SZ am Gardasee:"Ich möchte zeigen, dass man sich auch mit Kleidergröße 48 schön anziehen kann"

SZ am Gardasee: Prechtl zeigt sich auch schick herausgeputzt an der Promenade des Gardasees, sichtbar gerne.

Prechtl zeigt sich auch schick herausgeputzt an der Promenade des Gardasees, sichtbar gerne.

(Foto: Stephan Rumpf)

Mit Fotos vom Gardasee setzt sich Verena Prechtl als Plus-Size-Model in Szene. Erst wurde die Münchnerin dafür im Internet verspottet. Doch dann bekam sie Hunderte begeisterte Mails.

Von David Costanzo

Sie sind früh dran. Um acht Uhr erreichen sie den kleinen Strand bei Tignale am Westufer, wo der Kies ganz fein gemahlen ist. Die Surfer tanzen da schon auf dem Wasser, sie übernachten hier, um am Morgen auf den Brettern zu stehen, wenn der Pelér von Norden her auffrischt, der König der Gardawinde.

Verena Prechtl und ihr Freund Maxi holen sich noch schnell Cappuccino und Brioche in der kleinen Bar. So machen sie das immer, wenn sie im Sommer am Gardasee sind. Doch an diesem Tag greift er zum Fotoapparat, als sie ihr Strandkleid abstreift. Verena posiert auf der kleinen Mauer, die Morgensonne im Gesicht, den Pelér in den Haaren. Das Bild zeigt Verena im Blumen-Bikini, Kleidergröße 48. "So wie ich bin und ohne Weichzeichner", wird sie kurz darauf über das Foto schreiben, als sie es via Instagram der ganzen Welt zeigt und die Welt sich darüber auslässt. Ihr Freund Maxi hatte sie noch gewarnt. Das war vor einem Jahr.

Verena Prechtl setzt sich als Plus-Size-Model in Szene. Die 29-jährige Münchnerin betreibt zusammen mit einer Freundin einen einzigartigen Modeblog: Prechtl ist die Kurvige, die 27-jährige Sophia Faßnacht die Dünne - zusammen sind sie "The Skinny and the Curvy One". Die Bilder entstehen in München und am Gardasee, wo Verena Prechtl in Tremosine oberhalb von Limone in einer Ferienwohnung lebt, die ihre Eltern vor drei Jahrzehnten als Ruine übernahmen und herrichten ließen. Gut ein Dutzend Mal im Jahr fährt sie über den Brenner und lässt bei Bozen die Fenster runter, um die erste italienische Luft zu atmen.

Zwischen Hass-Kommentaren und Likes

Noch am Strand von Tignale erreicht sie damals der Shitstorm, wie Prechtl es nennt. Vor allem Frauen nennen das Bikini-Bild einen "Totalschaden", philosophieren über ihre Blutwerte, posten Schweinchen-Bildchen unter dem Stichwort "#diet". "Ich hatte ein mulmiges Gefühl, mich halbnackt ins Internet zu stellen", sagt Verena Prechtl. Doch es war richtig, wie sich herausstellt. Denn der Wind dreht sich schnell, so wie am Mittag auf den Pelér die Ora folgt, die Brise aus dem Süden.

Auf die Hass-Kommentare folgen die Likes - 2500 bekommt sie in ein paar Tagen, ein zweites Bikini-Bild sogar 10 000. Dazu Hunderte E-Mails, in denen sich Frauen bedanken, dass sie sich jetzt wieder ins Freibad trauen, dazu herzzerreißende Kommentare: "Gibt es etwas, das du dir selbst einredest, damit du die Blicke überstehst?" Und Verena Prechtl antwortet: "Ich denke mir, die finden bestimmt meinen Bikini schön oder meine Haare."

Sie stellt sich diesen Blicken und sie stellt sich in ihrem Blog dem Vergleich mit ihrer dünnen Freundin Sophia. Vor drei Jahren haben sie die ersten Bilder online gestellt. "Ich möchte anderen zeigen, dass man sich auch mit Kleidergröße 48 schön anziehen kann", sagt Prechtl. "Ich kenne viele Frauen, die nur Jogginghosen tragen."

Während die Touristen auf der Promenade in Limone in ausgebeulten kurzen Hosen auf Flip-Flops vorbeischlurfen, trägt sie beim Treffen ein kurzes, korallfarbenes Kleid. Schließlich ist es Sonntag und da machen sich die Italiener fein, die Männer im Sonntagsanzug, die Frauen in Kleid und Stöckelschuhen, um einen guten Eindruck zu machen. Dieses "Bella figura"-Machen - das Leitmotiv der italienischen Alltagskultur - hat natürlich nichts mit der tatsächlichen Figur zu tun und geht weit über den oberflächlichen Eindruck der Kleidung hinaus. Denn wer wirklich "bella figura" macht, lässt auch andere gut aussehen. Nur: Am Sonntag sind auf der Promenade von Limone schon lange keine Italiener mehr unterwegs.

