Süddeutsche Zeitung

Studieren mit Kind:"Das Beste, was mir passieren konnte"

Drei Prozent der Münchner Studierenden haben ein oder mehrere Kinder. Bundesweit liegt die Quote bei sechs Prozent. Dennoch stellen die Beraterinnen der Universitäten in der Stadt fest, dass mehr Frauen und Männer eine Familiengründung während des Studiums planen.

Von Sabine Buchwald

Etwas zögerlich öffnet eine junge Mutter die Gartentür der Kita "Herzerl". Sie trägt ihr Kind in einer Stofftrage vor dem Bauch. "Bin ich hier richtig?", fragt ihr Blick. Sozialpädagogin Sonja Simnacher begrüßt sie sofort und lädt sie ein, sich auf eine der Matten zu setzen. Ein paar Babys krabbeln darauf herum und spielen mit Bällen. Ihre Mütter sitzen im Halbkreis am Rand. Ja, sagt Simnacher, das sei das "Familiencafé".

So nennt sich die Infoveranstaltung, die regelmäßig zu Semesterbeginn für Studierende mit Kind stattfindet. Simnacher arbeitet in der Beratungsstelle des Studentenwerks speziell für studierende Eltern, außerdem sind Vertreterinnen der entsprechenden Einrichtungen der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), der Technischen Universität (TU) München und der Hochschule München (HM) an diesem Nachmittag in die Kita des Studentenwerks gekommen. Sie liegt hinter der FH, unweit des Herzzentrums. Deshalb der Name "Herzerl" für die Kita, in der 76 Kinder einen Platz haben.

Chiara von Woyna heißt die junge Frau, die etwas später dazugestoßen ist. Sie ist 23 Jahre alt und wollte mal sehen, wie andere Mütter ein Studium schaffen, "vor allem finanziell". Noch weiß sie nicht so recht, was sie überhaupt studieren möchte. Eigentlich hatte sie geplant, Tänzerin zu werden. Jetzt denkt sie über Anthropologie oder Deutsch als Fremdsprache nach. Der Vater von Tochter Ceiba stammt aus Mexiko. "Ein starker Mann an unserer Seite", sagt Chiara von Woyna und streichelt ihr über das Köpfchen. Sie sehe ihre Situation so wie Rubiks-Zauberwürfel: Es gebe eine Lösung, man müsse nur die richtige Kombination finden. 43 Trillionen mögliche Konstellationen lässt der bunte Würfel zu. Ganz so offen ist der Lösungsansatz für Studierende mit Kind dann wohl nicht.

Im Augenblick haben drei Prozent der Münchner Studierenden ein oder mehrere Kinder. Diese Zahl entspricht dem bayerischen Durchschnitt. Deutschlandweit aber ist sie doppelt so hoch, liegt also bei insgesamt sechs Prozent. Interessanterweise studieren in den alten Bundesländern fünf Prozent der Studenten und in den neuen acht Prozent mit Kind. Ein Grund für die niedrige Quote in München und Bayern sei wohl das vergleichsweise geringe Alter der Studierenden hier. 24 Jahre seien sie durchschnittlich alt, so die aktuelle Sozialerhebung des Studentenwerks, bayernweit liegt der Schnitt mit 23,7 Prozent sogar darunter. Tendenziell können alle Beraterinnen der großen Münchner Universitäten feststellen: Es gibt weniger Studienabbrecher auf Grund eines Kindes und immer mehr Studierende, die die Gründung einer Familie während des Studiums planen.

