Innovative Bands aus Afrika:Trance, Punk und Country gegen das Afro-Klischee

Lesezeit: 3 Min.

Mit seinem hypnotischen Wüsten-Rock-Trance-Sound vom Südrand der Sahara hat der Sänger und Gitarrist Omara „Bombino“ Moctar auch westliche Hörer überrumpelt. (Foto: Mads Maurstad)

Aufregende Bands aus Afrika experimentieren in München mit dem Pop der Zukunft.

Von Jonathan Fischer

„Fuck Weltmusik, wir sind eine Rockband“. So polterte unlängst Mikey Coltun, der amerikanische Bassist in der Band des nigrischen Gitarristen und Sängers Mdou Moctar. Rassistisch sei dieser Begriff. Und ausgrenzend. Es war möglicherweise gut gemeint, als Ende der Achtzigerjahre Plattenfirmen und Medienvertreter das Vermarktungs-Label „Weltmusik“ für alle nicht westliche Musik schufen. Am Ende aber gab es doch nur ein Häkeldeckchen, auf dem vorrangig Wohlfühl-Klischees und Exotisierungen Platz fanden. Aber brauchen wir Afrika als Abziehbild westlicher Erwartungen? Sollten wir Musik anderer Kulturen nicht eher hören, um unsere Weltsicht, ja unsere Identität zu erschüttern und zu erweitern?

Fast ein Dutzend höchst innovativer Bands aus Subsahara-Afrika bieten dazu in den nächsten Monaten Gelegenheit. Gemein ist ihnen nur eines: aufregender Schmutz, unerhörte Energien und die Freiheit, sich wo auch immer zu bedienen. Gleich drei Rockbands aus Niger sind darunter. Spätestens seit Black Keys-Mastermind Dan Auerbach vor zehn Jahren den Gitarristen und Sänger Bombino ins Studio bat, ist dessen Name weltweit ein Begriff. Hat der hypnotische Wüsten-Rock-Trance-Sound vom Südrand der Sahara auch westliche Hörer überrumpelt. Nun kommt Omara „Bombino“ Moctar – so der volle Name des Grammy-nominierten Musikers – mit einem neuen Album auf Tour: „Sahel“ heißt es, so wie die Region, in der seine Ethnie die Tuareg leben.Bombinos Texte sind politisch: Sie handeln von der Diskriminierung der über sechs Länder verstreut lebenden Nomaden, vom Kampf um die Bewahrung ihrer Sprache und Kultur. Und auch wer die Tamashek-Chants nicht versteht: Seine psychedelisch-einpeitschenden Gitarren-Grooves überwinden jede Sprachbarriere.

Wie Bombino lebt auch Mdou Moctar vor Ort vor allem von Hochzeits-Auftritten. Nun spricht „Funeral For Justice“, Moctars aktuelles Album, von gewissenlosen afrikanischen Autokraten und der Uranausbeutung durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Er wolle seine Gitarre wie einen Hilferuf klingen lassen, wie ein Sirenengeheul, sagt der Tuareg-Musiker. Traditionelle Instrumente wie die dreisaitige Tehardent-Laute oder die Kürbis-Kalebasse treffen auf Pogo-taugliche Rockrhythmen. Der Sound von Rebellion und Stolz treibt auch Etran de l’Air an. Die bereits seit 1995 bestehende Gitarren-Combo aus Agadez dreht die Verstärker grundsätzlich auf 11 – schmutziges, delirierendes, tanzbares pentatonisches Riff-Feuer auf der Spur vom Niger zum Mississippi.

