Studie:1106 Euro - wer in München weniger hat, ist arm

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Hauptgrund für die drohende Armut sind die hohen Mieten. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Laut einer Studie ist fast jeder fünfte Münchner von Armut bedroht.
  • Das Institut für Wirtschaft hat für viele deutsche Städte eine Armutsgrenze errechnet.
  • Erstmals geschah das anhand der Kaufkraft und nicht nur anhand des Durchschnittseinkommens.

Von Sven Loerzer, München

Als Stadt des Wohlstands gilt München, weil viele Menschen hier sehr gut verdienen. Wer aber wenig verdient, hat es in der Stadt weit schwerer als anderswo, davon zu leben. Denn das Preisniveau liegt in der Landeshauptstadt erheblich höher als im Rest der Republik. Das belegt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft: Demnach gilt in München ein Alleinstehender schon als arm, wenn er weniger als 1106 Euro im Monat zur Verfügung hat.

Zum Vergleich: In Tirschenreuth wird es für einen Single erst bei einem Einkommen unter 818 Euro eng. Nach der Rechnung der Kölner Forscher sind damit 18 Prozent der Münchner Bevölkerung armutsgefährdet. Besonders betroffen: Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Senioren.

Gegenüber den bisher bekannten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist das eine dramatische Zunahme, die aber vor allem darauf beruht, dass die Kölner Forscher auch die Kaufkraft der Menschen miteinberechnen. Anne Hübner überraschen diese Zahlen nicht. Die heutige SPD-Stadträtin war im Jahr 2011 Mitverfasserin des städtischen Armutsberichts.

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Der sah etwa 20 Prozent der Münchner von Armut bedroht. Er errechnete damals eine Grenze für einen Einpersonenhaushalt von 1000 Euro. Hübner kennt auch die Hauptursache für Armut: das teure Wohnen. "Die Mietbelastungsquote der armen Haushalte liegt bei 50 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens", sagt die Stadträtin. So habe München auch die höchsten Mietausgaben für Hartz-IV-Haushalte mit durchschnittlich 578 Euro. Das treffe vor allem Alleinerziehende und Familien mit zwei oder mehr Kindern. "Da spielt die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung mit den Arbeitszeiten eine große Rolle."

So passen beispielsweise Arbeitszeiten in der Pflege nicht zum Betreuungsangebot, oft bleibe deshalb Frauen nur Teilzeitarbeit, die für den Lebensunterhalt nicht reicht. Überdurchschnittlich von Armut betroffen seien auch Migranten, weil ihnen Qualifikationen für Jobs mit höheren Gehältern fehlten, sagt Hübner. Am stärksten steige derzeit die Armut aber bei alten Menschen. Immer mehr Senioren reichten die Rente und das Ersparte nicht mehr zum Leben, etwa 14 400 Menschen in München sind deshalb inzwischen auf Grundsicherung im Alter angewiesen.

In seiner neuen Studie geht das Institut der deutschen Wirtschaft jetzt noch einen Schritt weiter als die Stadt in ihrem Armutsbericht. Es bezieht erstmals auch die regionalen Preisunterschiede und damit eben die Kaufkraft mit ein. Ergebnis: Vieles ist in München so teuer, dass das auch höhere Löhne nicht ausgleichen können. "München kommt unter Berücksichtigung seines hohen Preisniveaus nur auf eine durchschnittliche Kaufkraft", so die Kölner Forscher.

Anne Hübner begrüßt den neuen Ansatz der Forscher: "Man kann nicht 1000 Euro Einkommen in München mit 1000 Euro Einkommen in der Oberpfalz vergleichen." Am Ende sei die Kaufkraft entscheidend.

Die Kölner Forscher weisen freilich auch nach, dass es in ganz Deutschland ein starkes Stadt-Land-Gefälle gibt. Im Schnitt liege in Städten die Kaufkraft um neun Prozent unter dem Niveau der ländlichen Bezirke. Entsprechend groß seien auch die Unterschiede bei der Armutsquote. Sie liege zum Beispiel für Bayern insgesamt bei 12,3 Prozent und für Westdeutschland bei 14,8 Prozent. Köln dagegen kommt auf fast 27 Prozent, Berlin und Frankfurt auf mehr als 22 Prozent, Hamburg, Bonn und Düsseldorf liegen zwischen 21 und 22 Prozent.

Im Vergleich dazu schneidet München unter den deutschen Großstädten sogar noch einigermaßen gut ab. Nur 6,3 Prozent der Einwohner bezogen 2014 staatliche Unterstützungsleistungen wie Grundsicherung im Alter oder Hartz IV. In Stuttgart sind es 7,9 Prozent, in Nürnberg 10,9 Prozent, in Frankfurt 12,6 Prozent und in Berlin sogar 17,8 Prozent.

Armutsbekämpfung müsse vor allem Alleinerziehende, Alleinstehende, Personen mit Migrationshintergrund und nicht zuletzt Arbeitslose in den Blick nehmen, betont das Kölner Institut. Dieser Personenkreis mache in den Großstädten fast zwei Drittel der Bevölkerung aus, in eher ländlichen Gebieten aber nur knapp die Hälfte.

Im Herbst 2017 will das städtische Sozialreferat den nächsten Armutsbericht vorlegen, der sich auch ausführlich dem Thema Altersarmut widmen soll. München hat sich als erste Stadt in der Bundesrepublik mit den Ursachen von Armut auseinandergesetzt und erstmals schon 1987 einen entsprechenden Bericht erstellt.

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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