Suizid-Präventionstag:Tabuthema Selbstmord

Mehr als 200 Menschen nahmen sich in München 2007 das Leben. Dennoch können die Betroffenen oft nur in Beratungsstellen wie der Arche offen über das Thema Suizid sprechen.

Anna Fischhaber

Eigentlich hatte sich Anke Mayer (Name von der Redaktion geändert) das Leben nach dem Auszug der Kinder ganz anders vorgestellt - endlich würde sie Zeit für ihren Mann haben. Doch der hatte mit seiner Geliebten längst andere Pläne. Und so verlor sie innerhalb kürzester Zeit alles, was die vergangenen 25 Jahre ihr Leben ausgemacht hatte: den Partner, die Töchter und das Zuhause mit dem geliebten Garten. Mayer beschloss, ihrem Leben mit Gewalt ein Ende zu setzen und schluckte Tabletten. Nur ein überraschender Besuch rettete ihr in letzter Sekunde das Leben.

Suizid-Präventionstag: Hans Doll ist Geschäftsführer der Arche, die sich um Menschen in Lebenskrisen kümmert.

Hans Doll ist Geschäftsführer der Arche, die sich um Menschen in Lebenskrisen kümmert.

(Foto: Foto: Fischhaber)

Rund 1300 Menschen lassen sich jedes Jahr bei der Arche zum Thema Selbstmord beraten. Viele haben wie Anke Mayer bereits einen Suizidversuch hinter sich - meist sind zwischenmenschliche Katastrophen der Auslöser. "In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Gewalttaten und Aids zusammen", sagt Hans Doll, Geschäftsführer der Münchner Beratungsstelle für Selbstmordgefährdete. Obwohl der Trend insgesamt zurückgeht, beendet nach wie vor alle 40 Sekunden ein Mensch auf der Welt sein Leben gewaltsam.

In München starben im vergangenen Jahr 207 Personen durch Selbstmord - vor allem Männer und ältere Menschen sind gefährdet. "Die Zahl der Suizidversuche ist mindestens zehnmal so hoch", sagt Doll. Paradoxerweise seien es umgekehrt oft Frauen und Jüngere, die einen Suizidversuch unternehmen - und überleben. "Tot zu sein ist nur ein Motiv", so der Arche-Geschäftsführer. "Oft steht im Vordergrund der Schrei nach Hilfe."

Erste Beratungsstelle für Selbstmordgefährdete

Die Arche gehört neben der Telefonseelsorge und dem Psychiatrischem Krisendienst zu den professionellen Hilfsangeboten für Selbstmordgefährdete in München. Als die Einrichtung 1969 gegründet wurde, ist sie bundesweit die erste ihrer Art. "Damals gab es nach der Entgiftung in der Klinik nur die Möglichkeit, die Leute in stationäre psychiatrische Behandlung zu stecken oder nach Hause zu schicken", erzählt Doll. Die Arche bietet dagegen ambulante Hilfe an. Psychologen, Sozialpädagogen, Ärzte und Juristen kümmern sich in dem rosa Altbau in der Viktoriastraße mitten in Schwabing auch heute noch um Menschen in Lebenskrisen.

Suizidgedanken seien meist ein temporäres Phänomen, erklärt Doll. Dennoch sei der Weg zurück ins Leben oft langwierig. Anke Mayer brauchte dazu über ein Jahr. Heute ist sie wieder verheiratet und froh, dass sie noch am Leben ist. "80 Prozent der Suizidalen unternehmen keinen zweiten Versuch", sagt Doll.

Neben den Selbstmordgefährdeten kümmert sich die Arche auch um die Hinterbliebenen. "Wenn man davon ausgeht, dass von jedem Suizid mindestens sechs Personen betroffen sind, also Familie, Partner, Freunde, Kollegen, dann sind das allein in München jedes Jahr 1200 Menschen", rechnet Doll vor. Deren Trauer sei oft mit Schuldgefühlen und offenen Fragen verbunden: "Warum hat er es gemacht, hätten wir es erkennen müssen oder sogar verhindern können?" Von außen käme statt Hilfe meist nur eine indirekte Anschuldigung. Die Arche bietet deshalb Trauerseminare an, in denen sich Hinterbliebene austauschen können.

"Bekannte ergreifen schnell die Flucht"

Für viele ist die Beratungsstelle der einzige Ort, an dem sie offen über das Thema Selbstmord reden können. "Suizid hat etwas Eigenartiges an sich, das die Leute schaudernd fasziniert bis dahin, dass es Angst macht", sagt Doll. "Bekannte ergreifen schnell die Flucht oder kommen mit dem moralischen Zeigefinger." Dabei sei fast jeder von dem Thema betroffen: "Die meisten Menschen kommen im Laufe ihres Lebens in eine Situation, in der sie darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen", so der Arche-Geschäftsführer. Gefährlich werde es, wenn sich jemand stark zurückziehe oder auffällige Verhaltensänderungen zeige.

Gerade weil Selbstmord nach wie vor ein Tabuthema ist, dass gerne "weggetröstet" werde, rät Doll zur schonungslosen Offenheit: "Scheuen Sie sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen." Der weitverbreitete Glaube, man mache dadurch etwas schlimmer, sei ein Irrtum. "Oft sind die Menschen sogar erleichtert, wenn sie offen über ihre Gedanken reden können." Vielleicht wäre es dann auch bei Anke Mayer nicht so weit gekommen.

Anlässlich des Welt-Suizid-Präventionstages 2008 findet am 10. September, 19.30 Uhr, ein Benefizkonzert im Kardinal-Wendel-Haus zugunsten der Arche statt. Es spielt der japanische Geiger Takaya Urakawa, der Eintritt kostet 25 Euro. Die Arche selbst befindet sich in der Viktoriastraße 9 in 80803 München, Telefon 089/334041, www.die-arche.de.

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