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With a little help from Damon Albarn: Seit zehn Jahren teilt Fatoumata Diawara mit dem Engländer immer wieder die Bühne, nun koproduziert er ihr neues Album „London Ko“. Zwischen Wassoulou-Folk und Elektro-Pop entwirft die junge Malierin da ihren ureigenen futuristischen Sound. Dabei singt Diawara nicht nur für Frauenrechte. Sondern brilliert auch – in Mali als erste Frau – an der E-Gitarre. „Niemand der jungen malischen Musiker, die ich kenne, will den Westen kopieren“, sagt sie. „Das sollten wir auch nicht – die ganze Welt hört ja schon denselben Brei.“

Statt auf die neue Afrobeats-Mode zu setzen, graben die jungen Ghanaer von Santrofi den fast vergessenen Highlife ihrer Großväter aus. Highlife: Das war eine Mischung aus Jazz und ghanaischer Musik, die in den Sechzigerjahren halb Westafrika zum Tanzen brachte. Die acht jungen Musiker gingen allesamt bei den Meistern des Genres – Ebo Taylor, Pat Thomas oder Gyedu Bley Ambolleh – in die Schule. Und modernisieren den Bläser-satten Highlife für eine junge Generation. In eine ähnliche Zeitmaschine steckt uns der senegalesische Bassist und Jazzer Alune Wade. Er schlägt eine Brücke zwischen Dakar, Paris und New York, dem elektrischen Miles Davis der Siebziger und zeitgenössischem Afro-Soul. 

Tanzbar und hoch optimistisch: „Kin’Gongolo Kiniata“ spielen auf Instrumenten, die sie aus recyceltem Müll basteln. (Foto: Nizar Saleh-Hélico)

Würde Fela Kuti auf Public Enemy und südafrikanische Chorgesänge treffen – dann käme wohl in etwa der Sound von BCUC, kurz für Bantu Continua Uhuru Consciousness, heraus. Gefährlich klingt das. Und nach einer Überdosis Adrenalin. Wenn das siebenköpfige Kollektiv aus Soweto seine Call-and-Response-Gesänge mit hypnotischen Basslinien unterlegt, erinnert das an archaische Krieger-Chants. Wann kamen Selbstermächtigungs-Botschaften schon mal so körperlich und schweißtreibend rüber?

Last not least, ist der Kongo mit zwei vollkommen disparaten Soundwelten vertreten: In der Tradition der Congotronics bauen Kin’Gongolo Kiniata ihre Instrumente aus recyceltem Straßenmüll. Plastikflaschen, Schläuche und Blech-Ukulelen scheppern, rasseln, und dröhnen, erzeugen einen punky Rhythmus, der an eine falsch verkabeltes Elektro-Set erinnert. Tanzbar und – trotz der Anspielungen auf Armut und Krieg – hoch optimistisch. Die Congo Cowboys dagegen stammen ursprünglich aus Kapstadt. Ihren Namen verdankt das Trio einerseits den Lingala-Gesängen ihres kongolesischen Sänger Chris Bakalanga. Andererseits einer Mode aus dem Kinshasa der Fünfzigerjahre, als sich Jugendgangs bevorzugt wie Cowboys kleideten. Beides ist Hintergrund für – wer hätte das gedacht? – einen afrikanischen Zugriff auf Country und Western. Klassiker wie „Jolene“ von Dolly Parton erblühen da neu mit Banjo, Gitarre, Bass und kongolesischen Kwassa-Kwassa-Rhythmen. Der Beweis, dass Afrika weder in die „Weltmusik“- noch eine andere Schublade passt. Sondern hier schlicht und einfach Visionäre am Pop der Zukunft basteln.

Santrofi, Samstag, 1. Juni, BCUC, Freitag, 2. August, (beide Import Export), Fatoumata Diawara, Samstag, 22. Juni (Rathausplatz Dachau), Bombino, Montag, 3. Juni, Alune Wade, Freitag, 7. Juni, Etran de l’Air Mittwoch, 12. Juni, Kin’Gongolo Kiniata, Dienstag, 6. August, Mdou Moctar, Mittwoch, 21. August, Congo Cowboys, Dienstag, 15. Oktober (alle Muffatwerk, Zellstraße 4)

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