Süddeutsche Zeitung

Studium:Farbe für die Bilder im Kopf

Klischees können helfen, die Wirklichkeit zu ordnen - aber sie werden ihr fast nie gerecht

Von Isabella Falkner und Lisa Schmierer

Sie sind in den Köpfen, ohne dass man bewusst über sie nachdenkt: Klischees. Jemandem wird eine junge Frau als Medizinstudentin vorgestellt. Er ordnet sie automatisch ein: diszipliniert, ehrgeizig und eingebildet. Doch was ist dran an solchen Bildern? Welchen Bezug haben Klischees über Studierende zur Realität?

Belegt ist der Zusammenhang zwischen der Motivation der Studierenden und ihrer jeweiligen Fachwahl. Laut Michael Huber, emeritierter Professor für Hochschulforschung der Uni Bielefeld, könne man grundsätzlich zwischen zwei Typen von Studierenden unterscheiden: Denen, die möglichst schnell in einen Beruf mit gutem Einkommen einsteigen wollen, und anderen, die nach Interessen entscheiden und teilweise noch keine klaren beruflichen Vorstellungen haben. "Die ersteren finden sich statistisch signifikant mehrheitlich in der Rechtswissenschaft und den Wirtschaftswissenschaften und die letzteren in den Kultur- und Geisteswissenschaften, den Künsten und zum Teil auch in den theoretischen Naturwissenschaften oder der Soziologie", erläutert Huber.

Sobald sich Studierende für ein Fach entschieden haben, bewegen sie sich in einem Umfeld, in dem sich andere mit einer ähnlichen Orientierung befinden. "Es findet also eine wechselseitige Bestärkung in den Anschauungen, Motiven und Überzeugungen statt", sagt Huber. Auch die Herkunft spielt eine große Rolle: "Ein wichtiger Aspekt ist die Annahme, dass Kinder das Bildungs- und Einkommensniveau ihrer Eltern mindestens reproduzieren, wenn nicht sogar übertreffen möchten", sagt Maike Reimer, wissenschaftliche Referentin am Bayerischen Institut für Hochschulforschung. Selbst bei gleichem Leistungsniveau entschieden sich Kinder von Akademikern demnach häufiger für ein Studium als Kinder von Nichtakademikern.

Aber warum denken Menschen in Klischees? Huber verweist darauf, dass Klischees helfen, "die komplexe Wirklichkeit besser ordnen zu können". Darüber hinaus befriedigen Klischees das menschliche Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit: Indem sich Menschen von anderen Gruppen abgrenzen, stärken sie ihre Verbundenheit mit der eigenen.

Diszipliniert, ehrgeizig und eingebildet - solche Verallgemeinerungen werden der Realität fast nie gerecht. Wer in Klischees denkt, nimmt den Unterschied zwischen eigenen Vorstellungen und Realität oft nicht wahr. Was hilft, um solche vorgefertigten Denkraster aufzubrechen? Elke Michaelis von der Initiative "Aktiv gegen Vorurteile" nutzt in ihren Workshops die Methode der Gegenüberstellung. Dafür konfrontiert sie Jugendliche mit ihren eigenen Vorurteilen. Michaelis lädt dazu Menschen in Workshops und Seminare ein, die in ihrem Alltag regelmäßig mit Vorurteilen konfrontiert sind. Die Gäste sprechen dann über diese Vorurteile und erzählen aus ihrem Alltag. Michaelis ermöglicht den Jugendlichen so, ihre Denkraster zu überprüfen und erreicht im Idealfall, dass das Bild im Kopf bunter wird. Die Gegenüberstellung sei die beste Art zu erkennen, was an den Vorurteilen stimme und was nicht: "Es muss ja nicht immer eine komplette Widerlegung sein."

Diese Seite entstand in Kooperation mit der Journalistenschule ifp. Alle Autoren sind Stipendiaten des Jahrgangs 2019.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2019
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