SZ-Adventskalender:"Der stärkste Mensch, den ich kenne"

SZ-Adventskalender: Maria leidet an einer sehr seltenen Krankheit - und hat noch einiges vor in ihrem Leben.

Maria leidet an einer sehr seltenen Krankheit - und hat noch einiges vor in ihrem Leben.

(Foto: Catherina Hess)

Maria ist 20 Jahre alt und leidet an einer Muskellähmung. Außer ihren Augenlidern kann sie nichts mehr bewegen. Trotzdem will sie nun eine Ausbildung machen. Auch der 13-jährige Michael ist schwer krank und hat viele Wünsche. Wären da nicht die finanziellen Sorgen.

Von Florian Fuchs

Maria hat ein schönes Zimmer, es ist der Raum einer jungen Frau. An den weiß gestrichenen Wänden hängen Poster, auch die hellbraunen Schränke sind vollgeklebt mit Fotos von Schauspielern und Sängern. Es ist also nicht so, dass Maria sich nicht wohlfühlt in ihrem Zimmer, ihre Mutter hat es schön eingerichtet für sie. Aber Maria will jetzt trotzdem raus aus dem Pflegebett, es reicht ihr: Seit etwa fünf Jahren hat sie die Wohnung nicht verlassen, nicht eine Sekunde. Nun will sie in ein Pflegeheim umziehen, wo sie eine Ausbildung für Fotobearbeitung machen kann. Trotz ihrer Muskellähmung. Obwohl sie nichts mehr bewegen kann, außer ihren Augenlidern.

Maria, 20 Jahre, leidet an hereditärer sensomotorischer Neuropathie Typ III. Es ist eine Nervenkrankheit, erzählt ihre Mutter Athina M., von der weltweit nur etwa 15 Menschen betroffen sind. Maria ist geistig vollkommen klar, aber sie kann nicht essen, nicht schlucken und nicht sprechen. Sie kann auch nicht selbständig atmen, weshalb sie neben einer Magensonde ein Beatmungsgerät hat.

Rund um die Uhr sind Pflegerinnen an ihrer Seite. Marias Kontakt zur Welt ist ein Computer, der direkt über ihrem Bett hängt, sie bedient ihn mit ihren großen blauen Augen: Auf dem Bildschirm ist das Alphabet zu sehen, um ein Wort zu bilden, blickt Maria auf die einzelnen Buchstaben und blinzelt, so loggt sie sie ein. Gerade hat sie einen Satz formuliert: "Ich bin es leid, hier zu liegen."

Das ist gar nicht traurig gemeint, sie will einfach ausdrücken, dass sie jetzt gerne einen neuen Lebensabschnitt beginnen möchte, dass sie arbeiten will. Natürlich hat Maria Phasen, in denen sie niedergeschlagen ist, neben allerhand Medikamenten erhält sie täglich Antidepressiva. Trotz allen Leids ist sie aber eine junge Frau, die mit ihrem Schicksal umzugehen weiß und das Beste daraus macht. "Sie ist der stärkste Mensch, den ich kenne", sagt Pflegerin Anita Schmid. Es ist nicht nur eine Floskel, das zeigt Marias Lebensweg.

Atemstillstand, Hektik, Intensivstation

Als sie auf die Welt kommt, ahnt die Mutter nichts von der Krankheit. Die ersten Monate verlaufen ganz normal, nur die Eltern trennen sich, Maria kennt bis heute ihren Vater nicht. Als das Baby knapp ein Jahr alt ist, kann es nicht sitzen und auch nicht krabbeln. Die Ärzte vermuten eine motorische Störung, sie verschreiben Krankengymnastik. Mit zwölf Monaten hat Maria eine schwere Lungenentzündung, sie erholt sich, erleidet aber alle paar Monate einen Rückfall. Mutter Athina M. und ihre Tochter sind Dauergäste im Krankenhaus.

