn Josef Müller raus will aus der Wohnung, nimmt er einen E-Scooter und fährt in den Buga-Park, den Hügel hoch. Dort sieht er sich an, wie die Sonne unter- oder aufgeht.
Ein Nachmittag im Dezember. Josef Müller ist in ein Café in den Riem Arcaden gekommen, um seine Geschichte zu erzählen. Da sitzt er nun in der warmen Einkaufszentrum-Luft und lässt trotzdem lieber Anorak und Mütze an. „Ich wollte eigentlich noch zum Friseur gehen“, sagt er. Es kam anders.
Josef Müller löffelt den Milchschaum vom Cappuccino und erzählt jetzt einfach alles. Wie seine Ehe scheiterte, weil seine Frau ihn mit seinem besten Freund betrogen hatte. Wie er jahrelang Geld zusammenkratzte, um den Unterhalt für seine beiden Söhne zu zahlen. Wie er sich von Job zu Job hangelte, Friseur, Bauarbeiter, Maler, bevor er zwanzig Jahre bei einer Spedition im Messebau arbeitete – bis die Firma 2002 plötzlich insolvent war. Wie weitere Beziehungen scheiterten. Arbeitslosigkeit, Ausweglosigkeit. Er sagt: „Da hat’s mir den Schalter rausgehauen.“
Das Paar am Nebentisch, müde vom Weihnachtsshopping, ist jetzt ganz still geworden. Die Frau schaut zu Josef Müller rüber, aber der ignoriert sie einfach. „Ich bin froh, dass ich überlebt habe“, sagt er. Sechs Monate verbrachte er in der psychiatrischen Klinik in Haar. Die Diagnose: Depressionen und eine bipolare Störung. Drei Jahre lebte er in einem betreuten Männerwohnheim an der Knorrstraße. 2007 zog er in seine jetzige Wohnung in Riem.
Josef Müller hat einen ruhigen Alltag. Er verbringt viel Zeit am Computer, hört Radio Arabella, checkt seine Mails, schaut Tatort in der ARD-Mediathek. Er hätte gerne einen größeren Monitor, am liebsten 27 Zoll, denn sein alter Monitor flackert schon und hält vielleicht nicht mehr lange durch.
Manchmal fährt er auch mit dem E-Scooter zu den Riem Arcaden, setzt sich draußen auf die Raucherbank vorm McDonald’s. Es gibt ein kleines Grüppchen, das sich hier trifft, zum Quatschen, zum Rauchen. Ilse, die alte Dame mit dem Einkaufstrolley, ist immer hier. Die allermeiste Zeit verbringt Josef Müller aber mit seinem Kater Tiger. „Der hat mir jetzt auch schon Kummer gemacht“, sagt er. Zweimal ist er abgehauen, einmal für vier Wochen, beim zweiten Mal fünf Wochen lang. Josef Müller sah ihn während der Zeit manchmal durchs Fenster, wie er draußen in der Parkanlage gegenüber herumstreunte. Irgendwann saß er wieder vor seiner Tür. Tiger ist jetzt eine Hauskatze. Er ist immerhin schon 16 Jahre alt.
Josef Müller kommt jetzt zum Ende seiner Geschichte. Er hat von Enttäuschungen gesprochen, er hat keinen Kontakt mehr zu seinen Söhnen. Von Schmerzen und Gedanken-Kreisen. Von seinen Medikamenten, er nimmt Antidepressiva, manchmal Schlaftabletten. „Aber ansonsten bin ich glücklich“, sagt er. „Meine Katze lebt, mir geht's gut.“
So können Sie Josef Müller und anderen Bedürftigen in München helfen:
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