SZ-Adventskalender:Vanda K. möchte zum ersten Mal in die unbekannte Heimat

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Vanda K. will nicht über ihr Leben jammern. "Geht schon", sagt sie. (Foto: Jan A. Staiger)

Die 75-Jährige mit den litauischen Wurzeln hat ihr Leben lang gearbeitet. Die Rente aber reicht kaum zum Leben, erst recht nicht für kleine Wünsche.

Von Anna Hoben, München

Ihr Enkel sagt immer zu ihr: "Du bist die schönste Oma von Perlach." Vanda K. lacht. "Vielleicht hat er recht", sagt sie dann, mit einer solchen Unschuldsmiene, dass man mitlachen muss. Sie erklärt sich das mit ihren Sonnensprossen, so nennt sie die Pünktchen. Die würden ihre Falten verdecken. Dass ihre Geschwister keine Sonnensprossen haben und auch keine blauen Augen wie sie, das hat mit ihrer Lebensgeschichte zu tun. K.s Tochter, die ebenfalls Vanda heißt, hat die Geschichte der Familie vor einiger Zeit erforscht.

Vanda K. hat litauische Wurzeln, ist aber im niedersächsischen Goslar geboren. Ihre Mutter war im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin aus Litauen dorthin gebracht worden. K. kam im Jahr 1943 zur Welt, einen Tag vor Weihnachten. Sie hat einen anderen Vater als ihr sechs Geschwister, die später geboren werden sollten, einen deutschen. Nach Kriegsende ging die Mutter in die Tschechoslowakei; der Mann, den sie kennengelernt hatte, K.s Stiefvater, war Tscheche. In Prag machte Vanda K. eine Ausbildung in einem Hotel. Von ihrem 14. Lebensjahr an hat sie gearbeitet. Der Kommunismus war in der Familie nicht gut angesehen. Vanda K. selbst sei politisch verfolgt gewesen, erzählt ihre Tochter, zwei Jahre habe sie im Gefängnis gesessen. Während des Prager Frühlings im Jahr 1968 stand ihr eines Tages ihr Bruder mit einer Kalaschnikow gegenüber. Als Soldat war er auf der anderen Seite.

Irgendwann beschloss Vanda K., es mit einem neuen Leben zu versuchen, in Deutschland, dem Land, in dem sie geboren wurde. Mit ihrer damals zehnjährigen Tochter kam sie 1981 nach München, stellte einen Antrag auf Asyl und durfte bleiben. Die erste Zeit war schwer, weil sie kein Deutsch sprach, und weil sie zunächst drei Jahre lang nicht arbeiten durfte. Mutter und Tochter lebten in einer Pension, später bekamen sie die Wohnung in Neuperlach, in der K. nun seit 34 Jahren lebt. Als sie die Arbeitserlaubnis erhielt, bewarb sie sich für einen Job in einer Druckerei in Altperlach. 20 Jahre arbeitete sie dort, und sie tat es gern, "wir waren wie eine Familie". Seit zehn Jahren ist sie in Rente.

Obwohl sie mehr als 20 Jahre in Tschechien gearbeitet hat, bekommt sie aus dem Nachbarland nur eine mickrige Rente, 100 Euro im Monat. Mit der deutschen Rente und der Grundsicherung bleibt ihr nicht viel zum Leben. Beschweren würde sie sich nicht. "Geht schon", das ist ein typischer Satz von Vanda K. Fleisch ist teuer - dann isst sie eben kein Fleisch. Wenn sie im Fernsehen Dokus über Schlachtungen sieht, will sie das auch gar nicht. "Ich bin zurzeit Vetschie", sagt sie. K. kocht meist für ein paar Tage vor, auch so spart sie Geld. Vor Kurzem hatte sie eine Augenoperation, für die sie 160 Euro selbst zuzahlen musste. Und dann sind da noch die Kosten für Medikamente. "Ich bin eine laufende Apotheke", sagt K. - Alterserscheinungen.

Ihre Tochter sagt: "Es ist traurig, dass ältere Menschen so wenig Rente bekommen. Sie werden nicht belohnt für ihre Leistung." So wie ihre Mutter eben, die ein Leben lang gearbeitet hat. "Wenn sie dann zum Amt gehen müssen, wird ihnen die Würde genommen." Zum Glück hat Vanda K. die Unterstützung ihrer Tochter. Regelmäßig macht die den Großputz. Vor kurzem hat sie ihrer Mutter eine gebrauchte Küche gekauft und eingebaut, die alte war einfach zu marode gewesen. Sie würde ihr gern auch das 30 Jahre alte Bett ersetzen, aber das ist für sie finanziell nicht drin. Auch Vanda, die Tochter, hat es nicht leicht. Ihr Mann ist gestorben, sie hat drei Kinder, die jüngste Tochter wohnt noch zu Hause. Der älteste Sohn hat selber schon Kinder, Vanda K. ist zweifache Uroma.

An den Wänden hängen Bilder, die sie selbst gemalt hat, Aquarell und Acryl. Malen, das tut sie gern, im Sommer will sie wieder damit anfangen. Ach, Sommer. Vergangenes Jahr zu Pfingsten war sie in Italien, Bibione an der Adria, ihre Tochter hatte sie eingeladen. Es war der zweite Urlaub ihres Lebens. Vanda K. schwärmt jetzt. Von Italien. "Sehr schön! Das Essen, so gut!" Und von England, der erste Urlaub ihres Lebens, sie konnte bei einer Freundin ihrer Tochter übernachten. "Freundliche Menschen!" Sie würde gern noch einmal verreisen. Litauen, das wär's. Ihr Herkunftsland. Sie ist nie dort gewesen.

© SZ vom 11.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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