So großzügig kann nur jemand sein, der in einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist: Jedes Mal, wenn der große Opern- und Operettensänger Rudolf Schock zu Gast in dem Haus in Düren war, in dem Margit K. (Name geändert) als Haushälterin arbeitete, gab er ihr beim Abschied 20 Mark Trinkgeld. 20 Mark! Sie verdiente ja damals nur 70 Mark im Monat, dann erst kam die Lohnerhöhung auf 130 Mark. Schock, der in einer Duisburger Arbeiterfamilie aufgewachsen war, seinen Vater verlor, als er acht Jahre alt war und zuerst eine Lehre als Friseur machte, bevor er seine Gesangskarriere startete, wusste genau, wie hart sich einfache Leute ihr Brot verdienen müssen. Warum also sollte er der Frau, die spätabends noch ein so gutes Essen hergezaubert hatte, nicht auf diese Weise danken?
Margit K. denkt auch heute noch, mit ihren mittlerweile 85 Jahren, dankbar und mit Bewunderung an ihn. Mit 23 Jahren hatte sie ihr Zuhause verlassen, ein Dorf im Hambacher Forst, der dem Braunkohleabbau weichen soll. Anfangs arbeitete sie bei verschiedenen Familien in Nordrhein-Westfalen als Hauswirtschafterin. Ein Urlaub in Berchtesgaden, für den sie lange gespart hatte, brachte sie nach München, wo sie diverse Heime und Pensionen leitete - mit der Hauswirtschaft und dem Kochen kannte sie sich ja aus. Irgendwann, so sagt sie heute, "war es Zeit für etwas Neues". Die Deutsche Bank, so hatte sie gehört, suchte händeringend Kräfte. Da traf es sich gut, dass sie sich das Tippen beigebracht hatte, auch Steno, und in der Volkshochschule Englisch gebüffelt hatte. 1972, als die Jugend der Welt in München zu Gast bei Olympia war, begann sie in der Scheckwechselabteilung, wechselte dann in den Inkassodienst. Irgendwann aber dachte sie: "Herr, schick mir was anderes." Das andere kam in Gestalt eines Blumenladens in der Amalienstraße auf sie zu, den sie dann ein paar Jahre bis 1979 führte. Richtig erfolgreich war sie damit allerdings nicht: "Es war ein Auf und Ab."
Das könnte man sicherlich auch über ihre Erfahrungen mit Männern sagen, es reichte nie, um eine Familie zu gründen. Mal war es schön, mal endete es böse, wie das so ist im Leben. Und dann kam wieder eine Bank ins Spiel, die Münchner Bank, wo sie dann bis zur Rente arbeitete. Nebenher arbeitete sie noch für den Kunsthistoriker Klaus Gallas. Über eine Urlaubsbekanntschaft auf Kreta hatte sie den Kontakt zu ihm hergestellt. Gallas, ein paar Jahre jünger als sie, hat einen viel gerühmten Reiseführer für die griechische Insel geschrieben.
Sie spürt die Inflation bei jedem Einkauf
In den ersten Jahren im Ruhestand, als der Körper noch mitmachte, war sie weiter aktiv, arbeitete 16 Jahre lang als Ehrenamtliche bei der Hauswirtschaftlichen Beratung an der Maximilianstraße. Erst 2015 hörte sie dort auf, das Alter machte sich bemerkbar, durch Fibromyalgie, Osteoporose, Arthrose, mittlerweile ist sie zu 50 Prozent schwerbehindert. Die Medikamente kosten viel Geld, das sie mühsam von der knappen Rente (1100 Euro) abknapst. Mehr als die Hälfte davon geht ohnehin für die Miete drauf, dabei ist die noch günstig, weil es eine Genossenschaftswohnung mit zwei Zimmern in Neuhausen ist.
Nun, seit die Inflation zuschlägt, spürt sie die Teuerung bei jedem Einkauf. Den Boiler in der Küche hat sie abgestellt, "dann hab ich halt nicht jeden Tag Warmwasser". Aber ob sich dann, wenn das Wasser nicht ständig erhitzt wird, unter Umständen gefährliche Legionellen bilden? Sie weiß es nicht und hofft, dass es nicht passiert. Und sie hofft, dass die Nachzahlung für Strom und Heizung nicht so hoch ausfällt, wie alle sagen. Vorsorglich legt sie schon mal 20 Euro pro Monat dafür weg, aber ob das reicht?
Sorgen bereiten ihr auch die komischen Geräusche, die der 20 Jahre alte Kühlschrank neuerdings macht. Sie befürchtet, dass er den Geist aufgibt. Geld für ein neues Gerät hat sie aber nicht. Und auch der ebenso alte Fernseher fällt immer wieder mit Macken von der Rolle. Sie hofft, dass mit neuen, stromsparenden Geräten auch ihre Stromrechnung sinkt. Trotz all dieser kleinen und großen Probleme will sich Margit K. überhaupt nicht beklagen und sagt tapfer: "Es gibt auf dieser Welt sicher viele Menschen, denen es schlechter geht."
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