Süddeutsche Zeitung

Kritik:Meister der Nuancen

Lesezeit: 1 min

Famoser Saisonauftakt für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Tugan Sokhiev.

Von Klaus P. Richter, München

Für seinen Saisonauftakt hüllte uns das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bestrickend in einen zauberischen impressionistischen Klangsensualismus. Debussy hat die elegischen Träume eines Fauns am heißen südlichen Nachmittag in die changierenden Farbentableaux seiner eigenen Harmonik verwandelt. Sie verabschiedet den Formkanon "klassischer" Sinfonik für einen vegetativen Fluss von Stimmungsbildern, der nicht den "Großen Pan" wie Gustav Mahler malt, sondern die Traumarabesken Mallarmés und die Delikatessen morbider Sinnlichkeit. Die Solo-Flöte (Henrik Wiese) intonierte Schäfer-Bukolik, aber der Maestro des Abends im Herkulessaal, Tugan Sokhiev, gebürtig aus Ostossetien und bis zu Putins Ukraine-Überfall Chefdirigent des Moskauer Bolschoi-Theaters, gestaltete die illustrativen Klangspezereien als eine genau konturierte Erzählung.

Letztes Konzert für Posaunist Hansjörg Profanter nach 43 Jahren

Auch im musikgewordenen Orientalismus von Ravels "Shehérezade" erwies er sich als Meister der feinnervigen Nuancen. Er ließ das Orchester die australische Sopranistin Siobhan Stagg mit höchster Sensibilität begleiten, so dass sich ihr exquisites lyrisches Timbre in den drei Liedern wunderbar zwischen rhetorischem Parlando und schwelgerischem französischen Raffinement entfalten konnte. Magisch, wie im letzten Lied "L' indifferent" die symbolistisch aufgeladenen Imaginationen im geheimnisvollen Pianissimo verklingen. Den Höhepunkt erreichte Ravels Klangsensualismus schließlich in seiner Orchesterfassung von Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" - und mit ihm auch die Klangkultur des Orchesters. Denn im farbigen russischen Bilderreigen führte es seine ganze Potenz vor, vom bizarren "Gnomus", den eleganten "Tuileries" bis zu den verspielten Balletten der "Küchlein in ihren Eierschalen" und dem imperialen "Großen Tor von Kiew", ganz besonders aber in seinem fabelhaften Bläserensemble - mit einem scheidenden Posaunisten.

Denn während Tugan Sokhiev und Siobhan Stagg beim BRSO ihre Debüts gaben, nahm ein anderer Abschied. Der Posaunist Hansjörg Profanter spielte jetzt nach 43 Jahren sein letztes Konzert. Der gebürtige Südtiroler war 1979 zum Orchester gekommen und verband so die Ära des unvergessenen Rafael Kubelik über viele wechselnde Maestri bis zu Mariss Jansons mit seiner Kunst.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5666966
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.