Studieren mit Kind:Physikum und Babybrei

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Fachbuch und Schnuller: Medizinstudentin Isabelle von Hauff mit ihrer kleinen Tochter Eluna. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Rund 2000 Studenten an der LMU sind Vater oder Mutter. Bei Dozenten stoßen sie nicht immer auf Verständnis. Dabei sei eine Ausbildung an der Uni kein schlechter Zeitpunkt für Nachwuchs, findet eine Studienberaterin.

Von Sebastian Krass

Ihre ersten zwei Semester hat Isabelle von Hauff in eher schlechter Erinnerung. Mit einem Studienplatz für ihr Traumfach Humanmedizin hatte es nicht geklappt, aber sie konnte immerhin mit Zahnmedizin anfangen. Das war auch nicht das Problem. Das Problem für sie war die Atmosphäre, auf die sie damals vor drei Jahren in der Uni traf. Sie erinnert sich an ein "sehr unschönes" Gespräch mit dem Studiendekan. "Er gilt als sehr konservativ. Er wollte nur Vollzeitstudenten, alles andere war nicht geduldet", erzählt Hauff. Sie aber konnte nicht Vollzeit studieren, denn sie hatte ein Jahr zuvor ihre Tochter Lilia auf die Welt gebracht. Es war ein zäher Kampf gegen viele Widerstände.

Hildegard Adam kennt die Geschichte von Isabelle von Hauff und dem Studiendekan der Zahnmedizin, der sich zu dem Thema auf Anfrage nicht äußerte. Und sie kennt viele weitere Geschichten. Adam leitet seit 1997 die Beratungsstelle "Studieren mit Kind" an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Auch Hauff hat dort Rat gesucht. Ursprünglich arbeitete Adam in der klassischen Studienberatung. "Wir bekamen aber häufig die Rückmeldung von Studenten mit Kind, dass sie sich diskriminiert fühlten", sagt Adam. "Damals gab es in der Verwaltung und bei Dozenten teils noch wenig Bewusstsein für das Thema."

Adam erinnert sich auch noch gut an einen ersten Erfolg, nachdem sie damit betraut worden war, die LMU besser auf die Bedürfnisse studierender Eltern einzustellen: "Ende der Neunzigerjahre bekamen wir endlich einen Eltern-Kind-Raum im LMU-Hauptgebäude." Es gibt ihn bis heute, im hinteren Teil Richtung Amalienstraße. Zugänglich ist er mit einem Code, drinnen gibt es Spielzeug, einen Wickeltisch, aber auch Platz, am Laptop zu arbeiten - wenn zum Beispiel einmal eine Lücke im Stundenplan zu überbrücken ist.

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2000 LMU-Studenten haben Kinder

Die Zielgruppe, die Adam mit ihrer Arbeit anspricht, ist ziemlich groß: Gut 50 000 Studenten hat die LMU, etwa 2000 davon haben bereits eines oder mehrere Kinder. Und von den übrigen 48 000 überlegen einige, ob es vielleicht der richtige Zeitpunkt wäre, eine Familie zu gründen. Hildegard Adam findet grundsätzlich: Ja. "Und wir versuchen, das ins Bewusstsein der Uni hineinzubringen."

Isabelle von Hauff, 24, hat sich mit vielen Ärzten unterhalten, die im Beruf stehen, und sie ist überzeugt: Wenn die Rahmenbedingungen einigermaßen passen, ist es im Studium einfacher, Kinder zu bekommen. Zu dieser Einschätzung kommt sie auch, weil das Problem mit der Zahnmedizin inzwischen hinter ihr liegt. Nach zwei Semestern bekam sie den ersehnten Studienplatz für Humanmedizin. "Auch da musste man sich durchschlängeln, man musste zum Beispiel schauen, dass man in die Vormittagskurse reinkommt", sagt Hauff, aber das Klima sei deutlich familienfreundlicher gewesen.

Das ändert nichts daran, dass studierende Eltern dieselben Anforderungen erfüllen müssen wie ihre Kommilitonen ohne Kind. Besonders hart sei die Zeit vor dem Physikum gewesen, erzählt Hauff. Da gab es ein paar Monate, in denen sie längst nicht so viel Aufmerksamkeit für ihre Tochter hatte, wie sie es sich wünschte. "Da hat man sich auch Vorwürfe gemacht." Ihr Freund Tom Thomametz, 24, steckte in dieser Zeit mit seinem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität (TU) etwas zurück.

