SZ Adventskalender:Nur einmal Prinzessinnen sein

Mehr als zwei Jahre schon leben Hiba und Rada mit ihrer Mutter in einer Unterkunft für Wohnungslose. Die SZ hat Kinder wie die beiden, aber auch Erwachsene in Notlagen nach ihren Wünschen gefragt.

Von SZ-Autoren

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Ein Puppenwagen

Hiba (orange-grünes Kleid) und Rada Koumeyi-Djobo in ihrem Zimmer in der Waltramstr. 1

Quelle: SZ

Wie sie heißt? Rada, zweieinhalb Jahre alt, nuschelt etwas. Es klingt wie "Prinzessin". Ihre Mutter lacht. Sie sehen auf jeden Fall aus wie kleine Prinzessinnen in ihren schicksten Kleidern an diesem Tag, Rada und ihre ein Jahr ältere Schwester Hiba (orange-grünes Kleid). Ihr Leben aber ist eher das Gegenteil von einem Prinzessinnenleben, ihre Wohnung alles andere als ein Schloss. Mehr als zwei Jahre schon lebt die Mutter mit ihren Töchtern in beengten Verhältnissen in einer Unterkunft für Wohnungslose. 2011 war sie aus Togo nach Deutschland gekommen, hatte einen Mann kennengelernt und zwei Mädchen bekommen. Heute ist sie alleinerziehend. In Togo hat sie Marketing studiert; am liebsten würde sie in Deutschland nochmals studieren, Pharmazie, irgendwann, wenn Hiba und Rada beide zur Schule gehen. Aber dafür muss sie besser Deutsch lernen, ihre Sprachkenntnisse sind noch lange nicht gut. Die Mutter holt das Spielzeug der Mädchen: ein Eimer mit Duplosteinen, ein Ball, ein Spieltelefon, ein Bilderbuch, ein Holzkrokodil. Für mehr ist kein Geld da. Wenn sie draußen spazieren gehen und ein Kind auf einem Fahrrad sehen, weint Hiba. Sie würde so gern selbst auf einem sitzen. Rot soll ihr Fahrrad sein oder gelb, und eine tolle Klingel soll es haben. Ihre kleine Schwester Rada hingegen wünscht sich einen Puppenwagen und einen Kinderlaptop zum Spielen.

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Fahrt mit der Schwebebahn

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Bei Jiyo wechseln sich gute mit schlechten Tagen ab, es geht immer auf und ab, wie eine Welle. Der Elfjährige hat einen sehr eigenen Kopf, er kann ziemlich wütend werden, man kommt dann kaum noch an ihn heran. Ein guter Tag dagegen ist etwa, wenn er in der Schule Weihnachtslieder singen darf. "Musik funktioniert immer", sagt sein Vater Uttam Kumar Saha. Sein Sohn ist Autist und besucht eine spezielle Förderschule. Die Eltern, die einst aus Bangladesch nach München kamen, haben es nicht immer leicht mit ihm. Aber sie gehen liebevoll mit ihm um, versuchen seine Welt zu verstehen und ihm die Aufmerksamkeit zu geben, die er braucht. Der Vater hat gerade seinen Job gewechselt, er arbeitet jetzt in einer Kantine, damit er sonntags immer frei hat und Zeit mit seinem Sohn verbringen kann. Oft gehen sie dann raus und fahren ein paar Stunden mit der U-Bahn kreuz und quer durch München. Schon immer war Jiyo fasziniert von den öffentlichen Verkehrsmitteln. U-Bahnen, S-Bahnen, Busse, Trambahnen, er liebt sie alle. Jiyo kennt das gesamte Münchner Verkehrsnetz auswendig und weiß immer, wie man von A nach B kommt, "besser als eine App", sagt sein Vater. Eines Tages sah Jiyo ein Video von der Schwebebahn in Wuppertal, seitdem will er sie unbedingt einmal live erleben. Eine Reise dorthin mit zwei Übernachtungen, zusammen mit seinem kleinen Bruder und seinen Eltern, das ist Jiyos größter Wunsch.

