Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Wenn Mütter für alles da sein müssen

Justina M. und Annett W. versorgen ihre Kinder allein. Trotzdem wollen sie arbeiten, um nicht auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein. Doch beides zu vereinbaren, ist extrem schwierig.

Von Inga Rahmsdorf

Justina M. putzt in einer Klinik, seit einem halben Jahr. Sie ist froh, dass sie wieder arbeiten kann. Sie hat schon viele Jobs angenommen, hat Büros gereinigt, in Haushalten geholfen, hat an Umschulungskursen teilgenommen. Aber nie konnte sie lange bleiben. Ihr Sohn Wiliam wurde wieder krank oder Schulferien standen an. Dann musste Justina M. sich um ihr Kind kümmern, erhielt die Kündigung und verlor ihren Job.

Wiliam ist 14 Jahre alt, doch seine Mutter kann ihn nicht alleine im Badezimmer lassen, er würde die Shampooflaschen austrinken. Und wenn sie in der kleinen Küche steht und ihr Sohn im Zimmer nebenan, dann kann es sein, dass er anfängt, die Sachen aus dem Fenster zu werfen, die Porzellanengel, die im Regal stehen, die Bettdecken, die Kleider, aus dem dritten Stock in den Hof.

Wiliam hat das Down-Syndrom und weist autistische Verhaltensweisen auf. Das mache es so schwierig, dass er Beziehungen zu anderen Menschen aufbaut, sagt Justina M. Und das macht auch seine Betreuung so schwierig.

Jeden Tag um halb fünf aufstehen

Justina M. ist alleinerziehende Mutter. Sie bezieht keine Hartz-IV-Leistungen, sie will arbeiten, sie möchte nicht mehr vom Staat abhängig sein. Und sie möchte ihrer kranken Mutter in Peru etwas Geld schicken können. Tagsüber besucht William eine Schule, doch wenn er mal nicht in den Unterricht kann, gibt es keinen Plan B, dann gibt es niemanden, der ihr Wiliam abnehmen kann. Sein Vater wohnt zwar auch in München, aber er schaut nur sehr unregelmäßig vorbei, kümmert sich nicht. Justina M. kann sich nicht auf ihn verlassen.

Um halb fünf morgens stehen sie und ihr Sohn auf. Wiliam braucht viel Zeit, um sich anzuziehen und um zu frühstücken. Um sechs Uhr verlassen die beiden das Haus, nehmen erst die Tram, dann die S-Bahn und dann den Bus. Ihre neue Stelle ist in Starnberg, dort hat sie auch einen Schulplatz für Wiliam gefunden. Doch der tägliche Weg von der Wohnung in Neuhausen bis nach Starnberg ist weit.

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Gegen 18 Uhr kommen die beiden nach Hause, oft erschöpft, der Bus fährt nur alle 40 Minuten, manchmal kommt er gar nicht. Dann stehen sie in der Kälte oder im Regen und Wiliam erkältet sich schnell. Justina M. würde gerne näher bei Starnberg wohnen, doch sie hat bisher keine Wohnung gefunden, die sie bezahlen kann. Würde sie im Landkreis Starnberg leben, könnte Wiliam auch mit dem Schulbus abgeholt und gebracht werden.

Ihr Sohn William hätte gern eine Gitarre

Ein Freitagabend. Justina M. und ihr Sohn sind gerade nach Hause gekommen. Wiliam setzt sich Kopfhörer auf, singt und tanzt, in der Hand schwingt er einen Schal. Er dreht sich immer schneller im Kreis zwischen Sofa und Regal, auf dem Teppich, dem einzigen freien Fleck in der Wohnung.

Sie besteht aus zwei sehr kleinen Zimmern, einfach eingerichtet. Justina M. zeigt ihre Küche. Sie wünscht sich eine neue Spüle, die Wasserrohre sind alt und undicht. Ihrem Sohn würde sie gerne eine Gitarre kaufen, denn Wiliam liebt Musik. Seine alte Gitarre, auf der er viel gespielt hat, ist kaputt. Justina M. versucht außerdem, etwas Geld zur Seite zu legen, um mit ihrem Sohn eines Tages ihre kranke Mutter in Peru besuchen zu können.

Justina M. muss alleine die schwierigen Situationen mit Wiliam meistern - und das oft ohne eine Pause zum Durchatmen. Wenigstens auf einen solle sich ihr Sohn verlassen können, wenn schon nicht auf den Vater, dann umso mehr auf die Mutter, sagt Justina M. Aber jede Ausnahmesituation wird sofort zu einer Herausforderung. Dazu zählen Krankheiten ebenso wie die Schulferien. Alleinerziehende wie Justina M. dürfen nicht ausfallen oder selbst krank werden, sie müssen immer funktionieren, denn niemand ist da, der sich um das Kind kümmern könnte.

