Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Schulung für den Neuanfang

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Damit sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen können, bietet der Malteser Hilfsdienst Menschen mit Fluchtgeschichte ein praxisbezogenes EDV-Training an

Von Jürgen Wolfram, München

Wenn einer beruflichen Ehrgeiz entwickelt, dann ist es Seymane Sey. Überpünktlich findet sich der 28-Jährige im Raum 215 der Deutschen Angestellten-Akademie an der Marsstraße ein, dem Computer-Lehrsaal. Hier macht der Integrationsservice des Malteser Hilfsdienstes Menschen mit Fluchtgeschichte fit für den deutschen Arbeitsmarkt. Konstant auf dem Lehrplan: EDV-Training. Als Seymane Sey, der aus Mali stammt, von dem Qualifizierungsangebot erfahren hat, ließ es sich nicht zweimal bitten. Seiner alten Heimat hat er vor 20 Jahren den Rücken gekehrt. Er schlug sich 15 Jahre lang als Fliesenleger und Bauarbeiter in Libyen durch, kam vor vier Jahren nach München. Hier hat er ein klares Ziel, will Spezialist für Fenster- und Türenmontage werden. Sollte das nicht klappen, wägt der junge Mann "Plan B" im Hinterkopf: eine Laufbahn als Krankenhelfer.

Mit der Computerschulung haben die Malteser im Herbst 2017 begonnen und seither mehr als 290 Geflüchtete in ihre Trainings aufgenommen. Alle Teilnehmer werden im 1:1-Verhältnis von einem oder einer Ehrenamtlichen betreut. Dem Afrikaner Sey steht Oliver Baum zur Seite, der hauptberuflich im IT-Bereich einer Versicherung tätig ist - insofern eine Idealbesetzung. Baum fand auf Empfehlung einer Freundin den Weg zum Integrationsdienst der Malteser. Er erklärt, es mache "viel Spaß", Geflüchteten zu helfen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Sey ist sein sechster Schüler. Ein gelehriger und sprachbegabter. Bei weitem nicht in allen Fällen sind Strebsamkeit und Bildungsniveau so hoch wie bei ihm. "Es gibt auch Leute, die sehen hier erstmals in ihrem Leben eine Tastatur."

Den individuell passenden Ausbildungsplan zu erstellen und harmonierende Tandems aus Ehrenamtlichen und Kursteilnehmern zu finden, ist die Aufgabe von Rahel Wacker. Sie baute das Jobmentorin-Programm der Malteser mit auf. Studiert hat Wacker Ethnologie, ihren Master machte sie zum Thema Migration. In Zeiten des Syrienkriegs naheliegend, wie sie meint. "Da lag es auf der Hand, dass ich auch beruflich entsprechend einsteige", sagt Wacker. Eine "interessante Stellenanzeige" der Malteser weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie ist froh, darauf sofort reagiert zu haben: "So konnte ich gleich mal die Neuschaffung eines Angebots mitgestalten und eigene Ideen einbringen."

An der Notwendigkeit, Geflüchteten eine Computerschulung angedeihen zu lassen, besteht für niemandem der geringste Zweifel, der sich bei Rahel Wacker näher informiert. Heutzutage müssten schon Berufsschüler Dokumentationen online erstellen, schildert sie die Herausforderung einer modernen Arbeitswelt, und jeder angehende Altenpfleger oder Lagerarbeiter brauche Computerkenntnisse. Personen mit Fluchtgeschichte brächten diese jedoch in der Regel nicht mit, beherrschten die Grundlagen oft nicht im Ansatz, "schon gar nicht auf Deutsch".

Gegen diese Bildungslücken setzen die Malteser ihr "sehr praxisbezogenes" EDV-Training. Die Schüler, die fast ausnahmslos in Flüchtlingsunterkünften der Stadt oder des Landkreises München wohnen, finden in der sonst eher für ihre Unfallhilfe bekannten Organisation einen verlässlichen Partner. Bis hin zur Bewerbungsbegleitung reicht der Beistand für Personen der Zielgruppe. Diese müssen lediglich Aufenthaltstitel und Mindestsprachkenntnisse (A 2) vorweisen. Im Malteser-Integrationsdienst München arbeiten derzeit 109 Ehrenamtliche, 20 davon im EDV-Training. Dieses dauert pro Einheit sechs Monate; zwei Stunden pro Woche sind das absolute Teilnahmeminimum, vier Abendstunden die Regel. Coronabedingt befinden sich gegenwärtig jedoch mehrere Ehrenamtliche und Schulungsteilnehmer in Quarantäne, die Unterweisungen laufen also auf kleinerer Flamme. Am Ende gibt's jedenfalls ein Zertifikat, das für Jobbewerber sehr nützlich sein kann. Mitarbeiter gewinnt Rahel Wacker, ähnlich wie ihre Kollegen und Kolleginnen in anderen Malteser-Sparten, über die Freiwilligen-Agentur der Caritas oder durch eigene Kampagnen. Die Rekrutierung funktioniere gegenwärtig besser denn je, "mehrmals pro Woche melden sich bei uns neue Leute", berichtet Wacker. Dennoch gebe es für Geflüchtete eine Warteliste.

Was den Lernfortschritt der Teilnehmer am EDV-Training deutlich beflügeln könnte, wären ausleihbare Laptops. "Wir haben festgestellt, dass es überaus wichtig wäre, dass unsere Kursteilnehmer zuhause am Computer üben können, was wir ihnen im Lehrsaal beibringen", sagt Rahel Wacker. Auch Oliver Baum, der IT-Experte und unterrichtserprobte Ehrenamtliche betont: "Die Vertiefung des Lernstoffs daheim wäre für unsere Computer-Lernenden sehr sinnvoll." Weil es andere Finanziers für das Zusatz-Lehrmittel Laptop nicht gibt, haben sich die Integrationshelfer der Malteser an den SZ-Adventskalender gewandt.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2020
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