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Quelle: Catherina Hess

Deutschland ist ihr großes Glück, das wissen sie alle, am besten natürlich Mama und Papa. Die Kinder Mohamad, Wisam, Soltan, Amir, Omar und Miriam, zwischen anderthalb und elf Jahren alt, sind mittlerweile schon mehr oder weniger eingebayert. Die Erinnerung an Syrien ist bei den Älteren noch da, aber sie verblasst. Omar ist auf der Flucht geboren, Miriam in München. Jahrelang ist die Familie auf der Flucht gewesen, nachdem sie ihre Heimatstadt Daraa verlassen hatte. Jordanien, Ägypten, Libyen - 2013 kamen sie schließlich nach Deutschland. Hier gibt es viele, die ihnen helfen, durch den Ottobrunner Helferkreis haben sie den Bungalow in Waldperlach gefunden, den sie jetzt bewohnen. Weil sie etwas zurückgeben wollen, sind sie schon mehrmals in Altenheimen und auf Festen mit syrischen Tanzeinlagen aufgetreten. Der riesige Garten vor dem Haus, in dem der Vater auch Gemüse anpflanzt, entschädigt die Kinder dafür, dass sie zu fünft in einem Zimmer schlafen; Miriam schläft noch bei den Eltern. In zwei Jahren soll das Haus abgerissen werden, dann brauchen sie für mindestens ein Jahr eine Übergangslösung. Weihnachten feiern sie als Muslime zwar nicht, im Wohnzimmer funkelt trotzdem ein Baum mit roten und goldenen Kugeln vor sich hin. Für Geschenke aber ist kein Geld da. Miriam wünscht sich zum Beispiel eine Babypuppe, die Jungs würden gern mit ferngesteuerten Autos spielen.

Mohammed, Soltan, Wisam, Amir, Omar, Miriam (von groß zu klein).

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Einmal Kapitän

Krailling, München, Adventskalender, Michael, der so gerne Trambahn fährt und immer einen Stofffuchs dahei hat,  Foto: Angelika Bardehle

Quelle: Angelika Bardehle

Wenn die Seenschifffahrt auf dem Starnberger See im Frühjahr losgeht, ist Michael mit seiner Mutter immer dabei. Auch wenn sie endet, also bei der letzten Fahrt. Deshalb wäre es der größte Wunsch von Michael, einmal beim Kapitän direkt neben dem Steuer mitzufahren und vor allem, quasi mit ihm gemeinsam das Schiff abends nach Fahrtende einzuparken. Michael ist 19 Jahre alt, aber geistig auf dem Niveau eines Vierjährigen. Er leidet unter medikamentenresistenter Epilepsie. Rundreisen zu Ärzten in ganz Deutschland hat die alleinerziehende Mutter mit ihm gemacht (sie hat außerdem noch zwei gesunde Töchter), doch kein Medikament schlug an. Jede Nacht hat Michael daher Anfälle, oft mehrere. Seit er auch Atemaussetzer hatte und oft dunkelblau anlief, schläft er wieder bei der Mutter im Zimmer. Michael hat jeden Abend Angst vor dem Einschlafen, denn die Anfälle kommen im Schlaf. "Er sitzt dann ewig im Bett", erzählt die Mutter. "Oft bis ein Uhr nachts oder bis zwei Uhr." Aber das Schicksal ist grausam. Schläft er auch erst um zwei Uhr ein, hat er trotzdem kurz danach einen Anfall. Auch das Implantieren eines Hirnschrittmachers konnte die Anfälle nicht verhindern, aber ein wenig abschwächen. Sind sie trotzdem sehr stark, muss die Mutter ein Notfallmedikament verabreichen, mit einer Spritze ohne Nadel in den Mund, es wirkt über die Schleimhäute. Über viele Dinge kann Michael sprechen, etwa über seine Liebe zu den Schiffen. Aber über seine Krankheit nicht. Da verwendet er niemals das Wort "ich", sondern er sagt: "Der Fuchs hat weh." Füchse liebt Michael über alles, er hat unzählige Kuscheltiere. Einer von den Füchsen dürfte sicher auch mit in die Kabine des Kapitäns.

