Er ist ein zierlicher Junge. Schmales Gesicht, schmale Hände. Ein Infusionskatheter ist gelegt - für alles, was noch kommen muss, damit es ihm besser geht. David spricht, wenn er auf seine linke Hand blickt, ganz lakonisch von "irgendeiner Flüssigkeit", die immer wieder durch den kleinen Schlauch transportiert wird. Hinein in seinen Körper, der jede Hilfe mehr als nur gut gebrauchen kann. Seinen neunten Geburtstag hat er mit seiner Familie im Haunerschen Kinderspital gefeiert. Mit einem kleinen Schokokuchen und einer Kerze.
"Heute ist ein guter Tag", sagt seine Mutter. Nicht immer ist das so. Dann ist dem Jungen schlecht, er hat Krämpfe und Verdauungsprobleme. David Schlögl, der eigentlich in Ortenburg bei Passau wohnt und in die Montessori Schule in Vilshofen geht, hat eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung: Morbus Chron. Gerade hat er eine Operation überstanden, aber die Narkose nicht gut vertragen. Wann es nach Hause geht, und wie es überhaupt weitergeht - "das wissen wir noch nicht ", sagt die Mutter, die immer bei ihrem Sohn ist, nachts in einem Bett neben ihm schläft. Zum zweiten Mal musste David nun schon ins Krankenhaus. Jetzt vermisst er den Papa, seinen Bruder, die Katze Burli.
Die Tage im Haunerschen sind lang. Sie ziehen sich für einen Jungen, der normalerweise am liebsten draußen ist, wie David sagt, Rad fährt und auf Bäume klettert, wie Kaugummi. Nicht wie so eine kleine Kugel aus dem Automaten, sondern wie ein riesiges, großes Bubble Gum. Mutter und Sohn schauen sich an. Sie nicken sich zu: "Ja, die Zeit mag manchmal gar nimmer vergehen." Eine Abwechslung ist da nur mehr als willkommen. Und dann geht die Tür auf. Ein Mann mit einem Keyboard steht im Krankenzimmer. Begrüßt David lachend. "Na, ich glaube, wir machen heute Musik miteinander." Musik? Im Krankenhaus? Der Verein "Zeit des Lachens" macht genau das. Er möchte Kindern, die wegen ihrer Erkrankung länger in der Klinik bleiben müssen, Freude schenken, und die Chance, ihre Schmerzen für kurze Zeit zu vergessen. Mal kommt ein Zauberer in die Krankenzimmer, mal ein prominenter Sportler, ein Spieler der American-Football-Mannschaft "Munich Cowboys" oder ein Clown. Man besucht die Kinder, zieht von Zimmer zu Zimmer. Heute ist der Musiker Erich Kowalew da. Mitgebracht hat er eine Kiste voller kleiner Instrumente wie Rasseln, Triangeln und Schellen und, nicht zu vergessen, Kiddy - die musikalischste Plüsch-Schildkröte der Welt.
Davids Augen in seinem bleichen, schlanken Gesichtchen werden ganz groß. Das alles wegen ihm? Er weiß noch nicht so recht, was da alles passiert. Erich Kowalew kennt diese Unsicherheit. Der 54-Jährige macht seit 14 Jahren mit Kindern Musik und legt einfach auf dem Keyboard los. Er lässt David raten, welche Lieder er spielt. "Hey, hey, Wicki" erkennt der Neunjährige sofort. Und weiter geht's: mit Blues, mit Rock'n'Roll. Und irgendwann hat David einen Eggshaker in der Hand. Er schüttelt ihn im Rhythmus, erst ganz vorsichtig, dann immer kraftvoller. Mama trommelt dazu. Erich singt. Laut ist es, herrlich laut.
