SZ-Adventskalender:Tröstliches aus der Lunchbox

Auch dieses Jahr kocht Leiterin Isabel Schmidhuber an Heiligabend für die Bewohnerinnen und Besucherinnen des Frauenobdachs Karla 51. Nur gibt es ihr traditionelles Weihnachtsessen heuer abgepackt in Einzelportionen

Von Renate Winkler-Schlang, Maxvorstadt

SZ-Adventskalender: Dieses Jahr ist alles anders, Gemeinschaftsgefühl will angesichts der Abstandsregeln nur schwer aufkommen, auch in der Karla 51.

Dieses Jahr ist alles anders, Gemeinschaftsgefühl will angesichts der Abstandsregeln nur schwer aufkommen, auch in der Karla 51.

(Foto: Catherina Hess)

Weihnachten im Frauenobdach Karla 51 des Evangelischen Hilfswerks, das hatte seine eigene Tradition: Die Chefin, Isabel Schmidhuber, stand im Café im Erdgeschoss der Einrichtung an der Karlstraße 51 selbst hinterm Herd. Kerzen auf den Tischen, Wohlgerüche. "Meistens hatten wir stimmungsvolle Musik, eine kleine Lesung", erinnert sich Schmidhuber. Ihre Freundin verkleidete sich begeistert als Engel und verteilte liebevoll zurechtgemachte Päckchen mit den großzügigen Spenden so mancher treuer Gönner. Frauen ohne eigene Wohnung konnten so für ein paar Stunden Gemeinschaft erleben, waren gerade an diesem emotionsbeladenen Tag nicht allein mit sich und ihren Sorgen. Glanzvolle Fotos aus vergangenen Zeiten zeugen von diesen Feiern.

Im Pandemie-Jahr 2020 wird alles anders, das kann man schon ahnen, wenn man das Café sieht: Die meisten Stühle haben sie längst rausgeräumt. Um die wenigen Tische mahnen Bodenmarkierungen zum Abstandhalten, zwischen Thekenkraft und Besucherin lähmt eine Plexiglasscheibe sämtliche Kommunikationsversuche. Dennoch oder gerade deshalb will Isabel Schmidhuber den Heiligabend so schön machen für "ihre" Frauen, wie es nur irgend geht.

Eine dieser Frauen ist Monika. So jedenfalls sollen wir sie nennen. Die 62-Jährige sitzt in einer Ecke des Cafés, die Hände um eine wärmende Tasse Tee. Zwischen der schwarzen Baskenmütze und der schwarz-glitzernden Mund-Nasen-Maske schauen große, traurige Augen aus ihrem dunkelhäutigen Gesicht. Sie bewohnt derzeit eines der 55 Zimmer, die Karla wohnungslosen Frauen für eine mehrwöchige Übergangszeit anbieten kann. Geschichten wie die von Monika hört Isabell Schmidhuber oft: "Scheidung. Den Mietvertrag hatte nur er unterschrieben. Und schon hat die Frau kein Dach mehr über dem Kopf. Die Frauen denken anfangs nicht darüber nach. Sie glauben ja, die Ehe sei für immer." Monika hätte laut Gericht noch bis Januar in der gemeinsamen Wohnung bleiben dürfen, doch sie hat es nicht mehr ausgehalten - dieses Campieren auf dem Wohnzimmersofa, dieses Lauern darauf, dass die Küche leer ist und sie sich schnell etwas zubereiten kann. Vor allem aber belastete sie die Tatsache, wie sehr ihre beiden fast erwachsenen Töchter unter dieser zerrissenen Situation litten.

SZ-Adventskalender: Leiterin Isabel Schmidhuber wird für "ihre" Frauen kochen, damit sie sich an Heiligabend nicht alleingelassen fühlen.

Leiterin Isabel Schmidhuber wird für "ihre" Frauen kochen, damit sie sich an Heiligabend nicht alleingelassen fühlen.

