SZ „Gute Werke“:„Mein Herz war kaputt“

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Die Kinder von Nila Sabiri könnten nicht nur neue Sachen zum Anziehen brauchen, sondern auch einen Lattenrost für das Bett. Die Matratze liegt auf Kisten. (Foto: Catherina Hess)

Fünf Jahre lang war Nila Sabiri von ihren Söhnen getrennt, der Ex-Mann hatte sie nach Afghanistan entführt. Nun hat sie ihre Kinder wieder – doch es fehlt ihnen an vielem.

Von Justin Patchett

Erst stritten sie, dann hieß es, er fahre mit den Kindern in den Urlaub. Drei Tage später bekam Nila Sabiri einen Anruf. Ihr Ex-Mann habe ihr gesagt, dass er mit den Kindern in Afghanistan sei. Und dass er mit ihnen nicht mehr nach Deutschland zurückkehren werde.

So erzählt es Nila Sabiri (Name geändert). Sie ist 2017 aus Afghanistan geflohen, um ihrem Mann nach Deutschland zu folgen. Und kurz darauf entführte der die beiden Söhne in ihr Heimatland. Fünf Jahre war Sabiri von ihren Kindern getrennt, erzählt sie der SZ. Und genauso lange habe sie geweint. „Ich bin Mama. Mein Herz war kaputt.“

Nila Sabiri ist eine kleine, schüchterne Frau. Sie wohnt in einem WG-Zimmer in München. Der Putz bröckelt von der Wand, die Heizung sei lange defekt gewesen, nun funktioniere sie endlich. Dem Bett fehlt der Lattenrost, die Matratze wird von Kisten und Alltagsgegenständen gestützt. In Deutschland habe Nila Sabiri lange in Angst gelebt, sagt sie. Ihr Ex-Mann habe ihr ständig eingeredet, dass es auf den Straßen Münchens gefährlich sei. Also traute sich Nila Sabiri kaum raus, sogar der Wind habe ihr Angst gemacht, wenn er nachts gegen die Balkontüre schlug. Die ersten fünf Jahre in ihrem neuen Leben waren eine stressige und einsame Zeit. „In Deutschland bin ich allein.“

Seit dem letzten Jahr geht es Nila Sabiri etwas besser: Sie hat ihre Kinder zurück. Eine Anwältin half ihr, die Söhne nach Deutschland zu holen. Sie sind inzwischen zehn und zwölf Jahre alt. Sabiris Augen leuchten, wenn sie von den beiden erzählt. Dass sie Cricket lieben. Dass sie gerne Spiele auf dem Handy spielen. Doch das Leuchten verschwindet, wenn sie darüber redet, was ihre Söhne in den fünf Jahren in Afghanistan erlebt haben. Nila Sabiri sagt, sie durften dort nicht zur Schule gehen. Und dass sie von ihrem Opa und von ihrem Onkel geschlagen worden seien.

Der Vater ist weiterhin eine Bedrohung, so sieht es das Münchner Sozialreferat. Die Kinder haben jetzt aber keinen Kontakt mehr zu ihm, sagt Sabiri. Die Bezirkssozialarbeit stellt der Familie eine sogenannte Erziehungshilfe zur Verfügung. Nila Sabiri lernt zwar Deutsch, doch sie lernt auch das erste Mal lesen und schreiben. Sie wuchs in einer dörflichen Region in Afghanistan auf und durfte dort als Frau nicht zur Schule gehen. Sie lernte stattdessen zu schneidern. Die Erziehungshilfe soll Sabiri vorwiegend bei bürokratischen Aufgaben unterstützen, wenn es um die Belange der Kinder geht.

Die Söhne gehen zur Schule und wohnen mit ihrer Mutter in dem WG-Zimmer. Sabiris Mitbewohner beschwere sich, sagt sie, dass sie zu laut seien. Überhaupt macht es die Wohnsituation für Sabiri schwierig, Besuch zu empfangen. Es gibt keinen Esstisch in ihrem Zimmer. Die Kinder schlafen in dem Bett ohne Lattenrost, Nila Sabiri selbst schläft auf der Couch. Allerdings selten gut, sie hat Kopfschmerzen und nimmt deswegen oft Tabletten.

Alleinerziehende Frauen haben es selten leicht. Schon gar nicht, wenn sie als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind. Nila Sabiri möchte ihren Kindern neue Anziehsachen für den Winter und einen Kleiderschrank kaufen. Sie selbst hätte gerne ein eigenes Bett. Doch dafür fehlt nicht nur der Platz im Zimmer, sondern vor allem Geld. In München hat Sabiri drei Jahre lang für zwei Euro die Stunde Handschuhe und Handtaschen genäht, erzählt sie. Jetzt bezieht sie Bürgergeld. Sie hätte später gerne eine eigene Wohnung, sagt Sabiri – und klingt dabei fast bescheiden.

So können Sie der Familie von Nila Sabiri und anderen Bedürftigen in München helfen:

Per Paypal oder per Lastschriftverfahren unter sz-gutewerke.de/spenden. Mit einer Überweisung an SZ Gute Werke e. V., HypoVereinsbank, IBAN DE 04 7002 0270 0000 0822 28, BIC HYVEDEMMXXX

Spenden können Sie auch im SZ-Servicepunkt im Kaufhaus Ludwig Beck, Marienplatz 11, Eingang Dienerstraße, 1. Obergeschoss. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr.

Spenden an SZ Gute Werke sind steuerlich absetzbar. Jede Spende wird in vollem Umfang dem guten Zweck zugeführt. Alle Verwaltungskosten trägt der Süddeutsche Verlag. Sachspenden können aus organisatorischen Gründen nicht entgegengenommen werden.

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