Verena Prechtl liebt dieses Prinzip wie vieles an Italien, doch es geht ihr mit ihrem Blog und den Bikini-Fotos vom Gardasee um mehr.

Wie sie mit hässlichen Kommentaren umgeht

SZ am Gardasee: Inzwischen verdient Verena Prechtl mit ihrem Blog Geld.

Inzwischen verdient Verena Prechtl mit ihrem Blog Geld.

(Foto: privat)

"Ich bin nicht hässlich", sagt sie. "Und ich will keinen Druck mehr haben." Sie mag anziehen, was ihr gefällt, sie tut das für sich. Von der Debatte um "Body Shaming", der Kritik am Körper, hat sie erst hinterher erfahren. Am See hat sie immer schon Bikini getragen, weil die Bräune sie auch nach dem Urlaub noch wärmt. Jetzt kann es eben jeder sehen: Das schenkt ihr noch einmal mehr Freiheitsgrade im Umgang mit sich und der Welt. "Alles, was ich poste, gehört mir. Ich entscheide selbst, ob, was, wie ich etwas veröffentliche." Genau so hat sie sich entschieden, nicht einen der hässlichen Kommentare zu löschen.

Sie will das Dicksein - das Wort benutzt sie selbst - nicht schönreden. "Manchmal ist der Bauch einfach im Weg. Das kotzt mich auch an."Anfang vergangenen Jahres hatte sie ein richtiges Tief und setzte sich am Computer an ihren Blog. "Ich weiß nicht warum, aber ich habe mir jahrelang vorgegaukelt, glücklich und zufrieden zu sein, die Wahrheit ist aber: Ich bin es nicht!", hat sie da in die Nacht geschrien und geheult wie ein Schlosshund. Natürlich probiert sie Diäten, natürlich erlebt sie den Jojo-Effekt. "Natürlich würde ich gern 20, 30 Kilo weniger wiegen", sagt sie. Seit Anfang des Jahres hat sie zehn bis 15 Kilo mit einem Trainingsprogramm geschafft - und gehalten.

Groß war Verena Prechtl schon immer, als Kind war sie der "Riese", mit zwölf, dreizehn Jahren wurde sie immer kräftiger. Sie war auch immer einen Kopf größer als die Jungs, mit denen sie und ihre Freundinnen am Gardasee Zeit totschlugen. Auf dem Motoroller ging es runter nach Limone. Nachts bis vier Uhr saßen sie vor der Kirche und tranken. Ihre erste Romanze mit Stefano folgte - und um ihrer Freundin Sara zu imponieren, ist Marco einmal von der drei Meter hohen Kirchenmauer gesprungen und hat sich eine Platzwunde am Kopf geholt. Großes italienisches Drama.

Seit dem ersten Bikini-Bild hat sich viel getan

Heute grüßt sie die Jungs von früher, mehr nicht, eine Hälfte lebt noch am See, die andere ist in die Stadt gezogen. Verena und Maxi sind den ganzen Tag unterwegs, leihen sich ein Motorboot, wandern die gesperrte alte Bergstraße zwischen Riva und Limone hinauf, wo sie und ihr Vater früher in die Häuser-Ruinen gekraxelt sind, fahren Kajak, gehen zum Stand-Up-Paddling auf den See. An der Bewegung, sagt Verena Prechtl, kann es nicht liegen.

"Seit einem Jahr hat sich viel getan", sagt sie, aber das liegt nicht nur an dem Bikini-Bild. "Ich habe mich selbst lieben gelernt." Sie bekommt tausendfachen Zuspruch für ihre Arbeit. Der Blog läuft immer besser, seit etwa einem Jahr verdient sie damit Geld, das dem Gehalt eines Nebenjobs entspreche. Sie kooperiert mit Modeketten, die Plus-Size als Geschäft entdeckt haben. Sonst führt Prechtl eine Kunsthandlung in Schwabing, italienisches Design, versteht sich.

Sie lernt immer noch. "Ich bin nicht hundertprozentig so weit, dass ich mich hundertprozentig wohlfühle." An manchen Tagen sei sie sehr verletzlich. "Aber die Tage, an denen ich nicht darüber nachdenke, überwiegen."

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