Süddeutsche Zeitung

Studentenwohnheim vor Schließung:"Rettet das Joko"

  • Die Erzdiözese München und Freising hat angekündigt, das Johannes-Kolleg an der Hiltenspergerstraße am 1. Oktober zu schließen. Sie wird das Haus für 3,4 Millionen Euro übernehmen und will es abreißen lassen.
  • Das Erzbischöfliche Ordinariat hat einen Mitarbeiter abgestellt, der sich um neue Wohnheimplätze für die jungen Männer und Frauen kümmern soll.
  • In dem Wohnheim für internationale Studenten regt sich dennoch Widerstand.

Von Jakob Wetzel

Ohne das Johannes-Kolleg wäre sie wohl nicht mehr hier, sagt Say Rabemananjara: "Ich war kurz davor, nach Hause zu gehen." Zu Hause, das ist für die 21-Jährige Madagaskar; Deutschland ist die Heimat ihrer Mutter. Sie ist gekommen, um an der Technischen Universität Umweltingenieurwesen zu studieren. Aber mit dem Leben hier kam sie nicht zurecht. Rabemananjara lebte zur Untermiete in einer Wohnung in Grafing. "Ich war einsam und habe mich verloren gefühlt", erinnert sie sich, "die ersten eineinhalb Jahre waren für mich die Hölle." Doch dann fand sie ins Johannes-Kolleg.

Das Haus an der Hiltenspergerstraße ist ein Wohnheim für internationale Studenten, es gehört dem katholischen Missionswerk Missio. 112 junge Frauen und Männer aus Dutzenden Ländern und mit verschiedenen Religionen leben hier zusammen. "Ich war einmal abends hier und wusste sofort: Ich muss hier einziehen", erzählt Rabemananjara. Sie traf Menschen, die sich für sie interessierten, die noch dazu ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, die wussten, wie es sich anfühlt, wenn man als Ausländer nach München kommt.

Die Bewohner des Kollegs seien eine Art Ersatzfamilie geworden, eine recht große zwar, aber das sei sie gewohnt. Auf Madagaskar wuchs sie mit fünf Geschwistern und mehreren Cousins und Cousinen auf. Doch ihre neue Familie in München sieht sie jetzt bedroht.

Auf dem Grundstück sind Mietwohnungen geplant

Die Erzdiözese München und Freising hat angekündigt, das Johannes-Kolleg am 1. Oktober zu schließen. Sie wird das Haus für 3,4 Millionen Euro übernehmen und will es abreißen lassen. Jahrzehntelang wurde nicht renoviert, jetzt ist es offenbar zu spät: Das Gebäude sei baufällig und könne nicht wirtschaftlich saniert werden, heißt es. Und auf dem Grundstück werden anstelle eines Heims Mietwohnungen entstehen. Dahinter steckt auch eine soziale Idee: In einigen Wohnungen sollen Erzieherinnen katholischer Kindertagesstätten leben. Die Studenten sollen in anderen Wohnheimen unterkommen; die Kirche will zwei ihrer übrigen Einrichtungen erweitern, konkrete Pläne gibt es noch nicht.

Die Bewohner des Johannes-Kollegs haben vor wenigen Tagen von den Abriss-Plänen erfahren; inzwischen ist der Schock der Traurigkeit gewichen. Zwar bemüht sich die Kirche, zu beschwichtigen: Sie verhandle mit der Arbeitsgemeinschaft der Münchner Katholischen Studentenwohnheime, dem Kolping- und dem Studentenwerk, sagt ein Sprecher. Garantieren könne sie nichts, aber sie wolle jedem Bewohner helfen, einen neuen Platz zu finden. Das Erzbischöfliche Ordinariat hat einen Mitarbeiter abgestellt, der sich um die Studenten kümmern soll.

"Es geht ums Zusammenleben"

Aber die sind verhalten. "Die Kirche sagt, alles nicht so schlimm, wir bekommen ja neue Wohnheimplätze. Aber darum geht es nicht", sagt Rabemananjara, "es geht ums Ankommen, um das Zusammenleben". Für die Studenten ist das Joko, wie sie das Kolleg nennen, mehr als nur ein Platz zum Schlafen; sie, die "Jokoaner", fühlen sich als große Gemeinschaft.

Das Wohnheim ist 1963 von Missio, dem damaligen Ludwig-Missionsverein, als Unterkunft für ausländische Studierende gegründet worden - mit einem anspruchsvollen Integrationskonzept: Zwei von drei Plätzen gingen jeweils an Studenten aus dem Ausland, einer an einen Einheimischen. Die Deutschen sollten den anderen helfen, sich zurechtzufinden. Um den Kontakt zu erleichtern, steckt das Kolleg jeden neuen Bewohner zunächst für ein Semester in ein Doppelzimmer mit einem anderen.

Nebeneinander her lebt hier aber ohnehin kaum jemand. Die Bewohner engagieren sich etwa in einer Theatergruppe, die zuletzt Shakespeares Sommernachtstraum aufgeführt hat, oder in einem Werkstatt-Team, das Kleinigkeiten am Gebäude ausbessert, schon mal einen neuen Wäscheständer bastelt oder auch eine Kletterwand für den Fitness-Raum. Andere Teams unterstützen die Bewohner bei Behördengängen oder kümmern sich etwa um das gemeinsam genutzte Internet.

Auch gegen die Schließung wurden die Studenten gemeinsam aktiv. Am Haus hängen Transparente, "Rettet das Joko" ist dort zu lesen oder "It's not a dorm, it is our home" - es ist kein Wohnheim, es ist unsere Heimat. Ins Treppenhaus haben die Bewohner kleine Fähnchen ihrer Herkunftsländer gehängt, mit denen sie das Wohnheim sonst nur zu den "internationalen Abenden" im November schmücken. "Wir haben alles aufgehängt, was wir haben", sagt Johannes Hochholzer. Der 21-Jährige kommt aus Erding, studiert Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität und ist einer der Sprecher der Bewohner: "Das Haus muss auf jeden Fall saniert werden, mindestens. Das wissen wir auch."

Online-Petition ist gestartet

Aber die Studenten hoffen, dass sie den Abriss zumindest hinauszögern können, so lange, bis ein Ersatz geschaffen ist. Mittlerweile sammeln die Bewohner Unterschriften und haben eine Online-Petition an Erzbischof Reinhard Marx gestartet, um das Johannes-Kolleg zu erhalten. Allein in den ersten Tagen unterzeichneten 1813 Menschen, mittlerweile sind es 2781 Unterschriften. Unterstützt werden die Bewohner auch von den Betreuern des Kollegs, der "Jetzt-Gemeinschaft", einer Gruppe von Ordensschwestern und Brüdern der Steyler Missionare.

Die Betreuer wohnen im vierten Stock des Hauses, sind deshalb jederzeit für die Studenten da. "Im Johannes-Kolleg", sagt die Leiterin Schwester Francesca, "wird Frieden gelernt und Frieden gelebt, die interreligiöse Gemeinschaft ist uns ganz wichtig". 43 Nationalitäten leben im Haus, Ukrainer neben Russen, Studenten aus Nazareth neben Studenten aus Palästina, Gäste aus dem Kosovo, Syrien, Afrika, Asien. Einige der Bewohner sind Muslime, andere Juden, Hindus oder Buddhisten. Unter den Christen sind orthodoxe Gläubige und Anhänger von Freikirchen. "Das Haus funktioniert nicht einfach nur so: Das Miteinander klappt, weil Personen da sind, die diese Vision tragen." Dass die Kirche dieses Modellprojekt aufzugeben gedenkt, dass sie es einfach "unter den Tisch fallen lassen" will - das ist es, was die Jetzt-Gemeinschaft nicht versteht. "Die Kirche", vermutet Schwester Francesca, "weiß wahrscheinlich gar nicht, was sie hier hat".

Das Erzbistum bleibt hart

Sie seien "berührt" von dem Einsatz der Studierenden, sagte Pater Rudi Pöhl am Sonntag bei einem Gottesdienst im Haus. Die Kapelle war dicht gefüllt; viele Ehemalige waren gekommen, darunter eine Frau, die als eine der ersten überhaupt im Johannes-Kolleg gewohnt hatte. Er wünsche sich und allen anderen nun einen langen Atem für die Verhandlungen, sagte Pöhl. Nur: Ob sie eine Chance haben, weiß hier niemand mit Sicherheit.

An den Abrissplänen habe sich nichts geändert, heißt es aus dem Erzbistum. Ohnehin wird das Angebot an Wohnheimplätzen aus Sicht der Kirche größer, nicht kleiner; schließlich hat sie das Wohnheim neu erworben. In einer Pressemitteilung ist von "konzentrierten Standorten" die Rede für das "erweiterte Angebot der Erzdiözese im Bereich studentisches Wohnen". Nicht geplant ist allerdings, das Johannes-Kolleg zu erhalten.

Dabei sei gerade diese Idee in Zeiten von Pegida besonders aktuell, argumentiert Student Hochholzer. Nebenan, in der früheren Caritas-Fachakademie für Sozialpädagogik, sollen außerdem künftig bis zu 64 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben. Die Flüchtlinge dort, die internationalen Studenten hier - das biete doch eine große Chance, sagt Hochholzer. Warum sie nicht nutzen?

Lokalpolitiker unterstützen die Studenten

"Wir wären super Nachbarn", sagt Schwester Francesca, schon jetzt würden viele Johannes-Kolleg-Studenten in der Bayernkaserne helfen. Der Westschwabinger Bezirksausschuss unterstützt die Studenten ebenfalls "zu hundert Prozent" - nicht nur, weil das Gremium das Konzept des Kollegs für gut heißt. Sondern auch, weil die Lokalpolitiker keine Abrissbaustelle neben den Flüchtlingskindern haben wollen.

Eine Flüchtlingsgeschichte erzählt auch Yamen Helbaoui. Der 19-Jährige stammt aus Damaskus in Syrien; gemeinsam mit seinen Eltern ist er von dort geflohen. In München besucht er eine Fachoberschule für Wirtschaft. "Seitdem lebe ich hier mit meinen Freunden, wir machen alles zusammen", sagt er. Im Grunde seien die Freunde wie Schwestern und Brüder. "Dieses Land hat mir so viele Möglichkeiten gegeben", sagt Helbaoui. "Ich will mir einfach nicht vorstellen, dass ich ein zweites Mal meine Heimat verlassen muss."

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Quelle:
SZ vom 09.05.2015/mest
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