Für den klinischen Teil ihres Studiums ist Hauff von der LMU zur Medizin-Fakultät der TU gewechselt. Dort habe sie mehr Freiheit, sprich: weniger Anwesenheitspflicht in den Vorlesungen. "Im vergangenen Semester zum Beispiel habe ich vier Klausuren geschrieben, musste davor aber kaum anwesend sein." Hauff lernte viel zu Hause. Das, so erzählt sie, ließ sich ganz gut verbinden mit einer weiteren Veränderung: Vor einem halben Jahr kam ihr zweites Kind, Eluna, zur Welt. In diesem Semester läuft es etwas anders, "ich habe viele praktische Kurse, da muss man natürlich hin". Dafür hat der Vater weniger Pflichtveranstaltungen in der Uni und mehr Zeit für die Betreuung der Kinder.

Wer studiert und Kinder hat, braucht gute Nerven und Organisationstalent. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wer Studium und Kind unter einen Hut bekommen will, braucht ein gutes Stück mehr Organisationstalent und Disziplin als normale Studenten. Und natürlich eine Hochschule, die keine Steine in den Weg legt. Die Geschichte von Isabelle von Hauff zeigt, was dabei unter Umständen schieflaufen kann, allerdings ist sie keineswegs repräsentativ für die LMU. Die Mehrheit der Dozenten zeigt Verständnis für studierende Eltern. Auch Hildegard Adam hat über die Jahre große Fortschritte an vielen Stellen beobachtet. So sind zum Beispiel für den Neubau des Philologicums, einer Bibliothek für die Sprachwissenschaften an der Ludwigstraße 25, schon Eltern-Kind-Arbeitsplätze eingeplant.

Von anderen Hochschulen lernen

Die Frage, wie Hochschulen sich besser auf Familien einstellen können, wird auch deutschlandweit diskutiert. Seit 2008 gibt es einen Hochschulverbund mit einem sogenannten Best-Practice-Club, der zwölf Mitglieder hat. Im Mai soll der nächste Schritt folgen: die Unterzeichnung einer Charta "Familie in der Hochschule". Zu diesem Club gehört auch die Hochschule München (HM). Die zuständige Vizepräsidentin Gabriele Vierzigmann will so die Situation für die etwa 800 Studenten mit Kind an der HM, aber auch für die Beschäftigten mit Familie verbessern. "Durch den Austausch mit den anderen Hochschulen hat sich der Blick für das Thema noch einmal geschärft", sagt Vierzigmann. So habe man inzwischen eine "Notfallkinderbetreuung" aufgebaut, wenn Studenten zum Beispiel die Zeit für eine Prüfung überbrücken müssen. "Und an meiner Heimatfakultät für angewandte Sozialwissenschaften nehmen Professoren als Mentoren Studierende mit Kind unter ihre Fittiche."

Ein Thema, das bei der Beratung von Studenten mit Kind immer wieder auftaucht, ist die Frage nach dem richtigen Moment für die Rückkehr an die Uni. Hildegard Adam von der LMU hat schon oft beobachtet, dass Mütter nach einer Babypause das Gefühl haben, der Uni nicht mehr gewachsen zu sein. Deshalb weist sie immer wieder darauf hin, dass es inzwischen eine recht großzügige Beurlaubungsregel gibt: Studenten können bis zu sechs Semester offiziell pausieren und in der Zeit dennoch Kurse besuchen und Prüfungen ablegen, ihre Semesterzahl läuft dabei nicht weiter. "Ich empfehle, ein halbes oder höchstens ein Jahr Pause zu machen und dann zumindest mit einer Vorlesung und einem Seminar wieder anzufangen", sagt Adam.

Isabelle von Hauff hat ihren Weg gefunden. Vier Jahre, schätzt sie, wird sie für das Studium noch brauchen, "es ist eine Zeit, die ich genieße", sagt sie. Und diese Zeit wollen sie und ihr Freund nicht nur in München verbringen. Im August gehen sie für einen Erasmus-Aufenthalt nach Uppsala in Schweden. Gerade waren sie dort schon einmal mit Kind und Kegel unterwegs. Für die Wohnungssuche - und um sich über die Kinderbetreuung zu informieren.

© SZ vom 23.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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