Die Studentenstadt erscheint vielen seit einer Weile eher wie eine Geisterstadt. Gerade die vordere Neustadt, also die hohen Gebäude wie das orange Haus, das rote Haus und das Hochhaus mit dem BMW-Logo – für viele Autofahrer auf der A9 das Tor zu München –, ist verwaist. Statt 2500 Studentinnen und Studenten leben während der sich hinschleppenden Renovierung nur 1200 hier, die meisten davon in der beschaulicheren Altstadt hinten am Englischen Garten. Immerhin, das vorderste Haus, das blaue, ist inzwischen wieder bezogen, „ein Lichtblick“, findet Fabian Eckl vom Verein Kulturleben in der Studentenstadt.
Ihm und den anderen Hunderten aktuellen und ehemaligen Bewohnern ist es zu verdanken, dass jetzt wieder richtig Leben auf die Freiflächen zwischen den Studentenbuden kommt. Zumindest vier Tage lang, da breitet sich in Freimann das Stustaculum aus, das größte von Studenten organisierte Festival Deutschlands. Zur 34. Ausgabe werden wieder Zehntausende Besucher aller Altersgruppen zusammenkommen, feiern, essen, trinken, spielen, sporteln und vor allem Kultur mit 100 Veranstaltungen auf vier Bühnen genießen.
Der Grundgedanke des „Studentenstadt-Spectaculums“ ist „der freiwillige Einsatz von vielen Hundert studentischen Helferinnen und Helfern“. Die stemmen ein unkommerzielles Festival (der Eintritt kostet nur zwölf Euro für alle vier Tage) als „einen Beitrag für ein freundliches, offenes und lebenswertes München“, das sich alle leisten können, schreibt der Verein. Die Studenten wiederum sollen sich in verschiedenen Aufgaben der professionellen Festival-Organisation ertüchtigen können.

Fantasiebegabt jedenfalls sind sie, die Studenten: Statt einer Geisterstadt sehen sie ein „Wunderland“ in dem Areal. Eines wie das, in das sich Alice in den Romanen von Lewis Carroll durch Loch des weißen Kaninchens verirrt. Das Nagetier ist das Maskottchen des diesjährigen „Festivalerlebnisses der besonderen Art“, bei dem die Gäste „den Alltag an der Oberfläche lassen“ sollen. In diesem „grünen Wunderland im Münchner Norden“, einem weitläufigen und doch verwinkelten Areal, tummeln sich viele freundliche wie seltsame Wesen – also wie in der Geschichte.

Es fällt schon auf, dass unter den Künstlern viele komische Kauze sind: Humor ist gerade bei den Musikern Trumpf. Seien es Fromage vom Arsch, die sich selbst dem „Laktose-Punk“ zuordnen und zu Musik auf Flöten und Fahrradklingen chaotische Geschichten und auch Käsewürfel servieren (Mittwoch, 29. Mai 22.15 Uhr). Oder seien es Die Jungen Europäer*innen, die keinen Europa-Wahlkampf betreiben, sondern Neue Deutsche Welle und Art-Pop spielen, bei ihren Shows könne „zwischen einem toten Paul McCartney, Rave in Müllsäcken und einem nackten Unplugged-Lied alles passieren“ (Samstag, 1. Juni, 23.59 Uhr). Immer witzig auch die Golden Boys des Indierock, Brew Berrymore („begleitet von Showtanz-Legende Pavo Royal“), deren Motto wie maßgeschneidert ist für das Wunderland-Stustaculum: „Komm, wie du bist, tanz, wie du tanzt, sing, wie du singst, sei, wer du sein willst!“ (Freitag, 31. Mai, 22 Uhr).

Kuriose Erscheinungen sind zu entdecken, wie der Kanare Eder Jiménez O’Shanahan, der zu seinen Loop-Songs Querflöte spielt und auch das Flöten-Beatboxing erfunden hat (Mittwoch, 29. Mai, 18.30 Uhr). Die Live-Electronic-Gruppe Aera Tiret nimmt die Gäste im Open-Air-Atrium in einen psychedelischen Klang-und-Licht-Raum mit (Donnerstag, 30. Mai, 19.10 Uhr). Ansonsten gibt es jede Art von Unterhaltungsmusik, vom Swing und Funk der TUM Jazzband (30. Mai, 16.15 Uhr), über deutsche Schlager der Zwanziger von Dr. Reinhard’s Ohrenschmaus (Donnerstag, 30. Mai, 17.30 Uhr) bis zum Hip-Hop von Dario & Niko, dem „Deutschrap-Power Couple“, die zwei rappten schon als Vorgruppe von Paula Hartmann einen „intimen Einblick in ihre Liebesbeziehung“ (31. Mai, 19.15 Uhr).

Es gibt wieder ein Kinderprogramm, Cheerleading, ein Schafkopf-Turnier, Bubble-Fußball und eine Sport-Olympiade. Allerdings fällt auf, dass aus dem einst als Theaterfestival mit zwölf Kompanien gegründeten Stustaculum die Schauspielkleinkunst ziemlich verschwunden ist, bis auf die Improtheatergruppe Lichterloh (30. Mai, 19 Uhr). Das wird sich nächstes Jahr wieder ändern, hofft Fabian Eckl. Denn wenn die Hans-Scholl-Halle erst fertig saniert ist, steht wieder ein ausreichend geräumiger Saal für den legendären Kleinkunst-Wettbewerb um die „Goldene Weißwurst“ zur Verfügung.