Vor allem Medizin- oder Jurastudentinnen überlegen, sich während ihrer langen Ausbildung Zeit fürs Kinderkriegen zu nehmen. Während den Klinikzeiten sei es dann eher schwierig, sagt Hildegard Adam von der LMU, aber in den Semestern davor gut möglich. Auch in anderen Sparten empfänden es manche jungen Frauen für den Einstieg in den Beruf als vorteilhaft, wenn das Kinderthema schon "abgehakt" sei. Adam hat Mitte der Achtzigerjahre die Beratungsstelle für werdende Mütter an der LMU aufgebaut. Seitdem habe sich vor allem mit der Änderung des Bayerischen Hochschulgesetzes 1998 vieles zum Besseren gewendet. Inzwischen sieht sie auch mehr Männer, die ihre Partnerinnen begleiten oder sogar alleine kommen. "Das Engagement der Väter ist sehr viel größer geworden", sagt sie. Immer wieder berät sie auch Frauen, die nach einer langen Kinderpause mit einem Studium in den Berufsalltag finden wollen. Das allerdings sei nicht immer so einfach, bestätigen die Kolleginnen der TU und FH, weil sie nicht mehr ans Lernen gewöhnt seien.

Seit fünf Jahren schon arbeiten die Beraterinnen hochschulübergreifend. Sie tauschen sich aus, helfen sich und den Studierenden dadurch, individuelle Lösungen zu finden. Nicht jede Hochschule bietet dieselben Bedingungen. Die HM etwa gewährt den Studentinnen in Notsituationen Betreuungsstunden durch den PME-Familienservice. Drei ganze oder sechs halbe Tage pro Semester dürfen die Kinder dort spontan hingebracht werden. Besonders in Prüfungszeiten sei dies eine große Erleichterung, sagt Judith Bub. Wer bei ihr Hilfe sucht, bekommt innerhalb weniger Tage einen Termin. Darauf ist sie stolz. "Viele Studierende, wollen erst mal aufgefangen werden", sagt sie. Sie hören dann, dass es auch mit Kind weitergehen kann.

Corona, Studentin der Informatik an der Hochschule, die ihren Nachnamen nicht genannt haben möchte, hätte sich ohne Aussicht auf Hilfe womöglich nicht für ihre Tochter entschieden. Jetzt sagt sie, die Kleine sei "das Beste, was mir passieren konnte". Alleinerziehend, aber mit Unterstützung ihrer Mutter und einem Platz in der Studentenwerks-Kita kann sie ihr Studium fortsetzen. 19 Einrichtungen für gut 475 Kinder unterhält das Studentenwerk in München, Martinsried, Garching und Freising. Weitere Kitas seien nicht geplant, dafür wird derzeit ein Familienhaus mit 30 Appartements in Giesing für Studierende mit Kind gebaut. Es soll im April 2020 fertig werden. In einem der Gemeinschaftsräume könnte es dann wohl auch öfter ein Familiencafé geben, sagt Simnacher.

Sie versuche stets, den jungen Müttern Mut zu machen und Wege aufzuzeigen. In Bayern darf man sich als studierender Elternteil bis zu sechs Semester beurlaubenlassen. "Das nimmt den Druck raus", sagt sie. In dieser Zeit kann man Scheine machen und Prüfungen ablegen. Manche Mütter schaffen so das Pensum von einem Semester in zweien. Allerdings kann sich das nur leisten, wer vom Partner oder den Eltern finanziell getragen wird. Finanzielle Hilfen wie Bafög oder Sozialgeld gibt es nämlich nicht in dieser Zeit. Wer Hartz IV bezieht, darf nicht geprüft werden, kommt also im Studium nicht weiter. Das sei eine ungute Regelung, darüber sind sich alle Beraterinnen einig. Auch dass es für das teure München nicht mehr Geld gebe, empfinden sie als ungerecht.

Mit Hilfe einer "super unterstützenden Schwiegermutter" arbeitet Corinna, 25, an ihrem Master in Informatik. Über Online-Vorlesungen hat sie sich auf dem Laufenden gehalten. Ihr Kind schlafe gut, sagt die TU-Studentin, wenn sie sich abends ins Bett daneben lege. Dann arbeite sie einfach auf dem Tablet im Halbdunkeln weiter. Abends ausgehen? "Gar nicht", antwortet sie. Das Leben verändere sich ziemlich mit Kind. "Aber ich finde es sehr schön."

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Quelle:
SZ vom 05.04.2019
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