Studien:Beim Wählen endet die Begeisterung

"March for a new Europe" in München, 2018

Zu Demonstrationen für Europa wie hier auf der Ludwigsstraße kommen zahlreiche junge Menschen.

(Foto: Catherina Hess)

Europawahl: Immer mehr Jugendliche fühlen sich europäisch, die nationale Identität rückt in den Hintergrund. Wählen gehen sie trotzdem nicht.

Von Moritz Baumann

Rund 400 Millionen Europäer sind aufgerufen, Ende Mai ihre Stimme abzugeben, darunter etwa 900 000 Münchner. Doch vor allem die jungen Menschen werden den Urnen wohl wieder fern bleiben, zumindest wenn sich der Trend aus den vergangenen Europawahlen bestätigt. Das wirkt zunächst wie ein Widerspruch: Denn eigentlich sind gerade die jüngeren Leute begeisterte Europäer. Das beweisen die Daten aus dem Eurobarometer, eine Meinungsumfrage, die das Europäische Parlament regelmäßig veröffentlicht. Demnach stehen 80 Prozent der 15- bis 24-Jährigen in Deutschland zur EU-Mitgliedschaft, 66 Prozent haben ein positives Bild von der Europäischen Union. Immer mehr Jugendliche fühlen sich europäisch, die nationale Identität rückt in den Hintergrund.

Doch die Begeisterung endet dort, wo man selbst aktiv werden muss. Weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten unter 30 Jahren ist 2014 wählen gegangen. "Es fehlen die Zugänge", sagt Barbara Tham. Sie leitet die Forschungsgruppe Jugend und Europa an der Ludwig-Maximilians-Universität. Nur wenige Jugendliche könnten sich mit der Europapolitik identifizieren. Es mangle an jungen Politikformaten und Beteiligungsmöglichkeiten abseits der schwerfälligen Parteiapparate. "Jugendliche brauchen vor allem den Dialog untereinander", sagt Tham. Die Politik mache den großen Fehler, sich nicht kontinuierlich jungen Leuten zu öffnen, ergänzt ihre Kollegin Eva Feldmann-Wojtachnia. Allein auf das Bauchgefühl "Europa" könne man sich nicht verlassen.

Auch in den Schulen sei Europa noch immer ein Randthema, kritisieren Expertinnen. "Wenn so wenig Politikunterricht stattfindet, braucht man sich nicht wundern", sagt Tham. Dabei ist gerade diese Generation kosmopolitisch aufgewachsen. Vieles ist für sie selbstverständlich - in ganz Europa mit dem Euro bezahlen, frei reisen und im Ausland studieren. Doch kaum jemand verstehe die politischen Zusammenhänge in Europa. Man müsse Schülern vermitteln, dass nicht alles von oben diktiert werde, sagt Feldmann-Wojtachnia.

Es ist nicht das Projekt Europa, sondern das politische System, dem viele junge Menschen mit Skepsis begegnen. "Sie sind nicht überzeugt, dass ihre Stimme etwas bewirkt", erklärt Andreas Kalina, Europareferent an der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Der Wunsch nach einem demokratischeren Europa sei groß. Vor allem Bildung, der Kampf gegen den Klimawandel und Fragen von Migration und Integration sehen die Jungen als europäische Aufgaben an. Dabei ergibt sich ein differenziertes Bild. "Man pusht nicht mehr die Utopie, sondern denkt realitätsnäher", sagt Kalina.

In Brüssel hat man längst auf diese Erkenntnisse reagiert und eine umfassende Jugendstrategie erarbeitet, deren Programme allen offenstehen. Doch von vielen Angeboten wie Erasmus und Interrail profitieren vor allem privilegierte, meist akademische Schichten. Ein Milieu, das überwiegend weltoffen denkt. "Lange waren es diese Eliten, die Europa wirtschaftlich und politisch geprägt haben", sagt Tham. Jetzt müsse es darum gehen, Europa auch den Jugendlichen näher zu bringen, die ihr vertrautes Umfeld nie verlassen haben.

Der Text entstand in Kooperation mit der Journalistenschule ifp.

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