SZ-Adventskalender:Die große Leere

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Manuela R. ist depressiv. Als die Altenpflegerin nicht mehr arbeiten konnte, brachte das die Familie in finanzielle Schwierigkeiten. (Foto: ANGELIKA BARDEHLE)

Manuela R. verdient als Altenpflegerin das Geld für Mann und Kinder, doch dann erkrankt sie an einer Depression. Nach einem Klinikaufenthalt erhält sie die Kündigung - die Familie steht vor dem nichts.

Von Gudrun Passarge

Die Frau wirkt nur noch wie ein Schatten ihrer selbst. Eine schmale, durchscheinende Gestalt. Daneben sieht ihr Mann mit seinem breiten Kreuz aus wie ein Bär. Er legt beschützend den Arm um sie, während sie fast emotionslos erzählt. "Ich war die starke Mama, die das Geld verdient hat. Ich wollte meine Schwäche nicht zeigen." Doch irgendwann bekommt die Rollenverteilung - sie die Familienernährerin, er der Hausmann mit vier Kindern - Risse. Manuela R. bricht zusammen, fällt in eine tiefe Depression. "Warum ich, warum bin ich krank? Ich hab es doch allen nur recht machen wollen", sagt die Frau, die mit ihrem Schicksal hadert.

Untersuchungen zufolge leidet jeder Dritte im Laufe seines Lebens ein oder mehrere Male unter psychischen Erkrankungen. Vor allem Depressionen sind weit verbreitet. "Ich sitze dann in der Küche auf meinem Stuhl und kann nicht mehr denken. Als hätte ich ein Loch im Kopf", beschreibt ein Betroffener die Krankheit. Die Veranlagung dazu werde häufig vererbt, sagt Gabriele Schleuning, Chefärztin am Isar-Amper-Klinikum in Haar. Entscheidend sei aber auch, welche Strategien man in der Kindheit gelernt hat, mit Belastungen umzugehen. Gerade die Anforderungen in der Arbeitswelt hätten sich heute enorm verdichtet. "Der Leistungsdruck nimmt zu, es sind Konstruktionen, die oft wenig Spielraum lassen. Ein Tropfen reicht aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen."

Mit Herzblut bei der Arbeit

Manuela R. arbeitete lange Zeit als Altenpflegerin, ihr "Traumberuf". Es gefiel ihr, mit alten Menschen umzugehen, "man bekommt so viel zurück". Es machte ihr auch nichts aus, während ihres Urlaubs einzuspringen, wenn jemand ausfiel. "Mein Sohn hat gesagt, Mama, ich glaub' du bist mit der Arbeit verheiratet." Die 43-Jährige fühlte sich gut, sie war "mit Herzblut dabei". Stress war kein Problem, sie mochte das Gefühl, gebraucht zu werden. Doch damit war es "auf einen Schlag" vorbei.

Sie dachte an Burn-out, hoffte, ein wenig Zeit für sich würde genügen, damit wieder alles wie früher wird. Doch das wurde es nicht. "Da war eine Leere in mir, als ob nichts in mir drin wäre, und ich nur eine Hülle." Manuela R. wurde arbeitsunfähig, weinte oft, fühlte sich als Versager. 2012 fing das an. Natürlich habe sie auch früher schon oft gegrübelt, aber dann stürzte alles zusammen.

"Mein Mann hat nämlich auch ein Problem - mit dem Alkohol. Er wollte eine Therapie im Allgäu machen", sagt sie. Deswegen wollte sie unbezahlten Urlaub nehmen, um die zwei Jungs, die noch zu Hause wohnten, zu versorgen. Ihr Arbeitgeber aber bot ihr lediglich weitere Nachtschichten an. "Ich habe nur gedacht, jetzt bin ich ganz allein. Wie soll ich das alles schaffen?" Im Allgäu, beim Abschied, ist sie zusammengebrochen, "da ist mein Mann wieder mit mir heimgefahren".

Manuela R. kam in die Klinik nach Haar, wo sie sich "sicher und geborgen" fühlte. Ihr Mann fuhr jeden Tag mit dem Rad zu ihr. Stundenlang saß er an ihrem Bett, sie schlief die ganze Zeit. "Ich war kurz vorm Durchdrehen", erzählt Uwe R., 43. "Ich hab' jeden Tag geheult wie ein Schlosshund." Der damals vierjährige Sohn fragte jeden Abend nach seiner Mama, klagte ständig über Bauchweh. "Die Mama liegt im Krankenhaus, weil sie sich den Fuß gebrochen hat", antwortete der hilflose Papa. "Und der Große hat sich geschämt wegen mir", sagt Manuela R. über ihren 13 Jahre alten Sohn.

"Das ist alles meine Schuld"

Nach ihrem Klinikaufenthalt erhielt Manuela R. die Kündigung. Ihr Mann übernahm alles, die Lauferei zu den Ämtern, er versorgte die Kinder und seine Frau. Schon die Vorstellung, sie müsste alleine mit dem Bus fahren, erschreckt sie. "Ich würde dastehen, bis der Bus kommt. Ich würde aber nicht einsteigen. Ich würde Panik bekommen, dastehen und weinen."

