Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Dem Krieg entkommen

Aboud und Amira R. sind froh, in München in Sicherheit zu sein. Für ihre Kinder wünschen sie sich ein bisschen mehr Teilhabe. Ein Fahrrad würde da schon helfen.

Von Berthold Neff

Es war eine der größten Oasen des ganzen Nahen Ostens: Ghuta, die Heimat von Aboud R. (Namen geändert). Und dann verwüstete ein Bürgerkrieg dieses fruchtbare Land vor den Toren der syrischen Hauptstadt Damaskus, befeuert vom Assad-Regime und zahlreichen Milizen, die einen radikal-islamistisch, die anderen regierungstreu. Akteure wie Russland, die Türkei oder Saudi-Arabien griffen in diesem Hexenkessel ein, mit Truppen, Waffenlieferung und Geld. Sogar der chemische Kampfstoff Sarin wurde hier eingesetzt, 2013 war das.

Zu dieser Zeit verdiente Aboud R. sein Geld noch als Taxifahrer in Damaskus, es reichte gerade so zum Leben. Aber als die Brüder seiner Ehefrau ins Gefängnis kamen und seither als verschollen gelten, sah er auch für sich und seine Familie keinen Ausweg mehr aus dem Kriegselend und der Willkür. Er selbst saß 71 Tage im Gefängnis, und als er endlich draußen war, reagierte er wie so viele seiner Landsleute.

Die Flucht erscheint ihnen als die einzige Möglichkeit. Anfang 2016 flüchteten sie über die Türkei, Griechenland, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Sein Sohn Adil, heute 14 Jahre alt, erinnert sich noch gut an die Ankunft am ersten deutschen Bahnhof. "Willkommen", konnte er dort lesen, auf Arabisch stand es auf einem großen Banner. Deutsch hätte er damals noch nicht verstanden.

Das ist heute ganz anders. Er spricht gut Deutsch, und obwohl die Ärzte bei ihm ein ADHS-Syndrom konstatierten, also eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, kommt er in der Mittelschule gut zurecht. Zum Gespräch in ihrer Truderinger Sozialwohnung mit den drei Zimmern für sechs Leute kommt er gerade vom Praktikum in einer Autowerkstatt, Automechaniker zu werden, das wäre toll, sagt er. Sein älterer Bruder strebt eine Lehre bei Rewe als Einzelhandelskaufmann an, die elf Jahre alte Tochter geht noch zur Schule. Die Kleinste ist fünf Jahre alt und ein echtes Münchner Kindl, bereits hier geboren.

Seit ihrer Ankunft mussten sie sich immer wieder neu orientieren, "wir sind neun Mal umgezogen", sagt Aboud R. auf Deutsch, zwei Jahre lang lebten sie in einer Pension für Wohnungslose. So gut wie seine Kinder kommt er mit der Sprache noch nicht zurecht, aber es reicht für die Arbeit. Seit drei Jahren ist er für einen Sushi-Schnelldienst als Ausfahrer tätig, bekommt dafür zwölf Euro die Stunde und 25 Cent für jeden Kilometer. Acht Stunden ist er dafür jeden Tag unterwegs.

Das ist hart verdientes Geld und wenig dazu. Für einen Deutschkurs bleibt da kaum Zeit, und an größere Anschaffungen ist mit diesem Lohn nicht zu denken. Dass jetzt alles teurer wird, macht die Sache nicht einfacher. Die Inflation macht der Familie schwer zu schaffen. "Am 20. des Monats ist kein Geld mehr da", sagt der Vater. Und jetzt, durch die Energiekrise, wird auch das Heizen zum Problem. Es ist kühl in der Wohnung, da kommt der starke Mokka, den seine Frau Amira dem Gast serviert, gerade recht. Ihr Deutsch ist noch sehr mangelhaft, aber demnächst will sie einen Kurs beginnen.

Die Sorge um die Angehörigen ist in der Familie stets präsent. Sowohl die Eltern als auch die Schwiegereltern von Aboud R. sind in die Türkei geflüchtet, leben dort in den Zeltlagern für Flüchtlinge. Zum Glück haben sie Telefon, sodass ein Kontakt besteht. Es sind schwere Zeiten, aber Familie R. ist glücklich, in Sicherheit zu sein, zumindest mit subsidiärem Schutz. Dieser greift, wenn nach Ansicht der Behörden weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland bei einer Rückkehr ernsthafter Schaden drohen würde.

In Sicherheit sind sie, das stimmt. Aber sonst fehlt es an sehr vielen Dingen. Die Kleinste würde sich ein Kinderfahrrad wünschen, und wenn auch die Eltern und die anderen Geschwister eines hätten, wären Familienausflüge in die Umgebung möglich. Oder gar ein Besuch in einem Familienpark. So etwas haben die Kinder noch nicht erleben dürfen - das wäre schön.

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