Studium in München:Studieren auf der Großbaustelle

Garching ist der größte der drei Standorte der TU München, aber von einem studentischen Lebensgefühl ist noch wenig zu spüren.

Martin Thurau

Martin Haberzettl ist schwer im Stress, das Handy klingelt fortwährend, und auch sonst hat er kaum eine ruhige Minute. Am Wochenende werden endlich die U-Bahnstationen eröffnet, dann herrscht in Garching großer Auftrieb. Und erstmals öffnet an diesem Tag auch die ,,Campus-Cneipe'', an der Haberzettl maßgeblich beteiligt ist.

Monatelang haben die Studenten mitgeholfen, die Räume nahe der Mensa dafür auszubauen, haben Sitzbänke geschreinert und sich nicht zuletzt um Werbung und Sponsoren gekümmert.

Der Campus muss lebendiger werden

Ein Treffpunkt für alle soll die Kneipe werden, nicht nur für Studenten, sondern auch für Professoren und Mitarbeiter. Den Campus zu beleben, findet Haberzettl bitter nötig. Bislang, so das Resümee des angehenden Maschinenbauers, gebe es nicht mal ,,Bürgersteige, die sich hochklappen lassen''.

Längst ist Garching der größte der drei Standorte der Technischen Universität (TU) München. Fakultät um Fakultät hat die Hochschule über die Jahre aus der Innenstadt zum Forschungszentrum abseits der Kleinstadt im Münchner Norden verlagert. Schon heute studieren und arbeiten hier 12000 Menschen. Weitere TU-Institute sollen folgen.

Dazu kommen Einrichtungen wie Max-Planck-Institute, die Europäische Südsternwarte (Eso) und das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ). Am Forschungsstandort München, so zeigt das Beispiel Garching, konzentrieren sich kritische Massen, wie Wissenschaftspolitiker gerne sagen, längst auch an der Peripherie.

Wie aber sieht der Studien- und Arbeitsalltag auf dem Campus aus, fünfzehn Kilometer vom Münchner Zentrum? Welches Lebensgefühl herrscht hier, angesichts der Ballung von Hörsälen, Rechnerräumen und Labors, kurz: von schierer Funktionalität? Und wie schafft es die Hochschule, ihren Campus mit der TU-Zentrale an der Arcisstraße und dem Standort in Weihenstephan, Stadt und Umland also, zu verknüpfen?

Baustelle Universität

Als Haberzettl mit dem Studium anfing, war der Neubau der Maschinenbau-Fakultät erst kurz zuvor eingeweiht worden. Den Campus indes kennt er nur als ,,große Dauerbaustelle''. Und Haberzettl hat die Planungen sicher intensiver verfolgt als andere Studenten, schließlich hat ihn die studentische Vertretung alias Asta zu ihrem Beauftragten für den Campus Garching bestellt.

Dazugekommen sind in seiner Studienzeit die Institute für Medizintechnik inklusive Gründerzentrum, für Mathematik und Informatik sowie das LRZ - der Campus als Work in Progress.

Arndt Bode, Professor für Informatik und Vizepräsident der TU, erinnert sich noch gut, wie sehr er den Umzug in das modern ausgestattete weitläufige Gebäude als Befreiungsschlag empfunden hat. Sein Lehrstuhl war auf fünf Standorte in der Stadt verteilt, ,,manche Mitarbeiter habe ich tagelang nicht gesehen''.

Doch so überdurchschnittlich gut die Arbeits- und Lernbedingungen in den neuen Gebäuden und so imposant und viel gelobt die Architektur etwa des LRZ auch sind, der Campus führt den so gern gebrauchten Begriff wieder nah an seine ursprüngliche Wortbedeutung zurück - an die vom freien Feld. Die Parkplätze sind seit Jahren nur halb fertig, die vorherrschenden Gestaltungselemente Bauzäune und nackte Erdhügel.

Die Versorgung der 12000 funktioniert weit gehend als Subsistenzwirtschaft. Im Maschinenbau-Gebäude gibt es einen kleinen Laden mit ein paar Kühlregalen, mit Automaten-Kaffee und Müller-Croissants, in der Informatik werden mittags Tellergerichte verkauft an die, die nicht Mensa und Cafeteria vorziehen.

Vernünftige Infrastruktur fehlt

Das Forschungsgelände gebe einen hervorragenden ,,akademischen Nährboden'' ab, doch eine vernünftige Infrastruktur fehle noch, räumt auch Bode ein. Von seinem Büro aus kann er immerhin sehen, wie die lang ersehnte U-Bahnstation Form annimmt.

Die blauen Schilder mit dem weißen U stehen schon seit Wochen, die begrünten Dächer über den Abgängen zu den Bahnsteigen sehen aus wie Rampen in einem überdimensionierten Minigolf-Parcours. Von zentraler Mitte sprechen die TU-Planer programmatisch, eine Art Park soll hier entstehen, ein Treffpunkt.