Eines Tages der Schock. Plötzlich sagt Maria: "Ich bin müde, ich will jetzt schlafen", dann fällt sie um. Atemstillstand, Hektik, Intensivstation. Die Ärzte starten Untersuchungen und stellen die Diagnose. Einen Monat später folgt der zweite Atemstillstand.

"Die Ärzte haben gesagt, dass sie nie wird laufen können", erzählt die Mutter. Maria kümmert das wenig, erst beginnt sie, auf ihrem Po durch die Gegend zu rutschen, irgendwann lässt sie die Hand ihrer Mutter los und geht ein paar Schritte. "Einfach so", sagt Athina M. Trotz aller Prognosen läuft Maria noch Jahre später, immer öfter benötigt sie aber einen Rollstuhl.

Ein Recht, sich in der Gesellschaft zu integrieren

Sie besucht den Kindergarten und die Schule der Pfennigparade, im Alter von 14 Jahren aber verschlechtert sich ihr Zustand rapide. Seit sie 15 Jahre alt ist, wird Maria palliativ betreut. Mit 18 Jahren unterschreibt sie eine Patientenverfügung: Sollte sie selbst ihre Augen nicht mehr bewegen können, soll die Beatmung abgestellt werden.

Maria beschäftigt sich mit dem Tod, sie lässt es sich dadurch aber nicht nehmen, Spaß am Leben zu haben. Die 20-Jährige schreibt sogar ein Buch, es handelt von Vampiren, Liebe und Verzweiflung. Sie bestellt Klamotten im Internet und macht sich gerne hübsch, mit Nagellack und Schminke. Und jetzt will sie eben diese Ausbildung machen. Fotos zu bearbeiten wäre ihr möglich, mit Hilfe ihres Computers und ihres Blinzelns. "Ich finde, dass jeder, der so ein Schicksal hat, auch das Recht hat, sich in die Gesellschaft zu integrieren", schreibt sie auf dem Bildschirm.

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Es ist ein Satz, den Thomas Bannasch nur unterstreichen kann. Er leitet in München das Koordinationsbüro für die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention und sitzt selbst im Rollstuhl. Mit Integration kennt Bannasch sich aus, aber er kennt wie kaum ein anderer auch die Probleme, die es im Alltag behinderter Kinder gibt. Maria zum Beispiel wollte unbedingt ihren Schulabschluss nachholen, der Leiter einer Mittelschule versprach, die Prüfungen abzunehmen. Kurz, bevor es so weit war, sagte der Mann ab. Plötzlich war der Schule der Aufwand doch zu groß, die Betreuung Marias doch zu kompliziert. "So etwas ist einfach dramatisch", klagt Bannasch.

Auf seinem Posten setzt er sich dafür ein, dass Kinder mit Behinderungen nach Möglichkeit Regelschulen besuchen können und auf Fördereinrichtungen gar nicht angewiesen sind. "Im Kontakt mit gesunden Kindern werden Kinder mit Behinderungen am besten auf den Alltag vorbereitet, auch auf den Alltag nach der Kindheit", sagt Bannasch. Dazu müssten die Schulen aber ganz anders ausgestattet sein. Viel zu oft seien die Einrichtungen überfordert, weshalb Eltern gar keine Wahl bleibe, als ihre Kinder bei Fördereinrichtungen anzumelden.

Keine Zeit, den Tod des Mannes zu verarbeiten

So war es auch bei Michael. Der 13-Jährige leidet an Epilepsie, sein linker Arm ist motorisch gestört. Als kleines Kind besuchte er zunächst einen städtischen Kindergarten. "Dort sind wir aber gar nicht zurecht gekommen", sagt Mutter Rita S. Michael hatte Probleme, wenn viele Kinder um ihn herum waren, die Nähe setzte ihm zu. Die Erzieherinnen konnten nicht mit der Situation umgehen. Heute geht Michael auf eine Förderschule, dort hat er Freunde gefunden - und sogar eine Klasse übersprungen. "Das Einmaleins", sagt er, "macht mir besonders viel Spaß."

