SZ-Adventskalender:Alle Kraft für ihre Kinder

AK Familie Bayrak

"Sie müssen sehen, dass ich eine starke Mutter bin, damit auch sie stark werden", sagt Melek B. Ihre Kinder sind ihr ganzer Stolz.

(Foto: Catherina Hess)

Melek B. will aus ihrer Wohnung wieder ein Zuhause machen, mit einem Herd, einem Kühlschrank, einem Schrank.

Von Berthold Neff

Es hätte auch alles gut werden können. Die Familie schien intakt zu sein, und auch der Job am Riemer Flughafen, Münchens Tor zur Welt, gab Melek B. die Sicherheit, die man zum Leben braucht. Gut, die erste Ehe war gescheitert, aber dann gab es ja wieder einen Mann, der eine gute Zukunft versprach. Das alles endete mit dem Trauma im Schwabinger Krankenhaus. Dort, wo ihre Mutter einst als Putzfrau gearbeitet hatte, erlebte Melek B. im Alter von 38 Jahren etwas, was ihr Leben in den Grundfesten erschütterte. Wenn sie sich heute, fast zehn Jahre später, an diese Zeit erinnert, steigen ihr die Tränen in die Augen. Die Schwangerschaft war recht unkompliziert verlaufen, aber irgendwann überkam sie die Panik. "Hüsein, mein Kind spricht nicht mehr mit mir", sagte sie zu ihrem Mann, der als Busfahrer zwischen der Türkei und Deutschland unterwegs war und damals gerade hier war.

Er fuhr sie ins Krankenhaus, und dort entscheiden sich die Ärzte zu einer Not-OP, das Kind im Mutterleib hatte fast keinen Herzschlag mehr. Nach dem Kaiserschnitt wusste Melek B. lange Zeit nicht, was mit ihrem Baby geschehen war. Schreckliche Dinge schlichen sich in ihr Bewusstsein. Zunächst dachte sie, das Kind sei tot, dann phantasierte sie, es sei eingefroren und dann wieder aufgetaut worden, verrückte Dinge halt. Erst nach Tagen erfuhr sie, dass ihr Sohn Sirac lebt, und noch einem halben Jahr im Brutkasten war es Gewissheit: Er wird behindert sein.

Daran ist dann auch die Beziehung zum Vater des Kindes zerbrochen, einem Kurden aus der Türkei. Mit den Worten "Du hast mir ein krankes Kind zu Welt gebracht" verließ er sie, ließ neun Jahre lang nichts mehr von sich hören. Als er dann doch noch einmal den Kontakt suchte, entgegnete sie ihm bitter: "Was, jetzt kommst du und willst Vater spielen?" Da blieb sie lieber allein, auch wenn sie von der Situation überfordert war. Ihre Tochter, mittlerweile 16 Jahre alt, stand ihr von Anfang an zur Seite, kümmerte sich um den kleinen Bruder, was alles andere als einfach war.

Melek B. geriet in eine schwere Depression, hinzu kamen weitere Krankheiten wie Diabetes, Niereninsuffizienz und Herzprobleme. Wer sie anschaute, konnte nicht begreifen, dass sie mal eine junge, beruflich erfolgreiche Frau gewesen war. Sie hatte es geschafft damals, als Tochter eines Gastarbeiters, der 1960 nach München gekommen war und bei BMW Arbeit gefunden hatte. Sie machte eine Lehre und arbeitete lange als Boden-Stewardess am Flughafen Riem. Sie litt daran, dass es ein Leben zwischen zwei Kulturen war. Ihre Eltern hatten sie und die beiden Geschwister zwar "nicht sehr türkisch" erzogen, aber dennoch galt sie den Türken als "zu deutsch" und den Deutschen "als Ausländerin".

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Das Einzige, was sie noch im Leben hält, "sind meine Kinder, ohne sie könnte ich nicht atmen", sagt Melek B. Auch wenn es nicht immer leicht ist mit ihrem behinderten Sohn, der öfters Sachen kaputt macht wie das Türschloss.

(Foto: Catherina Hess)

Ihre einstige Familie lebt mittlerweile in der Türkei, sie ist hier in Milbertshofen ganz allein. Das Einzige, was sie noch im Leben hält, "sind meine Kinder, ohne sie könnte ich nicht atmen". Auch wenn es schwer ist mit dem behinderten Sohn. Sie kann es ihm nicht einmal vorwerfen, dass er den Zustand verursacht hat, in dem ihre kleine Wohnung jetzt ist. Er zerstört Dinge, hat die Scheibe der Wohnzimmertür zerbrochen, das Türschloss ebenfalls. Und dann hat er einen Brand verursacht, dem die ganze Einrichtung zum Opfer fiel. Seitdem muss sich die kleine Familie mit den weißen Plastikstühlen vom Balkon behelfen, Schränke gibt es nicht mehr, die Kleider werden in Koffern aufbewahrt.

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Aktuell fehlt in der Wohnung von Melek B. nahezu alles - ein Herd, ein Kühlschrank, ein Schrank.

(Foto: Catherina Hess)

Die Wäsche macht sie mit der Hand, weil es keine Waschmaschine gibt. Und weil ein Kurzschluss die elektrischen Geräte in der Küche zerstörte, wird es in diesem Jahr auch keine Plätzchen geben, obwohl sich die Tochter das so sehr wünscht. Was sonst im Kühlschrank aufbewahrt wurde, steht nun im Kühlen auf dem Balkon. Aber die Tochter ist stark, lernt gut in der Mittelschule, will beruflich eine ähnliche Laufbahn einschlagen wie die Mutter. "Sie ist mein ganzer Stolz", sagt Melek B. Für sie und den kleinen Bruder will die Mutter da sein. "Sie müssen sehen, dass ich eine starke Mutter bin, damit auch sie stark werden", sagt die 47 Jahre alte Frau.

Wichtig wäre es für sie, dass die Wohnung wieder ein Zuhause wird, mit einem Herd, einem Kühlschrank, einem Schrank. Und dann wird sie auch die Kraft finden, Plätzchen zu backen, für die beiden Kinder.

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