Synagoge am Jakobsplatz:Jüdisches Leben mitten in der Stadt

Aus dem Hinterhof in die City: Die Eröffnung der Synagoge am 9. November 2006 hat nicht nur den Jakobsplatz verändert - sondern das jüdische Leben in München.

Von den SZ-Autoren

Ein besonderer Rundgang

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bis 2011 war Steven Langnas der Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in München. Er hat in dieser Zeit unzählige Führungen durch die neue Synagoge gegeben. Wie viele es genau waren, weiß Langnas nicht mehr. Aber ein Rundgang ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Vor ein paar Jahren führte Langnas die Bundeskanzlerin durch die heiligen Räume der jüdischen Gemeinde. Noch heute kann er sich an seine Begrüßungsworte erinnern: "Bis jetzt war die Liebe zu Gott da. Und die Menschen, die hierher zum Beten kommen. Aber wir hatten keinen Engel. Ich begrüße Sie, Angela", sagte er in Anspielung auf das lateinische Wort für Engel. Es war dem amerikanischen Rabbiner wichtig, der Bundeskanzlerin für ihren Einsatz zu danken. Doch auch sonst hat Langnas die Führungen genossen. Gefallen haben ihm zum Beispiel die unverstellten Fragen von Schulklassen. Die Jugendlichen wollten unter anderem von ihm wissen, warum jüdische Männer Kippa tragen. Oder was es mit den koscheren Speisevorschriften auf sich hat. Steven Langnas gab Antworten. Er sagt: "Solche Begegnungen tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen. Sie sind ein wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit."

Teil der Stadtgesellschaft

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(Foto: Stephan Rumpf)

Vor zehn Jahren ist die "Literaturhandlung" von Rachel Salamander von der Fürstenstraße an den Jakobsplatz umgezogen. Anfangs war das eine große Umstellung. "Der Jakobsplatz hat die Topografie der Stadt verändert. Plötzlich war das jüdische Leben wieder präsent", sagt Rachel Salamander. Mit den Jahren kam die Normalität. Heute sind es die kleinen Dinge, an denen sich für Salamander die wundersame Entwicklung des Jakobsplatzes ablesen lässt. Zum Beispiel an Wiesn-Samstagen, wenn Juden in Festtagskleidung aus der Synagoge auf den Platz strömen und sich mit den Trachtenträgern vermischen - als wäre es das Normalste auf der Welt. Oder der große Chanukka-Leuchter, der jedes Mal zum jüdischen Lichterfest aufgestellt wird. Für Salamander alles ein Beweis, dass das Judentum mittlerweile fest zur Stadtgesellschaft gehört: "Das hat man vorher nie gesehen in München. Es zeigt, wie ein gemeinsames Miteinander funktionieren kann". Neu sind auch die vielen Touristen, die in den Buchladen kommen. Sie sehen die Synagoge und das Museum und wollen automatisch mehr über das Judentum wissen. Und das freut Rachel Salamander.

Ein Raum für alle Münchner

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(Foto: Florian Peljak)

Miriam Geldmacher erinnert sich genau, wann sie die Synagoge am Jakobsplatz erstmals betreten hat. Vor fünf Jahren sei das gewesen, sagt sie, als ihre älteste Tochter zu Hanukkah mit ihrem Schulchor aufgetreten sei. "Die Synagoge ist von außen schon sehr beeindruckend, aber von innen ist der Raum noch viel gigantischer", sagt Geldmacher. Besonders gefalle ihr der tolle Blick von drinnen ins nächtliche München. Seit September leitet Geldmacher das neue jüdische Gymnasium am Jakobsplatz. "Ich freue mich jeden Tag wieder, wenn ich komme", sagt sie. So viele tote Plätze gebe es in München. Der Jakobsplatz gehöre da sicher nicht dazu. Im Sommer lesen Menschen auf den Bänken vor dem Gemeindehaus, Kinder springen durch das Wasser des Brunnens, andere genießen ein Getränk im Stadtcafé. "Trotz des Trubels strahlt der Jakobsplatz immer auch eine Ruhe aus", sagt Geldmacher. Einen besseren Arbeitsplatz könne sie sich momentan nicht vorstellen. Mitten in München sei nicht nur ein wichtiges Zentrum entstanden, an dem sich verschiedene Religionen treffen, sondern auch ein Raum für alle Münchner.