Also fährt Uwe R. mit ihr zu den Ärzten, kocht ihr besonderes Essen, weil sie gerade vom Zahnarzt behandelt wird. "Ich liebe diese Frau seit 23 Jahren und ich kämpfe darum", sagt er mit Tränen in den Augen. Seine Frau registriert es. Reagiert auf ihre Weise. "So kenne ich meinen Mann nicht von früher. Das ist alles meine Schuld." Uwe R. hat seine Suchttherapie erst einmal verschoben."Ich habe es soweit im Griff, dass ich nur noch drei bis fünf Halbe am Tag trinke", sagt er. Eine Kur will er erst dann beginnen, wenn es seiner Frau wieder besser geht.

Uwe R. ist momentan der Starke in der Beziehung, derjenige, der alles regelt. Was nicht immer einfach ist, denn zur Krankheit kommt die finanzielle Not. Die Erwerbsunfähigkeitsrente liege nur zehn Euro über dem Sozialhilfesatz, erklärt Uwe R., da wird jeder Cent zweimal umgedreht. Er hat sogar überlegt, ihre Hündin abzugeben. Obwohl sie alle so an ihr hängen. "Ich habe beim Tierheim angerufen, ob ich sie abgeben kann", erzählt er. "Aber die verlangen 65 Euro dafür, und nicht mal die habe ich."

Solche Geldprobleme kennt auch die 32-jährige Marina H., schon seit Langem. Mit 16 Jahren wurde sie Mutter, eine bewusste Entscheidung: "Ich wollte einfach jemand haben, der mich liebt. Bedingungslos." Sie zieht ihre Tochter alleine groß, sie hofft auf eine Lehrstelle als Bürokauffrau oder eine Arbeit. Alles vergebens. Die Betriebe wollen lieber Schulabgänger einstellen als eine 19-Jährige mit Kind. Und der Job im Supermarkt scheitert daran, dass Marina H. oft ihre Tochter mitbringen muss zur Arbeit, was der Chef auf Dauer nicht duldet. Kurzzeitig hatte sie die Hoffnung, über das Arbeitsamt doch noch eine Berufsausbildung zu bekommen. Aber nach fünf Monaten bezahltem Kurs wurde der Etat gestrichen, Marina H. hätte den Rest des Kurses auf eigene Rechnung bestreiten müssen, nur wovon?

Mit 24 heiratet sie, ein Jahr später kommt Fabian zur Welt. Doch das Glück in der neuen Wohnung währt nur kurz. Ihr Mann verliert den Job, "dann gingen die Probleme los". Erst 2010 findet er wieder Arbeit, "aber da waren wir schon getrennt". Marina H. lebt heute von Sozialhilfe. Um sich etwas hinzuzuverdienen, hat sie einen Mini-Job als Küchenhilfe und Putzfrau in der Gastronomie angenommen, für fünf Euro die Stunde.

"Für mich ist der Zug abgefahren"

Vor drei Jahren wurde bei ihr Morbus Crohn diagnostiziert. Die chronische Darmkrankheit kommt in Schüben, oft könne sie sich wochenlang nur von Kartoffeln ernähren. Alles andere vertrage sie dann nicht, auch nicht die Medikamente gegen ihre Depression. Über die Depression spricht sie nicht viel. "Ja, es gibt Tage, da denke ich mir, ihr könnt mich alle mal." Dann fehlt ihr die Kraft zum Aufstehen, und sie ruft ihren Ex-Mann an, damit er sich um den Kleinen kümmert. "Ich bin schon mehrmals behandelt worden, aber es ist nicht besser geworden. Das einzig Gute in meinem Leben sind meine Kinder." Die 15 Jahre alte Tochter hat eine Lehrstelle als Köchin bekommen, erzählt sie stolz.

Und der kleine Fabian, "das ist ein ganz besonderes Kind", sagt seine Mama kämpferisch. Sie streitet sich gelegentlich mit Menschen, die meinen, ohne ihn wäre sie besser dran. Fabian hat viele Krankheiten. Asthma, Pseudo-Krupp, er fällt immer wieder hin, hat sich alle Vorderzähne ausgeschlagen, das Handgelenk gebrochen. Seine Mutter spricht von motorischen Defiziten, von Problemen mit dem Gleichgewicht. Oft war sie mit ihm beim Arzt, "aber sie haben nichts gefunden". Das Besondere an ihm seien aber nicht die Krankheiten, es sei seine Feinfühligkeit.

Fabian wird bald in eine Förderschule kommen. Sie könnte dann wieder länger arbeiten, hat Marina H. überlegt. Sie würde gerne Geld verdienen und einmal nicht schon am 15. des Monats überlegen müssen, wie sie den Rest überstehen soll. "Aber mich will keiner", die Arbeitszeiten beginnen entweder schon früh, bevor Fabian zur Schule muss, oder sie reichen weit in den Abend hinein. "Für mich ist der Zug abgefahren", stellt sie fest, ganz leidenschaftslos. Aber für ihre Kinder wünscht sie sich ein besseres Leben. Sie selbst ist bereit, dafür alles zu tun.

© SZ vom 07.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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