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Tanzkurs

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Quelle: Matthias Ferdinand Döring

Ein Schulkind sollte einen Schreibtisch haben, einen Tisch, der nur ihm gehört und sonst niemandem, zum Malen und Hausaufgabenmachen und Geheimnisse-in-Bücher-Kritzeln. Leyla ist sieben Jahre alt und geht in die zweite Klasse, die Schule macht ihr Spaß, vor allem Rechnen. "Das kann ich gut", sagt sie, "ich lerne jetzt Minusrechnen." Damit sie besser lernen kann, hätte sie gerne einen Schreibtisch. Sie weiß auch schon, wo er stehen soll: in der Nische zwischen ihrem Bett und dem Schrank. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Enol ist sie gerade in eine Wohnung gezogen. Davor hatte die kleine Familie fast zwei Jahre in einer Unterkunft für Wohnungslose gelebt. Dass sie nun vom Amt eine richtige Wohnung bekommen haben, darüber ist die Familie überglücklich. Auch wenn nach dem Einzug erst mal finanziell nicht mehr drin war als zwei Betten und ein Schrank für die Kinder; die Mutter selbst schläft zurzeit auf einer Luftmatratze. Nach dem Einzug sagten Leyla und Enol zu ihrer Mutter, sie wüssten, dass es dieses Jahr zu Weihnachten keine Geschenke gebe. "Aber das größte Geschenk haben wir schon bekommen." Wünsche sind natürlich trotzdem da: Leyla würde gern einen Tanzkurs machen und Enol auch, weil er immer seiner Schwester nacheifert. Außerdem wünscht er sich Klamotten, "rote und blaue", wie Spiderman, und einen "Pipi-Max", einen Plüschhund, der trinken und Pipi machen kann.

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Einmal Bibi treffen

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Quelle: Catherina Hess

Vor ein paar Wochen hat Luana mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und ihren zwei Brüdern eine Wohnung beziehen können. In der Pension, wo sie davor gewohnt haben, war es eng; jetzt hat sie ein eigenes Zimmer. Ein Bett steht da mit rosa Bettwäsche, daneben eine Kiste mit ihren Klamotten, die Zehnjährige hat eine Decke darübergelegt, damit es ordentlicher aussieht. Einen Schrank hat sie noch nicht, auch noch keinen Schreibtisch. "Eins nach dem anderen", sagt Luana, sie weiß, dass nicht so viel Geld für alles da ist. Ihre Hausaufgaben macht sie bisher am Tisch im Wohnzimmer oder auf dem Bett sitzend. Deshalb wünscht sich die Fünftklässlerin einen eigenen Schreibtisch. Und sie hat noch einen Wunsch: einmal ihr großes Idol treffen, den Youtube-Star Bibi. "Bibis Beauty Palace" heißt der Videokanal der 23-jährigen Kölnerin Bibi alias Bianca Heinicke. Die präsentiert dort Themen rund um Mode und Lifestyle. Das gefällt Luana, die sich für ihr Leben gern verkleidet. Sie liebt aber auch Anlässe, zu denen sie sich schick machen kann, wie Weihnachten, Geburtstage oder Silvester. Und sie findet, dass die junge Frau ein Vorbild ist bei Themen, die Kinder und Jugendliche umtreiben. "Bibi sagt zum Beispiel, wie man sich gegen Mobbing wehren kann." Wenn sie Bianca Heinicke treffen könnte, "würde ich wahrscheinlich erst mal weinen, vor Freude. Dann würde ich sie umarmen und fragen, ob wir ein Foto zusammen machen können".

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Ausflug in den Freizeitpark

Tina O.

Quelle: Günther Reger

Tina O. ist eine lebenslustige junge Frau. Sie ist stolz darauf, in der Wäscherei der beschützenden Behindertenwerkstatt der Caritas in Pasing zu arbeiten und zu ihrem Lebensunterhalt etwas beizutragen. Sie spielt Fußball in einer Integrationsmannschaft, ist Sechzgerfan, ministriert in der Olchinger Pfarrkirche und hat einen ebenfalls behinderten Freund. Vieles von dem, was ihr Leben bereichert, verdankt Tina O., die allein in einer kleinen Dachgeschosswohnung lebt, dem Beistand einer Betreuerin der Caritas. Die 25-Jährige hat, wie jeder der arbeitet, auch mal Stress. Richtig stressig kann es werden, wenn beispielsweise beim Plätten von Arbeitskitteln kleine Falten entstehen. Um mal richtig mit ihrem Freund zu entspannen, hat sie einen Herzenswunsch, den sie sich nicht leisten kann. Ein Kurzaufenthalt im Freizeitpark Rust mit ihrem Freund wäre für die Olchingerin eine Riesenfreude.

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Ein eigenes Fahrrad

Radfahrer im Gegenlicht

Quelle: Patrick Pleul/dpa

Der zehnjährige Simon G. ist ein begeisterter Fußballer und träumt von einer Karriere wie die von Thomas Müller. Klar, seine liebste Position ist die des Stürmers. "Ich kann schnell rennen und gut dribbeln", sagt er. Wenn Not am Mann ist, könne er sogar auch als Verteidiger eingesetzt werden. Das Leben könnte total gut sein, wären da nicht die Ängste und Sorgen. Denn Simons Mama hat einen aggressiven Krebs. Sie wurde bereits operiert, bekam Chemotherapie und Bestrahlungen und leidet sehr unter den Nachwirkungen. Sie kann nicht arbeiten, muss deshalb von Hartz IV leben. Manchmal wird es ihm zu viel, hat er doch im Sommer vor einem Jahr seinen Vater verloren. Fußballspielen lenkt ihn ab, allerdings ist er immer auf fremde Mütter angewiesen, um zum Training zu kommen. Sein Herzenswunsch an den SZ-Adventskalender wäre ein stabiles Fahrrad, um selbständig seinen Klub zu erreichen.

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Kleine Schifffahrt

Adventskalender

Quelle: Niels P. Joergensen

Der Senior lebt im Haus Anna Elisabeth in der Karlsfelder Rothschwaige. Wenn er nicht gerade im Raucherzimmer ist, unterhält er sich mit den anderen Bewohnern, die seinen Humor sehr schätzen. Bernd Kreutzburg, gebürtiger Thüringer, hat zwei erwachsene Kinder, die in der Nähe leben und ihren Vater oft besuchen. Es fehlt ihm an nichts. Und doch wünscht er sich einen Ausflug an einen der herrlichen oberbayerischen Seen. Am liebsten möchte er mit seiner Tochter dort eine kleine Schifffahrt unternehmen und mit ihr Kaffee und Kuchen genießen. Auf diese Weise könnte er sich endlich mal bei ihr bedanken für ihre großartige Hilfe und Fürsorge.

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Einmal in die Oper

Bayerische Staatsoper in München, 2016

Quelle: Robert Haas

Der Traum von Marica Däumling: einmal in die Oper! Die 67-Jährige lebt in einer kleinen Wohnung in Bad Tölz von 750 Euro Rente. Sie ist Musiklehrerin und spielt selbst Querflöte. Nach zwei Fehlgeburten und einer lebensgefährlichen Erkrankung ihres Sohnes, des einzigen Kindes, das lebend zur Welt kam, verlor sie beruflich den Boden unter den Füßen - obwohl der damals Zehnjährige überlebte. "Das schleudert einen Menschen so im Leben", sagt sie. Dass sie nun wenigstens eine Wohnung mit Bad und Heizung hat, ist schon ein Fortschritt. Denn lange lebte sie in einer Bruchbude unter dem Dach. Dennoch engagiert sie sich selbst für andere, hilft Flüchtlingen und bei der örtlichen Tafel. Für Extras bleibt kein Geld. Gaetano Donizettis Oper "Lucrezia Borgia" an der Münchner Staatsoper zu sehen, das wäre schön. Wenn sie auch das Zugticket bezahlt bekommt. Alleine könnte sie diese Ausgabe nicht stemmen.

© sz.de/bla/cw/hob/ihr/eis/lela/kbl
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