Die Angst, die Miete nicht mehr zahlen zu können

Annett W. würde auch gerne wieder arbeiten. Die 40-Jährige hat Angst, dass sie nie wieder aus der sozialen Abhängigkeit herauskommt, dass sie immer weiter staatliche Leistungen beziehen muss. Auch Annett W. ist alleinerziehende Mutter, sie hat drei Kinder zwischen fünf und neun Jahren. Ihr Mann ist vor drei Jahren ausgezogen und ins Ausland gegangen, zu seiner neuen Freundin.

Von einem Tag auf den anderen war sie alleine zuständig für die Kinder, seitdem kümmert sie sich alleine um die drei. Und von einem auf den anderen Tag reichte auch das Geld vorne und hinten nicht mehr. Seitdem hat sie jeden Monat Angst davor, dass sie die Miete nicht mehr überweisen kann.

Früher hat Annett W. als Restaurantfachfrau in einem Hotel gearbeitet und als Stewardess, doch nach der Geburt ihrer Kinder hat sie ihren Job aufgegeben. "Mein Mann wollte nicht, dass ich arbeite", sagt sie. Als er dann ausgezogen ist, da musste sie plötzlich zu Ämtern und Behörden gehen, musste Formulare ausfüllen, musste darum kämpfen, dass sie mit den Kindern wenigstens in der Wohnung bleiben kann.

Endlich ein Kurplatz - doch der Vater zieht vor Gericht

Aber auch das ist unsicher, ihr Ex-Mann hat ihr immer wieder angedroht, dass er eines Tages die Möbel abholen wird. Er lebt wieder in München, nimmt die Kinder ab und an am Wochenende, doch auf ihn verlassen kann sie sich nicht. Seit drei Jahren muss sich Annett W. ständig vor Gericht mit ihm über Geld und Sorgerecht auseinandersetzen. Sie hat schon Angst davor, in den Briefkasten zu schauen, weil da neue Schreiben vom Vater der Kinder liegen könnten.

In den vergangen Jahren hatte sie mehrere Operationen, von denen sie sich nie richtig erholen konnte. Nun hat sie endlich einen Platz in einer Mutter-Kind-Kur erhalten. Und prompt ist der Vater vor Gericht gezogen: weil die Kur über Weihnachten stattfindet. Darüber ist er so sauer, dass er die Kinder gar nicht mehr sehen will.

Häufig fühlt sich Annett W. überfordert. "Es ist anstrengend, keinen Gesprächspartner zu haben, mit dem man die Sorgen über die Kinder teilen kann", sagt sie. Aber das Schlimmste sei, dass der Vater die Konflikte auf dem Rücken der Kinder austrage. Die Belastung sei bei allen dreien deutlich zu spüren. Sie leiden sehr unter der Trennung der Eltern. "Die Kinder haben viel mitbekommen. Wir streiten uns oft, weil alle so unter Druck stehen", sagt sie und wünscht sich, dass es friedlicher bei ihr zu Hause wird.

Dabei würde helfen, wenn jedes Kind sein eigenes Zimmer hätte. Annett W. würde dafür gerne umräumen und einen Teil des Wohnraums mit einem Paravent für ihr Bett abtrennen. Doch sie weiß nicht, ob sie die Wohnung weiter finanzieren kann.

Zurzeit nimmt sie an dem Umschulungsprojekt IBPro der Stadt München und des Jobcenters teil. Ein tolles Programm, sagt sie, dort habe man auch Verständnis, wenn die Schule anruft, und sie eines der Kinder abholen muss, weil es einen Unfall hatte oder krank ist. Aber wie soll das funktionieren, wenn sie eine Arbeit sucht? Und was soll sie mit den drei Kindern machen, wenn sie Ferien haben?

Ein Besuch im Kino ist nicht drin

Annett W. hat ihre Wohnung bunt eingerichtet, sie hat alte Möbel wieder hergerichtet und neu angestrichen, sie malt Bilder, die an den Wänden hängen. Man sieht, dass sie sich hier wohl fühlt, sie kennt die Nachbarn und gerade diese sozialen Netzwerke seien so wichtig, sagt sie. Es würde die Situation noch schwieriger machen, wenn sie die Wohnung verlassen müssten.

Ihren Optimismus hat sich Annett W. trotz allem bewahrt, und davon will sie auch ihren Kindern etwas mitgeben. "Mir ist wichtig, dass sie sehen, dass man sich auch über kleine Momente freuen kann." Wenn die Kinder ins Kino gehen wollen, dann macht ihre Mutter zu Hause Popcorn, baut eine Kinokasse im Wohnzimmer auf und schaut sich mit ihren Kindern eine DVD an. Viermal Eintritt fürs Kino zu bezahlen, ist nicht drin. "Ich gebe nicht auf", sagt sie. "Wenn ich abends nicht mehr kann, dann mache ich Musik an und tanze in der Küche."

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Quelle:
SZ vom 13.12.2014/sekr
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