Das Krankenzimmer ist plötzlich voll. Gekommen sind auch die langjährige Pflegedienstleiterin und Leiterin der Kulturinitiative Kinderkrankenhaus Astrid Simader, die liebevoll ihre kleinen Schützlinge umsorgt. Auch Ärztin Christine Becker, Oberärztin der Kinderchirurgie, ist da. Becker lächelt. Sie freut sich, dass David langsam sichtbar auftaut. "Ich glaube", sagt sie, "dass so etwas den Gesundungsprozess stark beeinflusst". Es sei nicht gut, den ganzen Tag, hier im Zimmer zu liegen, über sich und die Erkrankung nachzudenken. Die Initiative Zeit des Lachens findet sie eine sehr gute, pädagogisch wertvolle Ablenkung. Natürlich komme es, sagt Becker, bei den Besuchen auch immer darauf an, was die jungen Patienten für eine Erkrankung haben. Bei onkologischen Fällen zum Beispiel sei alles viel schwieriger. Auch das Lachen. Aber, und da ist sich die Oberärztin sicher, glückliche Momente helfen. Nicht nur den Patienten, sondern auch den Eltern, den Angehörigen. Seit 2009 gibt es den Verein. Und Vereinsgründerin Jacqueline Althaller ist so oft wie möglich dabei. Wie sehr ihr diese Besuche ein Herzensanliegen sind, sieht man, wenn man in ihre Augen blickt. Denn wenn es Momente gibt, in denen die Kinder, wie auch David, zu lächeln beginnen, scheint es, als wäre sie emotional ganz nah dran an allem. Und das stimmt auch. Denn alles erinnert sie an ihre eigene Geschichte. An 2005.
Jaqueline Althaller freut sich auf ihr erstes Kind. Doch ihre Tochter kommt viel zu früh auf die Welt, in der 24. Schwangerschaftswoche. Und es passiert etwas, was man keiner Mutter wünscht: Das Mädchen muss fünfmal operiert werden. Eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen beginnt. "Es dauerte lange, bis wir nach Hause durften", erinnert sich die 54-Jährige. Zu lange. "So eine schwierige Zeit macht etwas mit den Menschen, mit einem selbst, mit der Beziehung, mit der Einstellung zum Leben", sagt sie.
Das Glück ist schon lange wieder zurückgekehrt. Althallers Tochter ist heute 14 Jahre alt. Aber etwas zurückgeben, das war ein großer Wunsch der 54-Jährigen, die mittlerweile Mutter von zwei Kindern ist. Sie gründet den Verein Zeit des Lachens. Weil sie aus eigener Erfahrung weiß, was es bedeutet, im Krankenhaus viel Zeit verbringen zu müssen. Wie oft habe sie sich in diesen Wochen damals 2005 über gute Worte gefreut, über Ablenkung. Deswegen organisiert sie in Krankenhäusern die bundesweiten "Tage des Lachens". Es sei so unglaublich wichtig, dass die Kinder etwas anderes sehen als die verweinten Augen der Mutter, sagt sie.
Althaller kümmert sich mit einem kleinen ehrenamtlichen Team um das Programm, um Helfer, um Sponsoren. Und dass auch die Eltern, Schwestern und Ärzte zum Beispiel bei Lach-Yoga entspannen und, wie sie sagt, "die Batterien wieder aufladen können". Finanziert wird alles aus Spenden oder über eine Fördermitgliedschaft, um die Künstler-Gagen, Spielzeug, Instrumente oder den Lach-Yoga-Trainer zu bezahlen. Drei- bis fünfmal im Jahr organisiert sie so einen Tag. "Es wäre so schön und so wichtig, wenn wir das öfter schaffen würden", sagt Althaller. Wenn mehr Leute mithelfen könnten und weitere Kooperationen gelängen.
David lächelt in seinem Bettchen. Endlich. Und Erich Kowalew auch. "Wenn mir das gelingt, dann bin ich glücklich", sagt der studierte Filmmusiker. Auch wenn die Eltern lachen können. David wackelt mit den Zehen. Der Rhythmus ist irgendwie noch nicht verflogen. Er hat die Triangel gespielt, die Trommel geschlagen, eine lustige Brille aufgesetzt und - er hat die Zeit vergessen. Auch wenn der Neunjährige eigentlich lieber Volksmusik hört - "Die Draufgänger" wie er leise verrät - war der Rock'n'Roll doch gar nicht so übel. Und leise, sehr leise, sagt er noch etwas: "Das war jetzt sehr schön."