(Foto: Catherina Hess)

Zu lange schon hatte Monika bei dem Mann ausgeharrt, den sie 1992 in Berlin geheiratet hatte. Sie selbst war bereits 1980 als "Arbeitsgast", wie sie sagt, aus ihrem afrikanischen Heimatland in die damalige DDR gekommen, daher ihr gutes Deutsch. "Liebe ist blind", so erklärt sie heute ihre Ehe mit dem Landsmann. Zwei Kinder haben sie, eine lange Zeit führten sie arbeitsbedingt eine Fernbeziehung, er in München, sie in Berlin. 2005 zogen sie und die Kinder zu ihm nach München. "Immer wackelig", so beschreibt sie die Ehe: "Das war nie 100 Prozent." Doch immer deutlicher gebärdet er sich, als sei nur er "der Bestimmer von allem", erzählt sie. "Er hat sein Leben gelebt, ich war wie seine Putzfrau." Nicht einmal mehr Besuche bei ihrer Freundin erlaubt er ihr. Zweimal schon war sie beim Anwalt, zweimal zog sie den Scheidungsantrag zurück, der Töchter wegen. Doch auch denen tut die Situation nicht gut, eine Tochter unternimmt einen Suizidversuch. "Das war die Katastrophe." Die dunklen Augen zwischen Kappe und Maske füllen sich mit Tränen.

Monikas Zimmer in der Karla 51 ist klein. Aber endlich hat sie wenigstens vier Wände für sich allein und einen Schlüssel zum Abschließen. Und dank der Sozialarbeiterin im Haus auch jemanden, der sie unterstützt, denn zu allem Unglück hat Monika, die in einer großen Kantine arbeitete, auch noch ihren Job verloren: Heimarbeiter brauchen keine Mahlzeit im Büro. Also kommt zur Wohnungssuche das mühsame Verfassen von Bewerbungen. Und das alles vor Weihnachten.

Monika träumt von einer eigenen Wohnung, in die sie ihre Töchter einladen kann und ihre Freundin: "Ich möchte so gerne wieder einmal lachen." "Ein kleines Zuhause haben Sie bei uns", tröstet sie Isabel Schmidhuber. Die Leiterin erzählt von Frauen, die es noch viel schlimmer getroffen haben als Monika, die erst mal ein paar Nächte durchschreien, ehe sie mit sich reden lassen. "Die Mitbewohnerinnen sind hier sehr tolerant. Hier herrscht große Solidarität", sagt Schmidhuber. Im Gegensatz zu klassischen Frauenhäusern, in die sich die Bewohnerinnen aufgrund von häuslicher Gewalt flüchten, sind die Gründe für Wohnungslosigkeit bei den Frauen in der Karla 51 vielfältig, Schicksalsschläge, aber auch psychische Störungen gehören dazu.

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"Wir schicken niemanden auf die Straße. Und es muss keine zurück zu ihrem Mann. Um Gottes Willen", das ist Isabel Schmidhuber wichtig. Doch ihr Haus kann nur dann weiter spontan Zuflucht bieten, wenn es Fluktuation gibt, also wird Monika nach ein paar Wochen raus müssen - notfalls in eine andere Einrichtung, bestenfalls in eine eigene Wohnung.

Für Monika und die anderen Bewohnerinnen, noch mehr aber für die Frauen von der Straße, die sich in der Karla nur "ambulant" zum Essen, Duschen und Wäschewaschen oder einen Besuch in der von Ehrenamtlichen gemanagten Kleiderkammer aufhalten, will Isabel Schmidhuber ein wenig Weihnachtsfreude herbeizaubern. Wieder will sie am 24. selbst kochen. Putengeschnetzeltes, Spätzle, etwas Süßes: Ohne etwas Tröstlich-Warmes im Magen soll keine der Frauen bleiben.

Den Weihnachtswunsch dazu hat sich Schmidhuber schon erfüllt, im Vorgriff auf eine Spende vom SZ-Adventskalender: gute, stabile, warmhaltende und auslaufsichere Lunchboxen, rund 120 Stück. Und ein paar schöne Tüten für die Geschenkpäckchen. Damit alle, die coronabedingt nicht im Café feiern dürfen, sich nicht komplett alleingelassen fühlen. Nicht an Weihnachten.

So können Sie spenden:

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