"Wir sind angekommen"

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Charlotte Knobloch ist nicht nur langjährige Vorsitzende der Kultusgemeinde, sie ist auch die treibende Kraft gewesen hinter dem neuen Jakobsplatz. Das neue jüdische Zentrum ist ihr Lebenswerk. Sie sieht es als Symbol für die Heimkehr der jüdischen Gemeinschaft. Mit dem Ergebnis sei sie sehr zufrieden, sagt die 84-jährige: "Ich hatte mir gewünscht, das Stadtbild mit Synagoge und den Türmen der Frauenkirche wie einst wiederherzustellen. Und das moderne Ensemble hat sich erstaunlich gut in die Altstadt integriert - als sei es nie anders gewesen." Der Platz sei heute ein lebendiger Treffpunkt. Mit ihren im Stadtzentrum präsenten Gebäuden sei die Gemeinde zudem der ersehnten Normalität näher gekommen, sagt Knobloch: "Ich hatte nicht geahnt, wie wichtig Gebäude, Räume für Dialog und gelebtes Miteinander sind." Und die Münchner hätten nach erster Skepsis angesichts der hohen Bauzäune und den Sorgen, es könne ein "Fort Knox" entstehen, das Zentrum sehr gut angenommen. Der Zuspruch sei groß. "Ich beobachte, wie die Doppeldecker-Stadttourbusse anhalten und über Lautsprecher durchgesagt wird: 'Das ist unsere Synagoge.' Wir sind angekommen, ja das spürt man."

Bewusste Entscheidung

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(Foto: Florian Peljak)

Eugen Alter ist oft am St.-Jakobs-Platz, schon allein, weil er im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde sitzt. Oft bringt er auch seinen Sohn zur Schule hierher, der die fünfte Klasse des jüdischen Gymnasium besucht. Vor fünf Jahren wurde der Junge in der Sinai-Grundschule am Jakobsplatz eingeschult. "Das war eine bewusste Entscheidung", sagt Alter. Sein Sohn sollte in der jüdischen Kultur aufwachsen und andere Kulturen kennenlernen. Die Sinai-Grundschule nimmt auch nichtjüdische Kinder auf. Alter erinnert sich gerne an den ersten Schultag: Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, begrüßte herzlich alle Kinder. Ebenso bewegend war für ihn die Einweihungsfeier des neuen Gymnasiums. Der Shoa-Überlebende Senek Rosenblum berichtete über seine Zeit in München - er war Schüler des hebräischen Gymnasiums, das in den Fünfzigerjahren mangels Schüler schließen musste. Heute sind die jüdischen Bildungseinrichtungen am Jakobsplatz etabliert. Die offene Bauweise und die zentrale Lage haben für Alter Symbolcharakter. Sie zeigten, dass die jüdische Gemeinde in der Mitte der Gesellschaft und ihr offen gegenüber stehe.

Eine Würde, die undenkbar war

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(Foto: Florian Peljak)

Natürlich sei der neue Platz sehr viel schöner als der alte, sagt Hans Zürrlein, der Wirt des Stadtcafés am Jakobsplatz. "Das jüdische Zentrum, das Museum und vor allem die Synagoge sind ja architektonisch ein ziemliches Schwergewicht." Der Platz habe damit eine Würde erhalten, die vorher undenkbar war. "Vorher war er eine große Brachfläche, die nicht mal zum Bolzplatz taugte, da sie gleichzeitig als Hundeklo diente." Am südlichen Rand habe es einen Glascontainerstandplatz und am nördlichen einen gerne auch von Bussen genutzten Parkplatz gegeben, erinnert sich Zürrlein. "Seine Belebung erfuhr der Platz auch noch durch die allabendliche Versorgung der Obdachlosen mit Suppe, Semmel und Apfel durch den Sozialverein ,Möwe Jonathan'. Im Winter durften die Obdachlosen dann in dem alten Nazibunker nächtigen." Heute sei das hingegen ein richtig städtischer Platz, um und auf dem sich eine Reihe neuer Lokale tummeln. "Früher gab es nur das Stadtmuseum mit dem Filmmuseum und eben uns, das Stadtcafé, mit seinen gefürchteten Mozztoms, wie die Mozzarella-Tomaten-Baguettes genannt wurden."

Festakt und Gedenken

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(Foto: Johannes Simon)

Das zehnjährige Bestehen der Synagoge begeht die Kultusgemeinde am Mittwochabend mit einem Festakt, bei dem Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Ohel-Jakob-Medaille gewürdigt wird. An diesem 9. November gedenkt die Stadt aber auch der Judenverfolgung und der Pogromnacht vor 78 Jahren. Von 14 bis 17 Uhr werden am Gedenkstein für die frühere Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße die Namen von Kindern und Jugendlichen verlesen, die Opfer der Verfolgung wurden. Von 11 bis 17 Uhr ist im Alten Rathaus eine Ausstellung des Stadtarchivs zur ersten Judendeportation nach Kaunas 1941 zu sehen. Und um 12, 14 und 16 Uhr beginnen am Alten Rathaus Stadtrundgänge zu früheren Häusern verfolgter Münchner. Vor genau zehn Jahren wurde das Jüdische Gemeindezentrum auf dem Jakobsplatz eröffnet. Fotos: Simon, Schellnegger, Rumpf, Peljak (3), Kneffel/dpa

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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