Studieren auf der Großbaustelle

Andreas Schmidt, wie Haberzettl Maschinenbaustudent, vermisst ein ,,studentisches Lebensgefühl''. Nach der letzten Vorlesung flüchten alle vom Campus, in München dagegen sei es vor der Universität auch nachts lebendig. Schmidt wohnt in Garching, in einem der Studentenwohnheime, doch wenn er abends weggehen will, fährt er nach München, ,,keine richtigen Kneipen hier'', sagt er.

Nun kann er dort immerhin in 20 Minuten sein, bisher fuhr die U-Bahn nur bis ins Gewerbegebiet Hochbrück, zum TU-Gelände drehte ein Bus, der die schöne Bezeichnung ,,Verstärker'' trug, Schleifen durch Garching - vorbei am Ortsschild der ,,Universitätsstadt'', vorbei an der Ortsmitte mit dem großen Maibaum.

Nur Männer und Ingenieure

Viele suchen sich ohnehin eine Wohnung im Münchner Norden, wie Haberzettl, der in einem Studentenwohnheim in Kieferngarten lebt. Trotzdem fühlt er sich in der Innenstadt, als komme er gerade vom anderen Stern: ,,Hier draußen auf dem Campus sind ja 80 Prozent Männer und 80 Prozent Ingenieure''.

Doch wenn man Haberzettl fragt, ob er sich als Student der TU München oder einer ,,TU Garching'' sieht, entscheidet er sich für letzteres und sagt, dass die meisten seiner Bekannten es ähnlich sähen. Womöglich zeigt diese Verbundenheit etwas von der Großherzigkeit, mit der man etwas gerade seiner Unzulänglichkeiten wegen ins Herz schließt.

Die Infrastruktur verbessern und das ,,Gesellschaftsleben'' auf dem Campus fördern, das sieht auch die Hochschulspitze als Aufgabe, sagt Informatiker Bode. Nahe der zentralen Mitte sollen Wohnungen für Gastwissenschaftler und weitere Wohnheime für Studenten entstehen. Daneben seien ein Audimax geplant, das sich auch als Kongresszentrum nutzen lässt, sowie Gebäude, in die unter anderem Lokale, Geschäfte und Sporteinrichtungen einziehen können. Auch in einem von der TU geplanten ,,Institute for Advanced Studies'' (IAS), einer Art Denkklause für renommierte Forscher, soll es eine ,,Bewirtungsmöglichkeit'' und einen Professoren-Club geben.

Akademischer Spagat

Wie es um das Zugehörigkeitsgefühl bestellt ist, beurteilt Bode anders als Haberzettl; die meisten fühlten sich als Studenten der TU München, ,,das fragen wir die Anfänger regelmäßig''. Und in Wissenschaftlerkreisen sei ohnehin die TU München das international bekannte ,,Label''.

Eine Universität über drei Standorte hinweg zu organisieren, nennt der TU-Vize einen ,,Spagat''. Immerhin sei es in den letzten Jahren gelungen, die Fächer nach Standorten zu ,,sortieren'': Die Lebenswissenschaften ballen sich in Weihenstephan, die Naturwissenschaften sowie die Massenfächer Maschinenwesen und Informatik in Garching, die Elektro- und Informationstechniker sollen noch folgen. In München verbleiben Architekten, Mediziner, Sportwissenschaftler und Bauingenieure.

International und interdisziplinär

Doch Bode räumt ein, dass die örtliche Trennung die so gerne eingeforderte Dialogfähigkeit der unterschiedlichen ,,Fächerkulturen'', die eine moderne Universität brauche, nicht eben befördert. So komme dem geplanten Institute for Advanced Studies eine Schlüsselrolle dabei zu, die Verbindung zwischen den Fächern zu verstärken.

Wissenschaftler aller Fakultäten sollen dort mit viel Freiraum interdisziplinär forschen können. Das IAS ist im Übrigen auch Bestandteil des Konzeptes, mit dem sich die TU als Elite-Universität beworben hat. Doch unabhängig, wie der so genannte Exzellenz-Wettbewerb ausgeht, der heute entschieden wird: Das IAS soll laut Bode spätestens 2009 stehen.

Neben der Nähe zum Flughafen, die gerade für international interagierende Fakultäten wichtig sei, sieht der Informatiker in Garching vor allem den Vorteil, dass die Hochschule expandieren könne und Platz sei für neue Formen von Kontakt und Kooperation, die gerade für eine ,,unternehmerische Universität'' wie die TU von Bedeutung seien; hier ließen sich Wissenschaft und Wirtschaft verbinden.

So gebe es auf dem TU-Campus bereits zwei Gründerzentren und in unmittelbarer Nähe auch ein Forschungszentrum des US-Konzerns General Electric (GE). Die Herren von GE indes wissen offenbar auch andere Standortfaktoren zu schätzen. Das Unternehmen, berichtet Haberzettl, zeige schon starkes Interesse an den studentischen Planungen - für Kneipe und Biergarten.

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