Früher hatte Michael oft Anfälle, die Knie wurden dann weich, er kippte um, die Muskeln verkrampften. "Hinterher habe ich mich an nichts erinnert", sagt er. Für seine Mutter war das eine große Belastung, ständig war sie mit ihrem Sohn im Krankenhaus und bei Ärzten. Und dann erkrankte auch noch der Vater an Lungenkrebs, Rita S. versorgte ihren Sohn und ihren Mann, an einen geregelten Job war kaum mehr zu denken.

SZ-Adventskalender: Michael leidet an Epilepsie: Obwohl er seinen linken Arm nur eingeschränkt benutzen kann, spielt der 13-Jährige gerne Basketball.

Michael leidet an Epilepsie: Obwohl er seinen linken Arm nur eingeschränkt benutzen kann, spielt der 13-Jährige gerne Basketball.

(Foto: Catherina Hess)

2009 starb ihr Mann. Nur wenige Monate später flog sie mit ihrem Sohn nach Paris, für eine spezielle Operation. Dort zerstachen die Ärzte ein Hämatom im Kopf von Michael, direkt in der rechten Gehirnhälfte. Hinterher musste sich Rita S. noch mit der Krankenkasse herumschlagen, die nicht alle Kosten übernehmen wollte. "Das ging alles Schlag auf Schlag, wir hatten gar keine Zeit, den Tod meines Mannes zu verarbeiten."

Seit der Operation aber geht es Michael besser, er ist jetzt auch besser mit Medikamenten eingestellt. Früher war der Junge manchmal aggressiv, dann schubste er andere beiseite, einmal zertrümmerte er sogar die Glasscheibe der Balkontür, da war er noch ganz klein. "Das ist Gott sei Dank vorbei", sagt Michael, an manche Vorfälle von früher erinnert er sich noch dunkel. Vor allem aber sind die Anfälle so gut wie weg, er kippt nicht mehr um, die Muskeln verkrampfen nicht mehr. "Stattdessen starrt er jetzt manchmal vor sich hin", sagt die Mutter. "Aber das ist lange nicht so schlimm."

Obwohl Michael seinen linken Arm kaum gebrauchen kann, ist er sehr sportlich. Der groß gewachsene 13-Jährige spielt Basketball, macht regelmäßig Fitnessübungen. Vor allem liebt er es zu schwimmen, und er fährt gerne mit Bus und Bahn. "Das fasziniert ihn, er könnte Stunden im MVG-Museum verbringen", sagt S.

Mit dem Zug würde Michael auch gerne in eine andere Stadt fahren, vielleicht nach Salzburg. Ein Urlaub aber war seit der Geburt Michaels nicht mehr möglich: Rita S. arbeitet neben der Pflege ihres Sohnes in Teilzeit im Einzelhandel, das Geld ist knapp. Auch eine neue Küche müsste dringend her, für sein Kinderzimmer hätte Michael gerne einen Schreibtisch.

Auftritt im Gasteig

Eine neue Einrichtung bräuchte Maria auch, wenn es tatsächlich klappen sollte und sie in das Pflegeheim umziehen kann, um dort eine Ausbildung zu machen. Sie bräuchte auch spezielle Geräte, um sich dort fortbewegen zu können. Das ist unheimlich teuer, das kann sich die Familie nicht alleine leisten. Bevor es aber gilt, sich für die Ausbildungsstelle zu bewerben, wartet erst einmal ein besonderes Datum:

Am 13. Dezember verlässt Maria zum ersten Mal seit fünf Jahren die Wohnung, ihre Mutter hat schon alles organisiert. Maria ist im Gasteig dabei, wo um 18 Uhr abends ein Kurzfilm über sie gezeigt wird, den eine Fotografin gedreht hat. Der Titel lautet: "Liebe. Freiheit. Alles".

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