Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Momente der Freude und Freiheit

Im Wohnprojekt Mirembe leben geflüchtete Frauen, die schutzbedürftig sind. Hier haben Bewohnerinnen wie Zahra, 22, und Amira, 21, ein eigenes Zimmer - einen privaten Rückzugsort, den es in vielen Unterkünften für Geflüchtete nicht gibt. Nur so können sie für einen Augenblick alles Belastende vergessen

Von Ornella Cosenza

Auf dem Schreibtisch liegt eine nackte Baby-Puppe, am Boden liegen Keksbrösel. Amelie Nippold, 30, schaut in den Bildschirm und tippt etwas auf der Tastatur. Jetzt ist es wieder ruhig in ihrem Büro. Vorher war eine Bewohnerin mit Kind für ein Gespräch bei ihr. Die Puppe hat das Kind vergessen - die Kekse sind heruntergefallen. Es gibt auch eine Spielecke in ihrem Büro. "So ist das eben, ganz normaler Alltag bei uns", sagt sie und lächelt. Aufgeräumt wird später. Amelie Nippold ist Sozialpädagogin im Wohnprojekt Mirembe für geflüchtete Frauen, die besonders schutzbedürftig sind. Sie leben hier alleine oder zusammen mit ihren Kindern. Männer gibt es bei Mirembe nicht.

"Die Frauen, die bei uns unterkommen, haben teils schwere Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen. Nicht selten haben sie Gewalt, Menschenhandel und andere furchtbare Dinge in ihrer Vergangenheit erlebt", sagt Christine Annaberger, Einrichtungsleiterin des Projekts, das zum Verein IMMA (Initiative für Münchner Mädchen) gehört. Der Verein kümmert sich um die Verbesserung der Situation von jungen Mädchen und Frauen.

Mirembe - das bedeutet Freude, Friede, Unabhängigkeit und Freiheit auf Luganda, einer Bantusprache, die im Süden von Uganda gesprochen wird. Aktuell leben bei Mirembe 17 Frauen und 22 Kinder. Zahra, 22, aus Äthiopien und Amira, 21, (Namen von der Redaktion geändert) gehören zu den jüngsten Bewohnerinnen bei Mirembe. Die Frauen kommen aus Ländern, in denen sie Krieg, Diskriminierung, Armut, oder Gewalt erfahren haben. Derzeit stammen die Bewohnerinnen aus Somalia, Äthiopien, Nigeria, Senegal, Somalia, Afghanistan und Uganda.

Die Frauen bleiben so lange im Wohnprojekt, bis sie stabil genug sind, um alleine zu leben

Es ist Freitagnachmittag und Zahra und Amira kommen gerade von der Schlau-Schule. In einem Gemeinschaftsraum stellt Christine Annaberger Kekse auf den Tisch. Zahra nimmt immer wieder einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher. Sie trägt eine lange, schwarze Kopfbedeckung mit weißen Blumen darauf. Bereits seit fünf Jahren lebt sie schon im Mirembe-Wohnprojekt in München. Davor wohnte sie in einer Unterkunft, in der es ihr oft zu laut war. Sie hatte wenig Raum für sich. "Wir waren zu sechst in einem Zimmer. Das war einfach zu viel", sagt die 22-Jährige. Amira wohnt erst seit drei Monaten bei Mirembe. Auch ihr fehlte in ihrer ehemaligen Unterkunft jede Form von Behaglichkeit, in der sie sich geschützt fühlen konnte. "Männer und Frauen wurden dort gemeinsam untergebracht. Wir haben wenig Unterstützung bekommen. Ich habe mich nicht wohlgefühlt", sagt sie und schüttelt den Kopf.

Amira und Zahra lachen viel an diesem Nachmittag. Sie sprechen über ihre Lieblingsfächer in der Schule. Die eine mag Mathe überhaupt nicht, die andere liebt Fächer wie Deutsch und Sozialkunde. Bei Mirembe bekommen die jungen Frauen viel Unterstützung. Das beginnt bei der Wohnsituation: Jede Bewohnerin hat hier ein eigenes Zimmer, das individuell gestaltet werden kann. Ein privater Rückzugsort. In vielen Unterkünften für Geflüchtete gibt es das nicht. Das Haus von Mirembe hat vier Stockwerke. Pro Etage gibt es eine Küche und zwei Bäder und Toiletten. Das Wichtigste jedoch: Die Betreuerinnen der Einrichtung sind immer für die Bewohnerinnen da. Wöchentliche Gesprächstermine werden für verschiedene Anliegen angeboten. Außerdem kümmert sich Mirembe auch um Themen wie medizinische oder therapeutische Versorgung, um die individuelle Weiterentwicklung der Frauen, deren Ausbildung und Schutz.

Unabhängig vom Aufenthaltstitel bleiben die Frauen so lange im Wohnprojekt Mirembe, bis sie stabil genug sind, um alleine zu leben. Und das ist bei jeder Frau anders. Denn jede hat eine andere Geschichte. Mirembe ermöglicht den Frauen, Schritte in eine neue, andere Zukunft zu gehen.

Neue Perspektiven. Träume haben. Für Zahra steht fest: "Ohne Träume geht es nicht. Ich möchte auf jeden Fall noch einen Führerschein machen. Vielleicht auch studieren oder schöne Kleidung verkaufen. Ich nähe selbst sehr gerne", sagt sie. Amira, die ihre Haare jeden Tag anders trägt, hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Sie sagt: "Ich möchte vielleicht Anwältin werden. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich." Ein respektvoller Umgang miteinander ist Amira sehr wichtig. "In der U-Bahn habe ich leider schon rassistische Erfahrungen machen müssen. Es wäre schön, wenn manche Menschen in Deutschland einfach offener und toleranter wären", sagt die 21-Jährige. Nur wenn man zusammenhalte, könne man eine Einheit sein.

Die beiden Frauen wirken gelöst. Freuen sich auf das Wochenende. Auf Besuche in der Moschee und in der Kirche. Darauf, dass sie Freundinnen treffen werden. Doch was oftmals so leicht für Außenstehende wirkt, ist es nicht immer. Zahra und auch Amira haben ihre Heimatländer als noch minderjährige Mädchen verlassen. Komplett auf sich allein gestellt. Amira lebte, bevor sie nach Deutschland kam, in Italien. Die Wege der beiden Frauen führten über Libyen und das Mittelmeer. Mehrere Jahre vergingen, bis sie in Deutschland ankamen. Über Libyen sprechen sie nicht gern. Sie werden stiller. Sie erzählen knapp und zurückhaltend von dieser Reise. Man muss aber auch gar nicht fragen. Man kann sich vorstellen, was diese jungen Frauen gesehen und erlebt haben.

Christine Annaberger kennt die Geschichten der Bewohnerinnen. Es gebe immer wieder schöne Erlebnisse bei Mirembe. Zum Beispiel, wenn eine Familienzusammenführung gelingt. Vor Kurzem konnte eine Bewohnerin ihr Kind zu sich holen. Sie erinnert sich an einen gemeinsamen Ausflug mit den Bewohnerinnen zum Chiemsee im Sommer. Familienzusammenführungen, mehr Ausflüge, Geschenke für die Bewohnerinnen an Geburtstagen - das alles kostet Geld. Und nicht immer ist davon genug da. Es sind aber genau diese Erlebnisse, die den Alltag der Bewohnerinnen zusätzlich bereichern können. Die Momente ermöglichen, in denen - zumindest für eine Weile - alles Belastende vergessen werden kann. Momente der Freude und Freiheit.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2019
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