SZ-Adventskalender:Ein Ort der Freundschaft

SZ-Adventskalender: Für Menschen die Unterstützung brauchen ist die Mensa eine Anlaufstelle.

Für Menschen die Unterstützung brauchen ist die Mensa eine Anlaufstelle.

(Foto: Stephan Rumpf)

In der Mensa von Sant' Egidio kommen jeden Samstag Menschen zum Essen, die einsam sind, kaum soziale Kontakte haben und mit sehr wenig Geld auskommen müssen. Einige davon kamen vor Jahrzehnten als Gastarbeiter nach München.

Von Annette Jäger, Schwabing

Wenn sich am Samstagmittag die Gäste vor dem Eingang des Pfarrsaals St. Sylvester an der Haimhauserstraße drängen, ist drinnen alles bereit: Auf den Tischen im Pfarrsaal liegen weiße Decken, Rosen stehen in Vasen, auf jedem Platz liegt eine Schokolade. Die ehrenamtlichen Helfer, die gleich an die 100 Mittagessen an die Gäste vor der Tür verteilen werden, stehen mit Schürzen umgebunden im Gang Spalier. Die Uhr zeigt 12.30 Uhr an, es ist Zeit, die Tür zu öffnen. Die Gäste strömen durch den Gang in den Pfarrsaal, sie schütteln den Helfern die Hand, sie lachen, begrüßen einander überschwänglich wie enge Freunde, die sich endlich wiedersehen. Es sind viele ältere Gäste dabei und manche junge. Es sind Frauen und Männer, einer hat einen kleinen Hund unter der Jacke, "ich freu mich so", ruft eine Besucherin. Im Pfarrsaal nehmen sie alle Platz.

Jeden Samstag öffnen sich die Türen zur "Mensa Sant' Egidio". Sant' Egidio ist eine christliche Gemeinschaft, gegründet 1968 in Rom, die seit den 1980er Jahren auch in Deutschland aktiv ist und in München ihren Sitz im Pfarrverband St. Sylvester hat. Unter dem Dach der Gemeinschaft, die sich der "Freundschaft mit den Armen" verschrieben hat, haben die Ehrenamtlichen soziale Projekte in München initiiert. Eines davon ist die Mensa am Samstag, bei der ein kostenloses Mittagessen serviert wird.

So können Sie spenden

Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.

Stadtsparkasse München

IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00

BIC: SSKMDEMMXXX

www.sz-adventskalender.de

www.facebook.com/szadventskalender

Die Gäste bringen alle ihre Geschichte mit an den Mittagstisch. Viele sind ehemalige Gastarbeiter aus Italien. So wie Stefano, der vor über 50 Jahren ins Münchner Ledigenheim auf der Schwanthalerhöhe einzog, wo er heute noch wohnt. Oder Virginia aus Süditalien, die 30 Jahre als Pelznäherin in München gearbeitet hat. In der Mensa finden sie Menschen, mit denen sie ihre Muttersprache sprechen können. Andere Gäste kommen aus der Ukraine oder Russland und haben sich vor Jahrzehnten nach Deutschland aufgemacht, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Wieder andere sind in München geboren, haben 30 Jahre einen guten Posten als Elektroingenieur gehabt, bis ihre Abteilung aufgelöst und sie in der Folge dauerhaft arbeitslos wurden. Und dann gibt es noch Menschen, die ein psychisches Handicap haben, ihren Job verloren haben und einfach nicht mehr Fuß fassen im Leben.

So verschieden die Gäste sind, die in den Pfarrsaal zum Essen kommen, so ähnlich sind die Gründe, die sie hierherführen: Viele sind einsam, haben kaum soziale Kontakte und müssen mit sehr wenig Geld auskommen. Die Altersarmut bekommt ein Gesicht in der Mensa. "Für viele ist es das einzige warme Mittagessen in der Woche", sagt Ursula Kalb von Sant' Egidio. Viele leben in den Verfügungswohnungen der Stadt, Notunterkünfte, die sie vor der Obdachlosigkeit bewahren. Es sind Menschen, die sich durchs Leben kämpfen müssen, viel Abweisung und Ausgrenzung im Alltag erleben. In der Mensa sind alle willkommen, sagt Kalb, keiner ist Bittsteller, alle werden würdig und in Freundschaft aufgenommen.

An diesem Mittag sind sie die Gäste. Das Essen wird serviert von den Helfern in Schürzen: drei Gänge, Suppe, Reis mit Gemüse und Huhn, und eine Quarkspeise zum Nachtisch. Die Helfer setzen sich zu ihren Gästen und kommen ins Gespräch. Da ist Branka aus dem früheren Jugoslawien. Sie lebt seit 1973 in Deutschland, hat als Putzkraft gearbeitet, acht Stunden am Tag. Irgendwann ist sie an den falschen Mann geraten, der sie geheiratet und um ihre gesamten Ersparnisse gebracht hat. Branka hat nie eine Schule besucht und weder lesen noch schreiben gelernt. Diesen Samstag hat sie einen Brief vom Amt mitgebracht, den ihr Ursula Kalb vorliest. Viele Gäste bringen hier Behördenschreiben mit, die Helfer erklären ihnen, was darin steht, vermitteln sie, wenn nötig, an Hilfseinrichtungen und Behördenstellen oder begleiten sie auch mal bei der Wohnungssuche oder auf ein Amt.

Mit Verspätung ist noch ein Gast eingetroffen. Er ist taubstumm und obdachlos. Vor kurzem ist sein weniges Hab und Gut unter einer Brücke in München verbrannt worden, erzählt Ursula Kalb. Er streichelt ihre Hand, drückt einen Kuss auf den Handrücken, dann umarmt er Anna, die ehrenamtliche Helferin, die hier nur mit dem Namen, den sie am Revers trägt, angesprochen wird und die sich zu ihm an den Tisch setzt. Als Helfer versteht man nach und nach die Gesellschaft besser, man baut Vorurteile ab, sagt Anna.

An den Samstagen vor Weihnachten ist die Mensa besonders gut besucht, denn es werden persönliche Einladungen zum Weihnachtsessen verteilt. Seit über 30 Jahren feiert Sant' Egidio Weihnachten mit den Ärmeren. In diesem Jahr findet das Weihnachtsessen gleich in zwei Kirchen statt. Mehr als 500 Gäste werden kommen, serviert wird in den Kirchenräumen, aus denen vorher die Bänke heraus- und Tische hineingetragen wurden. So erfüllt das Weihnachtsessen ein Stück weit die Sehnsucht nach Familie und Geborgenheit, die am Weihnachtsfest für viele so unerträglich wird.

Im Pfarrsaal der Gemeinde wird gleich der Nachtisch serviert. An den Tischen wird viel geredet, Plätze werden getauscht. Virginia sitzt immer mit den drei Damen aus der Ukraine, aus Russland und Estland am Tisch. "Wir lassen uns nicht trennen", sagt eine von ihnen lachend. Virginia kommt in die Mensa, weil sie hier nicht alleine ist. "Ich habe viele Jahre gearbeitet und keine Zeit gehabt, Freunde zu finden." Und einmal mehr wird deutlich, dass das Essen für viele Nebensache ist. Die Mensa von Sant' Egidio ist vor allem ein Ort der Freundschaft.

Zur SZ-Startseite
Michael Küster in seiner Wohnung in der Bräuhausstraße 6 am 05.12.2018 in München.

SZ-Adventskalender
:Jede Treppenstufe bereitet Schmerzen

Michael K. hat kaputte Bandscheiben und chronische Krankheiten. Inzwischen fällt es immer schwerer, seine Wohnung im 4. Stock zu verlassen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: