Ausstellung im Lechner-Museum Ingolstadt:Schwere Materie

Ausstellung im Lechner-Museum Ingolstadt: Die Bildhauerin Susanne Tunn gibt dem Stein sein Geheimnis zurück, hat Alf Lechner (1925-2017) einst über seine Bildhauerkollegin gesagt. Aktuell ist ihre umfassende Werkschau "Kraft der Stille" im Alf-Lechner-Museum Ingolststadt zu sehen.

Die Bildhauerin Susanne Tunn gibt dem Stein sein Geheimnis zurück, hat Alf Lechner (1925-2017) einst über seine Bildhauerkollegin gesagt. Aktuell ist ihre umfassende Werkschau "Kraft der Stille" im Alf-Lechner-Museum Ingolststadt zu sehen.

(Foto: Studio Hetzer)

Die Bildhauerin Susanne Tunn legt in ihren tonnenschweren Stein-Skulpturen Erdgeschichte frei.

Von Sabine Reithmaier, Ingolstadt

Das Machbare ausloten und dann die Grenzen überschreiten - das war die Maxime des Stahlbildhauers Alf Lechner (1925 - 2017). Er besaß die besondere Fähigkeit, schon im Rohzustand seiner Materie Formen zu erkennen, die andere erst viel später wahrnehmen. Genau diese Eigenschaft zeichnet auch Susanne Tunn aus. Auch sie hat das Ziel, Verborgenes sichtbar zu machen, auch sie tastet sich schrittweise heran. Im Gegensatz zu Lechner, mit dem sie fast 30 Jahre befreundet war, arbeitet die Bildhauerin aber nicht mit Stahl, sondern überwiegend mit Stein. Derzeit bespielt sie mit ihren tonnenschweren Arbeiten das gesamte Lechner-Museum in Ingolstadt, eines der wenigen Museen in Europa, die so gewichtige Steinskulpturen im Innenraum überhaupt zeigen können.

Tunn, 1958 in Detmold geboren, stellt nicht zum ersten Mal hier aus. Schon 2006 lud Lechner sie ein, ihre Installation "Perlen aus Stein" zu zeigen, schwer zu definierende, kugelige Formen; seither habe es Planungen für eine umfassende Werkschau gegeben, sagt Lechners Witwe Camilla. Doch erst jetzt sei es gelungen, diesen Vorsatz und Wunsch ihres Mannes zu verwirklichen.

Die Arbeiten haben in der lichten Halle des Erdgeschosses genügend Platz, um ihre Wirkung zu entwickeln. Im ersten Moment erinnern sie an Fragmente großer antiker Tempelsäulen, die scheinbar wahllos und doch zusammengehörig im Raum verteilt sind. Manche liegend, andere stehend, warten sie darauf, umrundet und erkundet zu werden, einschließlich des kleines Fotos an der Rückseite der Halle: ein schemenhaftes Selbstporträt der Künstlerin mit dem Titel "Ich als Säule".

Ausstellung im Lechner-Museum Ingolstadt: Zwiesprache von Stein und Glas: Susanne Tunns Arbeit im Außenbereich des Alf-Lechner-Museums.

Zwiesprache von Stein und Glas: Susanne Tunns Arbeit im Außenbereich des Alf-Lechner-Museums.

(Foto: Studio Hetzer)

Die Bildhauerin, die in Brandenburg und Andalusien lebt, bearbeitet den Stein nicht im klassischen Sinn. Sie zwingt ihm keine Form auf, sondern sie ergründet, was in dem jeweiligen Felsbrocken steckt, und entwickelt dessen Innenleben behutsam weiter. Tunn nimmt sich Zeit für ihre Werke, es dauert lang, bis die Arbeiten fertiggestellt sind, zumal sie jeden Schritt selbst macht. Monatelang sucht sie in Steinbrüchen nach ihrem Material. Manche der schweren Felsbrocken sind geschnitten, andere hat sie herausgebrochen. Sie schlägt, meißelt, bohrt, schleift, graviert und legt frei, bearbeitet sie rundum, legt in Schichten Erdgeschichte offen. Raue Schrunden und Kanten, aber auch fein polierte Stellen erzählen von dem langwierigen Arbeitsprozess, der manchmal in ein Spiel mit Licht und Schatten mündet. Die schräge polierte Oberfläche der dunklen, blau-grauen Skulptur "Himmel", ein Labrador-Stein aus Norwegen, aufgestellt an der verglasten Außenwand des Museums, reflektiert denselben tatsächlich. "Berg und Garten" nennt sich eine andere Arbeit, auf dem Muschelkalk-Brocken aus einem Steinbruch in der Nähe Würzburgs verdorrt Gras, wachsen Moos und Flechten.

Im ersten Obergeschoss wartet "Die große Melancholie", kleine Skulpturen aus andalusischem Macael-Marmor. Sie sind auf Stelen wie zu einem Versuch angeordnet, viele fast weiß, manche in zartem Grau. Mehr als 30 Jahre Arbeit (1990 bis 2022) hat Tunn in diesen faszinierenden Zyklus gesteckt, den sie in Anlehnung an Albrecht Dürers "Melencolia I" schuf. Entstanden ist eine variantenreiche, spielerisch anmutende Auseinandersetzung mit dem großen Polyeder, jenem mysteriösen Vielflächner inmitten von Dürers Kupferstich. Eine andere Installation aus sechs Polyedern in Schwarz und Rot lebt von den starken Kontrasten. Auch an den Wänden finden sich diese geometrischen Figuren, Tunn zeichnet sie mit weißer Tinte auf schwarzen Karton.

Ausstellung im Lechner-Museum Ingolstadt: Die Bodenplastik "Schwimmende Raster".

Die Bodenplastik "Schwimmende Raster".

(Foto: Studio Hetzer)

Eine grandiose Wirkung entfaltet das "Schwimmende Raster". 2015 hat Tunn die Fugen des Bodens eines Osnabrücker Dominikanerklosters mit flüssigem Zinn ausgegossen und später wieder abgenommen. Ein Teil dieses eigenwilligen Experiments liegt oder besser schwebt nun silbrig schimmernd als Bodenarbeit im großen Saal. Gleich nebenan die Zinn-Arbeit mit dem feinen Titel "In höheren Kreisen": 13 wie Spiegelrahmen wirkende Kreise (Durchmesser 55 Zentimeter), deren schillernde Farben unentwegt aufs einfallende Licht reagieren und sich ständig verändern. Ergänzt wird die Ausstellung durch zahlreiche Zeichnungen Tunns, die ihre ständige Auseinandersetzung mit den Formen zeigen.

Ausstellung im Lechner-Museum Ingolstadt: Auch Zeichnungen von Susanne Tunn sind in Ingolstadt zu sehen.

Auch Zeichnungen von Susanne Tunn sind in Ingolstadt zu sehen.

(Foto: Studio Hetzer)

Im Papierhaus in Obereichstätt, das in Alf Lechners Skulpturenpark steht, finden sich weitere mit Tusche und Bleistift gefertigte Zeichnungen Tunns. Der Besuch dort lohnt sich wegen der Gesamtanlage immer, Park und Papierhaus sind aber nur bei den regelmäßig angebotenen Führungen zugänglich. Dafür bleibt noch viel Zeit, die Ausstellung läuft noch bis September, bevor sich eine Schau mit Werkgruppen Lechners anschließt.

Inzwischen ist es der Lechner-Stiftung gelungen, das gesamte Werkverzeichnis des Bildhauers zu digitalisieren. 800 Skulpturen und 4250 grafische Arbeiten sind inzwischen in einer Datenbank erfasst, noch in diesem Jahr soll sie öffentlich zugänglich werden. Unterstützt wurde Camilla Lechner dabei von Dominik Bais. Seit drei Jahren arbeitet der junge Münchner Künstler und Filmemacher, der gerade über Alf Lechner promoviert, in der Stiftung mit. Er hat nicht nur die Werke digitalisiert, sondern auch Lechners umfangreiche Notizen zu den eigenen Arbeiten in enger Zusammenarbeit mit der Witwe gesichtet und geordnet. "Ein Glücksfall für uns", sagt Camilla Lechner. Und erzählt dann von der langen Freundschaft, die ihren Mann mit Susanne Tunn verbunden hat. "Das Reduzierte, Karge an ihren Arbeiten hat ihn sehr angesprochen."

Alf Lechner selbst formulierte es 2006 anlässlich der ersten Ausstellung der Bildhauerin in seinem Haus nochmal anders: "Susanne Tunn gibt dem Stein sein Geheimnis zurück."

Susanne Tunn: Kraft der Stille, bis 10.September, geöffnet Do. bis So., 10 bis 17 Uhr, Lechner-Museum, Esplanade 9, Ingolstadt

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